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2020
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2019
Neue Zürcher Zeitung, 08.11.2019, Linda Koponen
Scientology-Gegner wollen die Religionsgemeinschaft entlarven
Wie weit darf die Aufklärungsarbeit von Privatpersonen gehen?
Getarnt als gemeinnütziger Verein, wirbt Scientology in vielen Städten um neue Mitglieder. Ein Ehepaar will gemeinsam mit einer Aussteigerin die Masche aufdecken. Aber Scientology versucht nun, die Gegner mundtot zu machen.
Gemeinsam mit seiner Frau Yolanda Sandoval tourt Künzi seit einigen Monaten durch die Deutschschweiz, um auf die Gefahr, die Scientology darstelle, aufmerksam zu machen. Unterstützt werden die Freien Anti-SC-Aktivisten von Amanda*, einerAussteigerin. Laut der Fachstelle für Sekten fragen Infosekta zählt die Religionsgemeinschaft hierzulande rund 800 aktive Mitglieder. Missionieren ist Teil des Glaubenslebens: Sogenannte Feldmitarbeiter sprechen auf der Strasse Passanten an und verteilen Flyer und Broschüren. Die Kirche tritt bei den Aktionen oft getarnt als CCHR, Narconon oder «Sag Nein zu Drogen, sag Ja zum Leben» auf. Erst im Kleingedruckten wird klar, dass dahinter Scientology steckt.
Für Susanne Schaaf von Infosekta steckt hinter dem Vorgehen Kalkül: «Scientology hat in der Gesellschaft einen schlechten Ruf – bei den unbekannten Unterorganisationen bleiben die Leute vielleicht eher stehen und schauen sich die Unterlagen an.» Auch Beat Künzi sagt, dass vielen nicht bewusst sei, dass Dianetik oder CCHR zu Scientology gehörten. «Meine Frau und ich sind keine Ex-Scientologen und haben daher keine Eigeninteressen, es geht uns einzig um Aufklärung.»
Manipulative Techniken
Wovor sie warnen, hat ihre Mitstreiterin Amanda am eigenen Leib erfahren. Als sie 2010 erstmals mit Scientology inKontakt kam, war sie methadonabhängig, alleinerziehend und sozial isoliert. Nach einer stationären Therapie war sie erneut rückfällig geworden und glaubte, in der umstrittenen Religionsgemeinschaft einen Ausweg aus der Sucht gefunden zu haben. Stattdessen folgten die bisher schlimmsten fünf Jahre ihres Lebens. Die 42-Jährige möchte ihre Geschichte erzählen, um andere davor zu bewahren, was ihr widerfahren ist. In derZeitung will sie jedoch nicht mit ihrem richtigen Namen erscheinen. «Scientology ist ein Glaubensgefängnis und sehr gefährlich – die Kirche kann dir alles nehmen», sagt Amanda heute.
Wenn sie über ihre Zeit bei Scientology erzählt, wirkt sie gefasst. Trotzdem fällt es teilweise schwer, ihren Erzählungen zu folgen, sie springt in der Zeit, bricht Sätze ab, spricht im Scientologen-Slang. Spiritualität habe sie schon immer interessiert, sagt sie. Nachdem sie «Dianetics» – quasi die Bibel der Scientologen – gelesen hatte, meldete sie sich für ein Einführungsseminar in Zürich an. «Ich war neugierig und hoffte auf eine Lösung für mein Drogenproblem.»
In Zürich wurde Amanda langsam an das «Auditing», die scientologische Therapie, herangeführt. «Mir wurde befohlen, die Augen zu schliessen und in eine Zeit zurückzukehren, in der ich Schmerzen empfunden habe.» Immer wieder musste sie Negativerlebnisse aus ihrer Vergangenheit Revue passieren lassen und Fragen dazu beantworten. Wer seiner Vergangenheit emotionslos begegnen kann, gilt laut L. Ron Hubbard, dem Gründer von Scientology, als «clear» – frei von irrationalem Verhalten, Furcht und Verstimmungen. Der Weg dorthin führt über zahlreiche Sitzungen.
Nachdem Seminar sei ihre Motivation schnell verflogen, sagt Amanda. Just in dem Moment, als sie nicht mehr an den Sitzungen teilnehmen wollte, bekam sie jedoch einen Anruf von ihrem neuenTherapeuten. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, war sie wieder dabei, gab nach und nach immer mehr von sich preis.
Susanne Schaaf von Infosekta sieht das Problem im engen ideologischen System, das Menschen, die sich darauf einliessen, gewissermassen aufsauge. «Die Techniken von Scientology sind manipulativ, und es besteht die Gefahr einer seelischen Abhängigkeit.» In der Schweiz ist Scientology als Kirche anerkannt. In Deutschland steht sie wegen Verdachts auf demokratiefeindliche Bestrebungen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes.
In der Kritik steht die Organisation auch wegen ihrer hierarchischen Strukturen und ihrer Profitorientierung. Die Ausgaben für Kurse und Lehrmittel belaufen sich schnell auf Tausende von Franken. Auch Amanda hat viel Geld an Scientology verloren. Rund 18 000 Franken zahlte sie allein für einen Aufenthalt in der scientologischen Entzugsklinik Narconon. Zunächst kam sie in die Einrichtung in Rimbach in Deutschland, weitere neun Monate verbrachte sie in Zutphen in den Niederlanden.
«Versifftes Drecksloch»
Das Gelände beschreibt Amanda als«versifftes Drecksloch» mit Schmierereien an den Wänden und stapelweise Abfall. Die Entzugstherapie bestand aus Meditieren und Ausschwitzen. Während Wochen musste sie täglich für mehrere Stunden in die Sauna. «Ich habe aus dem Unterleib geblutet und hatte starke Schmerzen, aber es hiess: Du gehst erst raus, wenn die Schmerzen nachlassen.» Viele hätten in der Klinik weiterhin Drogen konsumiert – teilweise gemeinsam mit dem Personal. Ein Teil des «Staff» sei früher selbst bei Narconon im Entzug gewesen.
Trotz der schlechten Erfahrung strebte Amanda nach ihrer Rückkehr in die Schweiz im Frühjahr 2015 eine Karriere bei Scientology an, wollte selber Auditorin werden. Stattdessen wurde sie zur Geldeintreiberin. Zu dieser Zeit wurde in Basel eine neue Scientology-Zentrale, die «IdealOrg», eröffnet. «Nach der Anfangsphase gingen die Spenden zurück, und wir mussten dafür sorgen, dass sich Leute für die Kurse anmelden, damit wieder Geld reinkommt.» Dabei sei es um hohe Beträge gegangen: Um «clear» zu werden, zahle man rund 27 000 Franken.
«Scientology sammelt Daten und weiss irgendwann alles über dich – die Namen deiner Verwandten, ob du Schulden hast, was du mit deinem Psychiater besprochen hast, wie hoch dein IQ ist und mit wem du deinen Partner betrügst», sagtAmanda. Dieses Wissen werde bei Bedarf als Druckmittel verwendet. Sie habe den Leuten vorgegaukelt, dass sie durch die Kurse ihre Fehler in diesemLeben bereinigen könnten, um auf das nächste Leben vorbereitet zu sein. Ins Visier nahm sie Personen, die früher schon einmal mit Scientology in Kontakt gekommen waren – etwa indem sie an einem Stand ein Buch gekauft hatten.
In Zürich besonders aktiv
Das ist der Grund, wieso die Freien Anti-SC-Aktivisten auf Standaktionen abzielen. Gerade diese erachtet Amanda als problematisch: «Scientology deckt alle möglichen Problematiken ab, bietet scheinbar für alles eine Lösung – jeder wird auf die passende Art geködert.»
In St.Gallen nähern sich derweil zwei aufgebrachte Frauen dem CCHR-Stand. «Psychiatrie ist doch keine Folter, so ein Bullshit», schimpft die Jüngere. Sie arbeite in dem Bereich, wisse, wovon sie rede. Der Mann mit den Flugblättern tritt näher, lächelt den beiden beschwichtigend zu. Es sei toll, dass sie den Menschen helfen wolle, und ein Glück, wenn die Psychiatrie die Leiden eines Patienten lindere. «Uns geht es nur um Fälle von Missbrauch, auch wir wollen helfen.» Nach wenigen Minuten nickt die Frau ihm bei seinen Schilderungen eifrig zu und blättert interessiert in den Infobroschüren. Als sie den Stand verlässt und von Yolanda Sandoval angesprochen wird, wirkt sie verlegen. Die Reaktionen der Passanten auf die Anti-Scientologen sind an diesem Nachmittag überwiegend positiv: Viele bedanken sich höflich, andere bleiben verdutzt stehen und wollen mehr wissen.
Die Haltung der Städte ist derweil gespalten. Während St. Gallen und Luzern den Freien Anti-SC-Aktivisten Auskunft über die geplanten Standaktionen von Scientology geben, beruft man sich in Bern und Zürich auf den Datenschutz: Angaben über die Gesuchsteller von Standaktionen würden grundsätzlich nicht an Dritte weitergegeben. Gerade in der Stadt Zürich war Scientology in den letzten drei Jahren besonders aktiv: Rund 70 Standaktionen gingen pro Jahr auf das Konto der Gemeinschaft und von deren Untergruppen. Erlaubt wären gemäss der Gebührenverordnung jährlich lediglich 48 Aktionen pro Organisation.
Dass Scientology mit verschiedenen Tarnorganisationen operiert und so die maximale Zahl bei weitem überschreitet, erachtet man beim Sicherheitsdepartement nicht als problematisch. Sprecher Mathias Ninck sagt: «Die Meinungsäusserungsfreiheit wird bei uns hochgewichtet, jede erlaubte religiöse und gemeinnützige Organisation hat das Recht, Aktionen durchzuführen.» Ob ein Verein Verbindungen zu Scientology habe, werde nicht nachgeprüft. «Eine derartige Spitzeltätigkeit erachten wir nicht für sinnvoll.»
Eine ähnliche Haltung vertritt Norbert Esseiva, Leiter der Orts- und Gewerbepolizei der Stadt Bern: «Solange die Standbetreiber selbst sowie die von ihnen verbreiteten Inhalte nicht gegen geltendes Recht verstossen, haben wir keine Grundlage, eine Standaktion nicht zu bewilligen.» Beide Städte geben derweil an, Gegenaktionen von Einzelnen ohne Infrastruktur zu tolerieren, solange diese nicht die eigentliche Standaktion erheblich störten.
Beat Künzi sieht sich indessen in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt. Dass die Städte Bern und Zürich seiner «Informationskampagne» Steine in denWeg legten, können weder er noch seine Frau verstehen. «Wir sind gewaltfrei unterwegs und suchen keinen Ärger», sagt Yolanda Sandoval. In St. Gallen hält das Basler Ehepaar einen Abstand von mehreren Metern ein und spricht Passanten erst an, wenn diese den Stand von CCHR verlassen.
Jürg Stettler, Präsident der Scientology-Kirche Zürich, bestreitet sämtlicheVorwürfe: «Ich erlebe seit Jahren, wie Informationen gegen Scientology manipuliert und Storys von Ex-Mitgliedern frei erfunden werden.» Dabei sei Scientology das Gegenteil eines Glaubensgefängnisses: «Eine unserer höchsten Maximen ist, dass für einen nur wahr ist, was man selber beobachten kann – von Manipulation kann daher keine Rede sein.» Auch die Preise für die Kurse seien nicht überrissen: Viele seien gratis oder kosteten zwischen 50 und 100 Franken.
Stettler streitet auch die Vorwürfe zur Narconon-Klinik in Zutphen ab. Berichte niederländischer Zeitungen aus den Jahren 2012 und 2013 zeigen jedoch, dass die Institution wegen unqualifizierten Personals und eines Gesundheitsrisikos bereits damals verstärkt ins Visier des Gesundheitsinspektorats geraten war. Mittlerweile wurde die Einrichtung geschlossen.
Steigen des Interesse
Für Stettler ist dennoch klar: «DieAktionen dieses Ehepaars sind unserer Meinung nach religiöser Rassismus und pure Diskriminierung.» Scientology wolle gegen die beiden Strafanzeige erstatten. Ernsthaft schädigen würde die Gegenkampagne sie aber nicht: «Durch diese Fanatiker ist das Interesse am Stand erst recht gestiegen– man spricht wieder über Scientology.» Damit hat er nicht ganz unrecht: In den letzten Jahren war es ruhig um die Kirche geworden – bis die FreienAnti-SC-Aktivisten mit ihren Aktionen an die Öffentlichkeit traten.
Amanda hat vor vier Jahren die Seiten gewechselt. Der Leistungsdruck innerhalb von Scientology habe sie erneut in die Drogensucht getrieben. Schliesslich zog sie selbst die Reissleine und meldete sich bei der Suchthilfe in Basel an. Nach drei Monaten war sie clean, bekam das Sorgerecht für ihren Sohn wieder. Am Anfang habe sie sich beobachtet gefühlt, doch die Religionsgemeinschaft liess sie gehen: «Wenn du ihnen nichts mehr bringst, wollen sie dich loswerden.»
In St. Gallen packen Yolanda Sandoval und Beat Künzi derweil ihre Plakate zusammen. Als sie sich zum Gehen wenden, winken ihnen die Scientologen zum Abschied. Sie werden sich bald wiedersehen.
*Name geändert
2016
Tages Anzeiger, 09.05.2016, Hugo Stamm
Scientologen verärgern Kunden der Migros
Ein Migros-Filialleiter wehrte sich gegen einen Informationsstand der Sekte direkt vor seinem Ladeneingang – vergeblich.
Der Filialleiter bekam den Ärger der Kunden den ganzen Tag zu spüren. «Ich habe 30 bis 40 Reklamationen erhalten», sagte er. Viele Kunden seien davon ausgegangen, dass er den Scientologen die Aktion erlaubt habe. «Die Scientologen haben unsere Kunden sehr resolut angesprochen, viele fühlten sich belästigt», sagt der Filialleiter.
Der Zürcher Regierungsrat schrieb damals dazu, es wäre unzulässig, «ein Einzelfallgesetz gegen Scientologen und deren Anwerbemethoden zu erlassen». Heikel wäre für die Regierung auch eine Strafnorm gewesen, «die alle täuschenden und unlauteren Anwerbemethoden unter Strafe stellt». Die Scientologen freuen sich bis heute über die tolerante Haltung der Regierung und der Gerichte, wie ihre häufige Präsenz auf den Zürcher Strassen und Plätzen beweist.
Das Zürcher Polizeidepartement hat die schriftlichen Fragen des TA nicht beantwortet.
Tages Anzeiger, 05.12.2016, Andrea Tedeschi
Aufwachsen in einer Lüge
Leah Remini: Die Schauspielerin kämpft jetzt gegen Scientology.
Eine leise Frau ist Leah Remini nie gewesen. Die amerikanische Sitcom «The King of Queens» machte die Schauspielerin vor zwanzig Jahren bekannt als aufbrausende und etwas unheimliche Carrie Heffernan, die nur glücklich ist, wenn es anderen schlecht geht.
Laut ist Remini auch heute noch. Ihre bedrohliche Stimme aber hat sie anderen geliehen. In ihrer achtteiligen Dokumentation «Scientology and the Aftermath», die der amerikanische Sender A&E ab dieser Woche zeigt, berichten ehemalige Mitglieder teilweise unter Tränen, wie Scientology sie ruinierte – psychisch, körperlich und finanziell.
Die Dokuserie wird mit Spannung erwartet und von Scientologen gefürchtet. Denn sie wird von einem ehemaligen hochstehenden Mitglied moderiert: Leah Remini. Anwälte der Sekte üben offenbar seit Wochen massiven Druck auf Sender und Produzenten aus, um die Ausstrahlung zu verhindern. Sie beschimpfen Remini als «verwöhnte Diva» und lausige Schauspielerin, die ihren Zenit überschritten habe. Sie versuche bloss, längst wiederlegte Mythen wie Missbrauch, Unterdrückung und Betrug zu rezyklieren.
Die Beschimpfte lässt sich nicht einschüchtern. Sie stehe auf der richtigen Seite, sagt die 46-Jährige. Lange stand sie auf der anderen. Remini war eine engagierte Scientologin, sie sagt es selbst. Jetzt kämpft sie erbittert gegen die «Kirche», die für sie eine Art Familie geworden war. Im Alter von acht folgte sie ihrer Mutter in die Organisation, zog deswegen von Brooklyn an der Ostküste nach Los Angeles. Und blieb der Organisation 30 Jahre treu.
Lange glaubte sie an das gute Leben derer, die sich nach den Grundsätzen von Scientology richten. Spielraum für Interpretationen gab es nicht. Den Bezug zur Realität, den sie mit der Zeit bei Scientology verloren habe, stellte Tom Cruise, der Hollywoodschauspieler, unfreiwillig wieder her. Remini beschreibt die Nummer zwei der Organisation als einen charismatischen Menschen, dem nie jemand etwas habe abschlagen können. Nach sechs Jahren Ehe liess sich die Schauspielerin Katie Holmes von ihm scheiden. Die Trennung hatte sie lange und heimlich vorbereitet, damit Cruise und die Organisation überrascht. Grund war das gemeinsame Kind, das nicht bei Scientology aufwachsen sollte.
Leah Remini begann zu zweifeln. In diesem Moment sei ihr klar geworden, sagte sie später, dass auch sie gehen musste. Auch sie habe ihrer 12 Jahre alten Tochter nicht zumuten wollen, sich zwischen ihrer Familie und Scientology entscheiden zu müssen. Mann und Tochter folgten ihr. Leah Remini rechnete mit der Sekte ab in ihrem Enthüllungsbuch «Troublemaker: Wie ich Hollywood und Scientology überlebte». Sie sei in einer Lüge aufgewachsen und habe sie durchschaut, begründete Remini ihren Ausstieg.
Und wandte sich dem Katholizismus zu.
2015
BZ Basel, 06.02.2015, Samuel Hufschmid
Basler Scientology-Tempel steht kurz vor der Eröffnung im Iselin-Quartier
Ein internes Schreiben von Scientology zeigt, dass die Eröffnung der schweizweit ersten «Ideal Org», wie die Sekte ihre repräsentativen Zentren nennt, kurz bevorsteht. Scientology-Mitglieder aus der ganzen Schweiz werden am Samstag im Zofinger Stadtsaal erwartet, um «die Eröffnung zu einem Erfolg zu machen». Offenbar soll der Anlass auch dazu genutzt werden, zusätzliche Mitarbeiter für das Zentrum an der Basler Burgfelderstrasse zu finden. Der österreichische Sektenexperte und ehemalige Scientologe Wilfried Handl geht von einer Eröffnung in den ersten zwei Märzwochen aus. «Die Basler Ideal Org wird vermutlich am 7. oder 14. März eröffnet und dann am 21. März an der internationalen Geburtstagsfeier von Gründer Ron Hubbard im Dolby Theater in Hollywood als Beweis für den erfolgreichen Expansionskurs der Sekte präsentiert», so der 61-jährige, der selber 28 Jahre lang Mitglied von Scientology war und dadurch den Kontakt zu Frau und Kindern verlor.
Mit den Recherchen der bz konfrontiert, bestätigt der Basler Scientology-Sprecher Rolf Moll, dass die Eröffnung kurz bevorsteht, jedoch ohne ein genaues Datum zu nennen. «Die Umbauarbeiten sind soweit abgeschlossen, momentan werden die Inneneinrichtungen installiert», so Moll. Der genaue Eröffnungstermin stehe noch nicht fest. Scientology Basel habe zahlreiche neue hauptamtliche Mitglieder sowie Interessenten, die in den nächsten Wochen dazu stossen würden. Diesen Zustrom von Mitgliedern bezweifelt Sektenexperte Handl. Er wisse aus internen Quellen, dass die Sekte grosse Mühe bekunde, genügend Mitarbeiter für die Basler «Ideal Org» zu rekrutieren. «Der nationale Rekrutierungs-Event, zu dem alle Mitglieder von Scientology Schweiz eingeladen sind, deutet darauf hin. Ich gehe davon aus, dass derzeit maximal 30 Mitarbeiter unterschrieben haben.» Laut Handl sollen dereinst 150 Scientology-Mitglieder im Basler Prunkbau arbeiten – für 30 bis 50 Franken pro Woche. Mindestens ein neues hauptamtliches Mitglied ist gemäss eines internen Schreibens bereits in Basel. Es ist ein Mann im mittleren Alter, der den Sektenmitgliedern als «Livio aus Genf» vorgestellt wird und der nach eigenen Angaben nach Basel gekommen sei, um «das zu tun, was gewünscht und nötig ist, um eine geklärte, also scientologische Schweiz zu ermöglichen.»
Tagesanzeiger, 30.04.2015, Hugo Stamm
Ein Mann fürs Grobe
Ein neuer Film stellt den Scientology-Chef David Miscavige als gewalttätigen Manipulator dar.
Doch nun wird es eng für ihn: Der neue Dokumentarfilm «Going Clear: Scientology and the Prison of Belief» des Regisseurs Alex Gibney löste in den USA heftige Reaktionen aus. Hochrangige Aussteiger, unter ihnen Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright und der mit einem Oscar gekrönte Regisseur Paul Haggis, porträtieren die Sekte als Glaubensgefängnis und geben einen erschreckenden Einblick ins streng gehütete Innenleben von Scientology. Obwohl dem Scientology-Führer in den USA die Fetzen um die Ohren fliegen, gab er am vergangenen Samstag den Schweizer Scientologen überraschend die Ehre. Bei einer pompösen Feier zur Eröffnung des neuen Luxustempels in Basel hielt er stramm die Fahne hoch. Das Signal an die Scientologen in aller Welt: Es geht aufwärts! Was nach Aufbruch klingt, ist in Wirklichkeit eine Durchhalteparole. Die Reise nach Basel war für den angeschlagenen Miscavige ein willkommenes PR-Instrument, um von der existenziellen Krise abzulenken. Miscavige versuchte mit allen Mitteln, den Film zu verhindern. Der Scientology-Führer liess ganzseitige Inserate schalten, etwa in der «New York Times», und schwärzte Regisseur Gibney mit Unterstellungen an. Zudem schickte Miscavige seinen «Aussenminister» John Travolta an die Front, der den Film als Machwerk brandmarkte. Ohne Scientology wäre er nicht das, was er heute sei, liess er verlauten. «Oh, mein Gott. Ich hätte das nicht ohne Hilfe von Scientology durchgestanden», sagte er zum mysteriösen Tod seines Sohnes Jett. Der amerikanische Bezahlsender HBO, der den Film produzierte, engagierte viele Anwälte, um ihn zu prüfen. Offenbar mit Erfolg: Miscavige blieb bisher ungewohnt stumm; 5,5 Millionen Zuschauer schauten den Film ungestört an.
Toilettenböden mit der Zunge reinigen
Die Enthüllungen der Kronzeugen, die Interviews, das Archivmaterial und die internen Dokumente haben es in sich. Seine ehemaligen Mitarbeiter zeichnen von Miscavige das Bild eines Psychopathen, der seine Untergebenen schlage und foltere. Seine Geheimdienstmethoden machten auch nicht vor der eigenen Familie halt. Miscavige habe auch seinen Vater beschatten lassen, der der Sekte den Rücken gekehrt hatte. Als er dabei erfuhr, dass dieser einen Herzinfarkt erlitten hatte, habe er gesagt: «Lass ihn sterben.» Aussteiger berichten, Scientologen seien schon wegen geringfügiger Vergehen bestraft worden und hätten Toilettenböden mit der Zunge und WC-Schüsseln mit Zahnbürsten reinigen müssen. Der Film dokumentiert auch, dass die Top-Shots aus Hollywood nicht von der Bespitzelung verschont bleiben. So habe Miscavige die Ex-Frau von Tom Cruise, Nicole Kidman, nach deren Trennung ausspionieren und mit dem Segen von Cruise ihr Telefon abhören lassen. Cruise allerdings, der Busenfreund des Sektenbosses, äusserte sich zum Film noch nicht. Bereits wird in Hollywood spekuliert, der Filmstar habe langsam die Nase voll von den Skandalen um Scientology.
Blick, 28.04.2015
Wieso hat Basel den Bau bewilligt?
BLICK besuchte den neuen Tempel von Scientology in Basel. Nach Hamburg und Berlin ist es der dritte Mega-Tempel im deutschen Sprachraum. Viele der BLICK-Leser lehnen die Sekte ab.
Wir haben zurzeit zu viele Religionen und brauchen keine neue. Zudem finde ich den Begriff «Religion» in gewissen Fällen sehr unpassend.
Niggi Münger. Basel
Die «billigen» oder teils kostenlosen Kurse sorgen dafür, dass auch die teuren besucht werden. Es ist bekannt, dass Scientology die Psyche manipuliert und Menschen von sich abhängig macht. So wird vermutlich auch dieser Palast in Basel von Menschen finanziert worden sein, die sich verschulden mussten. Mich verwundert, dass die noch Anhänger finden. Wieso hat Scientology von der Stadt Basel eine Baubewilligung erhalten?
Michael Zingg
Leute, die sich wegen Scientology ins finanzielle Verderben stürzen und abhängig werden, sind oft sehr labil und auf der Suche nach einem guten Leben. Sie würden vermutlich auch einer Freikirche verfallen. Ich persönlich mag alle diese «Kirchen» nicht.
Susan Köhli
Wie verzweifelt müssen Menschen sein, dass sie sich bei Scientology verlaufen. Ich verstehe nicht, dass diese Sekte, die vielen Menschen Unglück brachte, nicht vom Gesetz gestoppt werden kann. Ich hoffe, die Basler halten durch und ziehen ums Gebäude einen Zaun, damit die drinnen nicht mehr rauskommen und die draussen nicht rein.
Christian Joss, Zürich
Die Scientologen haben in ihrer Geschichte weniger Gemetzel als die Christen verursacht. Das ist aber nicht wirklich ihr Verdienst. Sondern es liegt daran, dass man sie noch nicht wirklich an die Hebel der Macht Hess. Und ich hoffe, dass es auch so bleibt.
Michael Strässle, Zürich
Warum sind Menschen von dieser Sekte so fasziniert? Sind in unserer Gesellschaft zu wenige glücklich und zufrieden? Wie wäre es, wenn wir dort den Hebel ansetzen würden? Dann würde es auch bald keine Sekten mehr geben.
Michel Falk, Gipf-Oberfrick AG
Blick, 28.04.2015, Céline Krapf
Die Wunderwaffe von Scientology
Er ist das Lieblingsgerät der Scientologen: der Elektropsychometer, kurz E-Meter. Mit diesem Gagamat führen sie Psychotests, Loyalitätsabklärungen und Beichten durch. Natürlich darf die Wundermaschine auch im neu eröffneten Ideal Org in Basel, dem grössten Scientology-Zentrum der Schweiz, nicht fehlen. BLICK besuchte den Sektentempel am Sonntag und testete den E-Meter: In den Händen des Reporters schlug die Nadel aus. Laut Scientology ein Anzeichen für negative Energie im Körper.
Der E-Meter sei «religiöses Hilfsmittel», um «Bereiche seelischer Not oder Belastung aufzufinden», so die Sekte. In Auditing genannten Sitzungen arbeiten die Mitglieder darauf hin, «höhere Stufen spirituellen Bewusstseins» zu erreichen.
«Das Gerät funktioniert wie ein Lügendetektor», sagt Urs Röthlisberger, Studiengangleiter Elektrotechnik an der Universität Luzern. «Es ist keine Wundermaschine, sondern ein einfaches Messgerät, das den Widerstand zwischen zwei elektrischen Anschlüssen misst.»
Elektroden leiten schwachen Strom durch die beiden Metallröhren, die der Prüfling in den Händen hält, während ihm der Auditor heikle fragen stellt. Die Skala auf dem ovalen Hauptgerät zeigt dann laut Scientology «den geistigen Zustand» des Probanden an.
Experte Röthlisberger erklärt das Prinzip: «Mit den Elektroden misst das Gerät den elektronischen Widerstand der Haut. Dieser verändert sich, wenn wir schwitzen, zum Beispiel bei Nervosität. Die Haut wird feucht und leitet sofort messbar besser.» Kurz es funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die erste Generation Lügendetektoren. Im Scientology-Katalog kostet das Modell Mark Super VII Qunatum rund 5000 Franken. Viel Geld, zumal die Universität Basel die Produktionskosten bei maximal 200 Franken ansetzt.
Im Weihnachtskatalog begründet Scientology den horrenden Preis so: Die Wundermaschine lässt sich in 16 verschiedenen Sprachen bedienen, wird mit einem wunderschönen Koffer geliefert und ist multifunktional einsetzbar, zum Beispiel als Buchstütze. Und: Sie ist das wichtigste Hilfsmittel, damit Scientologen sich als «glückliches, fähiges und geistiges Wesen» wahrnehmen können.
Urs Röthlisberger sieht es etwas anders: «Das Gerät kann enormen psychischen Druck auf die Befragten ausüben.»
BLICK im neuen Scientology-Tempel/Besuch in einer Parallelwelt
Vor dem Hauptgebäude steht der Scientologe Jürg Stettier (61). Er ist Präsident der Zürcher Scientology und Presseprecher von Scientology Schweiz. Ich muss durch den Hintereingang. Vor dem Haupteingang posieren gerade die hauptamtlichen Mitglieder, welche Scientology Basel bereits rekrutiert hat. Es sind um die 50 Personen: alle im dunklen Businessdress, die Herren mit Krawatte. «Das Ziel ist, dass 150 Hauptamtliche in Basel arbeiten», sagt Stettier.
Auf Kommando des Fotografen hüpfen und lachen die Männer und Frauen. Dann strömen sie zurück in das Gebäude.
Im ersten Raum hinter dem massigen Rezeptionspult stehen grosse Bildschirme. Hier kann ich mich in aller Ausführlichkeit über Dianetik und Scientology informieren. Scientologe Nick Banks (33) schaltet sich ein. Er ist jung-dynamisch. Zusammen mit dem Sektenchef David Miscavige wurde er zur Eröffnung der Ideal Org aus der Zentrale in Los Angeles eingeflogen. Er fordert mich auf, mir die Dokumentation genau anzuschauen.
Ich zappe durch die verschiedenen Filme und habe die Erkenntnis: Es ist reine Propaganda. Aber aufwendig und teuer produziert. Alles ist perfekt inszeniert. Und alle Filme drehen sich um das gleiche Thema: Ein Mensch erlebt etwas Negatives, und dann kann Scientology diesen Menschen wieder glücklich machen. Den kriegstraumatisierten Soldaten, eine Frau, die um ihren tödlich verunfallten Hund trauert, eine andere, die betrogen wurde. Alle wieder happy. Und alle wissen nun, dass sie ihr ganzes Potenzial nur durch die Methoden von Scientology ausschöpfen können. Sie müssen lediglich die (teuren) Kurse besuchen.
Im gleichen Stock ist die erste Buchhandlung. Alle Bücher stammen von L. Ron Hubbard, dem Sektengründer. Auch hier geht es hauptsächlich um Selbstfindung. Aufmachung und Themen erinnern mich an die Esoterikmesse.
An vielen Wänden hängen Tafeln mit Sprüchen des Meisters. Ich kann keinen Schritt gehen, ohne mit ihm konfrontiert zu werden. Hubbard hier, Hubbard da, Hubbard hat gesagt, Hubbard hat gemacht, Hubbard ist allgegenwärtig. Im Parterre teste ich den E-Meter, das wichtigste Hilfsmittel der Scientologen: Es misst den elektrischen Widerstand Im Körper. Man hält Metallröhren in den Händen. Eine Nadel gibt den Zustand des Probanden preis. «Denken Sie an etwas Negatives», fordert mich Pressesprecher Stettier auf. Mir kommt gerade nichts in den Sinn. Die Nadel schlägt trotzdem aus.
Scientology gibt sich offen und zeigt alle Räume. Sogar das Reinigungsprogramm im Keller. Hier hat es für Frauen und Männer je eine Sauna und ein paar Fitnessgeräte. Am Schalter werden Vitamine verkauft. Die ganze Einrichtung ist hochwertig, die Sekte inszeniert sich perfekt. Nichts lässt erkennen, dass durch Scientology Menschen ins Unglück stürzten.
Blick, 27.04.2015, Beat Michel
Implenia baute Sektengebäude
Implenia wusste vom Auftritt nichts, wie ein Sprecher des Unternehmens zu BLICK sagt. Die Aussagen seien Pulvers «persönliche Meinung». Die religiösen Überzeugungen der Mitarbeitenden seien Privatsache. Implenia bestätigt, in Basel als Generalunternehmerin einen Umbau vorgenommen zu haben. «Dieses Gebäude wird von Scientology genutzt. Andere Berührungspunkte gibt es nicht.» Pulver verwies Anfragen von BLICK an die Kommunikationsabteilung.
Blick, 27.04.2015, Beat Michel
Scientology-Boss David Miscavige – Der Geföhnte
Besonders stolz ist David Miscavige auf seine enge Freundschaft mit dem Hollywood-Star Tom Cruise (52). Der Scientology-Boss soll es gewesen sein, der seinem Jünger Cruise die Ehe mit Nicole Kidman und die Beziehung mit Penelope Cruz ausgeredet hatte. Die Einflussnahme in derart privaten Bereichen ging noch weiter: Die Heirat zwischen Cruise und Schauspielerin Katie Holmes habe ebenfalls der Scientology-Chef eingefädelt. Trauzeuge: David Miscavige. Wer den Sektenguru gestern persönlich erleben wollte, suchte ihn unter den Gästen vergeblich: Er war schon abgereist.
Basler Zeitung 27.04.2015, Serkan Abrecht
Der Fünf-Sterne-Sektentempel von Basel
Es ist kurz nach zwei Uhr nachmittags, als wir gestern Sonntag das helle Atrium der neu eröffneten Scientology-Kirche an der Burgfelderstrasse betreten. Sofort werden wir an der Rezeption, hinter der das grosse Scientology-Kreuz hängt, von einem Herrn in schickem schwarzem Anzug abgefangen. «Sie sind von der Zeitung, oder? Unser Mediensprecher hat gleich Zeit für Sie. Bitte nehmen Sie Platz.» Der freundliche Herr weist auf eine hölzerne Bank neben einem Fernseher, auf dem ein Film über die von der selbsternannten Kirche gepriesene «Dianetik» läuft. Der Eingangsbereich macht nicht den Eindruck, als würde man sich an einem Ort der Religion und Spiritualität befinden. Das Entree erinnert mit seinen schwarz-weissen Fliessteinen mehr an die Empfangshalle eines Luxushotels. Ausser dass diese mit unzähligen Büchern der Scientology und Fernsehmonitoren ausgestattet ist. Überall stehen Scientologen in schwarzen Anzügen, die uns ein wenig misstrauisch beäugen. Sie erinnern an Hotelportiers.
Mediensprecher Jürg Stettler kommt schnellen Schrittes auf uns zu. Der Mann, etwa Anfang fünfzig, wirkt gestresst. «Sorry für die Verspätung. Wir hatten den ganzen Tag durch Medien im Hause.» Er beginnt gleich mit der Führung und zeigt mir das sogenannte E-Meter, welches bei «Auditings» eingesetzt wird, um den seelischen Druck bei der Erinnerung an vergangene Ereignisse zu ermitteln. Der kleine Zeiger schlägt tatsächlich aus, als mich Stettler anweist an ein unglückliches Ereignis zu denken. Er lächelt zufrieden. «Was sagt er?» Stettler zeigt uns die «Kapelle», in der gerade ein Kurs stattfindet. Ein Film über weltweite humanitäre Not wird gezeigt. Knapp 30 Scientologen sitzen in der «Kapelle», auf deren Videoanlage das Pathé Küchlin neidisch wäre. Die Konversation mit Jürg Stettler verläuft freundlich. Auch zu kritischen Fragen äussert er sich: «Unsere Mitglieder müssen für die Kurse Gebühren zahlen, weil wir nicht wie andere Kirchen vom Staat Subventionen erhalten», antwortet er auf meine Frage, warum die Mitglieder einer Kirche für ihre Religion zahlen müssen. Die Stimmung schlägt aber prompt um, denn seit dem Besuch der «Kapelle» folgt uns ein anderer Scientologe auf Schritt und Tritt. Nick Banks ist sein Name. Er ist Leiter für Public Relations von der Mutterzentrale aus Los Angeles. Schweizerdeutsche Gespräche werden nicht mehr toleriert. Es muss auf Englisch gesprochen werden. Rede ich mit Stettler im Dialekt, fragt ihn der Scientologe sofort, was ich gesagt habe. Der Amerikaner wirkt sehr angespannt. Womöglich haften die Ereignisse vom Vortag noch an ihm.
Viel Lärm vor der Kirche
Am Samstag hatten sich 200 Demonstranten vor der Scientology-Zentrale versammelt, um ihrem Ärger über die Sekte mit Vuvuzelas, Tröten und Pfannendeckeln lautstark Luft zu machen. Zeitgleich eröffnete Sekten-Guru David Miscavige höchstpersönlich die neue «Ideale Org» in der Schweiz. Er lobte den Einsatz der Scientology-Mitglieder und vor allem den des Basler Scientology-Präsidenten Patrick Schnidrig. «Schnidrig ist die Reinkarnation von Alexander dem Grossen. Er wird das gründen», verkündet Miscavagie feierlich unter tosendem Applaus der 1500 Sektenmitglieder, die sich hinter der Kirche an der Kayserbergerstrasse versammelten. Auf jeden Applaus folgte höllischer Lärm der Demonstranten auf der anderen Strassenseite. «Wir wollen keine Gehirnwäsche im Iseli-Quartier» und «Xenu frisst euch auf» wird auf Schildern und Spruchbannern propagiert. Mit «Xenu» ist die ausserirdische Gottheit der Scientologen gemeint. Die Sicherheitskräfte der Scientology versuchten Demonstranten und Journalisten von der Eröffnungsfeier fernzuhalten, welche notabene auf Allmendgrund stattfand. Nick Banks ist nicht der Einzige, der uns in der Zentrale verfolgt. Immer wieder taucht vor uns eine Scientologin, ebenfalls in Portiers-Outfit auf, die uns unauffällig fotografiert. Im ersten Stock befinden sich Kurs- und Sitzungsräume, in der Mitglieder Tests und Fragebögen ausfüllen. Stettler führt uns über eine steinerne Treppe in den nächsten Stock. Auf dem langen Gang befinden sich aneinandergereiht Räume, die an Praxiszimmer erinnern. In jedem steht ein E-Meter. «Hier finden die statt», erklärt Stettler. Alle Aussagen der Teilnehmer werden vom Auditor, dem Befrager, schriftlich festgehalten.
Abrupter Interview-Abbruch
«Also plaudern hier die Leute ihre tiefsten Sorgen aus und diese werden dann ad acta gelegt, aber einen Rat zu ihren Problemen erhalten sie nicht», frage ich auf Englisch, da Banks dicht hinter mir steht. «Es hilft Ihnen schon, wenn Sie sich mit Ihren tief in der Seele vergrabenen Problemen befassen, um über diese hinwegzukommen», antwortet mir der Mediensprecher. Banks weiss jedoch, dass ich mit dem Zaunpfahl zum Missbrauch von privaten Daten winke, der Scientology global vorgeworfen wird. Ich solle nicht glauben, was man im Internet erzählt. Die einzige Wahrheit gebe es nur bei Scientology, meint Banks ungehalten. Als wir uns in den Garten setzen wird der Amerikaner aggressiv. Ich befrage Stettler zur Diskriminierung von Homosexuellen bei den Scientologen. Er antwortet mir verneinend und doch sachlich-freundlich. Banks ist aber der Geduldsfaden gerissen: «Wir beenden das Interview hier. Du glaubst, was du glauben willst und kannst morgen deine Lügen in der Zeitung publizieren.» Stettler müsse noch andere Journalisten am Eingang abholen, könne mir aber einen anderen Sprecher zur Verfügung stellen. Banks ist nicht einverstanden. Wir werden wieder ins Entree begleitet und von Stettler verabschiedet. Banks wartet so lange in der Eingangshalle, bis wir das Gebäude ganz verlassen haben.
20min.ch, 26.04.2015
Viel Lärm gegen Scientology-Boss
Am Samstagnachmittag versammelten sich die Gegner und Kritiker von Scientology, um gegen die Eröffnung der Ideal Org in Basels Iselin-Quartier zu protestieren. Thomas Erlemann, der Drahtzieher der Demonstration, hatte dazu aufgerufen, die Eröffnungsfeier der Scientologen mit einem Lärmkonzert zu stören. Die rund 300 Demonstranten, vor allem Anwohner des Quartiers, nahmen sich Erlemanns Aufruf zu Herzen. Während drei Stunden wurde gepfiffen, getrommelt und musiziert. «Ich bin ausserordentlich zufrieden mit meinen Leuten», lobte Erlemann den Protest.
In einer Ansprache forderte er die Anwesenden dazu auf, sich zu benehmen, und richtete ermahnende Worte an diejenigen, die eine Maske trugen. «Anonymous-Masken haben im Widerstand gegen Scientology Tradition. Dennoch bitte ich euch, eure Gesichter nicht zu verdecken», verkündete er mit einem Megaphon vor der versammelten Masse. Die Demonstration fand auf der gegenüberliegenden Seite des Tempels statt. Mehrere Polizisten sorgten dafür, dass niemand die Strasse betrat und den Verkehr störte.
Zweitgrösste Demo gegen Scientology
Auch prominente Gesichter nahmen an dem Protest teil. Wilfried Handl, der fast drei Jahrzehnte lang der höchste Scientologe Österreichs war und nun seit einigen Jahren gegen die Gruppierung kämpft, war von der Aktion beeindruckt. «Das ist die zweitgrösste Demonstration, die in Europa gegen Scientology jemals stattgefunden hat», sagt er. Dank Spendengeldern habe er seine Reise in die Schweiz finanzieren können und würde nun alles haargenau für seinen Blog dokumentieren.
Ursprünglich wäre eine Rede mit dem bekannten Aussteiger geplant gewesen. Doch statt der angekündigten zehn Minuten Krach hauten die Demonstranten derart motiviert auf die Pauken, dass der Lärm nie abbrach. Für eine Ansprache wäre es schlichtweg zu laut gewesen «Meine Rede braucht es überhaupt nicht mehr. Was hier passiert, sagt mehr als tausend Worte», so Handl.
Währenddessen feierten die mehreren hundert geladenen Gäste von Scientology die Eröffnung des Prestigebaus. Abgeschirmt von der Öffentlichkeit, versammelten sie sich im Hinterhof der Lokalität. Sektenboss David Miscavige hielt auf einem kleinen Podium eine feierliche Rede, die tosenden Applaus erntete, den die Demonstranten mit einem Pfeifkonzert quittierten. Die Stimmung blieb allgemein ruhig. Lediglich ein paar rohe Eier wurden aus der demonstrierenden Masse über die Strasse geworfen. Es blieb jedoch bei ein paar Verwarnungen von Seiten der Polizei, die während der ganzen Veranstaltung Präsenz markierte.
Neues Zentrum
Beim neu eröffneten Scientology-Zentrum in Basel handelt es sich laut der Organisation um eine sogenannte «Ideale Organisation» – die erste in der Schweiz sowie nach Berlin und Hamburg die dritte im deutschsprachigen Raum. Untergebracht sind darin ein Informationszentrum, ein Auditorium sowie Büro- und Beratungsräume. Das in einem früheren Gewerbebau an der Burgfelderstrasse eingerichtete Zentrum weist laut Scientology-Sprecher Jürg Stettler 4600 Quadratmeter Fläche auf. Darin tätig sein sollen rund 150 Personen. Hinzu kommen Besucher. Bisher verfügte die Organisation in Basel über ein kleineres Haus in einem anderen Quartier.
Blick, 25.04.2015, Walter Hauser
Der Sekten-Guru in Basel
Den Basler Gegnern von Miscavige und Co. kann das nur recht sein: Rund 200 von ihnen empfingen gestern die rund 1500 geladenen Gäste mit Buhrufen. Bei der Feier machten sie mit Trompeten, Pfeifen und Megafon Krach – die Polizei sorgte dafür, dass die Situation nicht eskalierte. «Diese Sekte ist eine Schande für das Quartier», sagte Thomas Erlemann (51), der den Protest organisiert hatte. «Unser Widerstand hat erst begonnen. Wir werden den Scientologen auch in Zukunft keine Ruhe lassen.»
Tageswoche, 25.04.2015, Michel Schultheiss und Hans-Jörg Walter
Basel – Miscavige mit viel Lärm empfangen
Der Platz vor dem neuen Tempel ist proppenvoll. Bis in die Oltingerstrasse hinein drängen sich Scharen von geladenen Scientology-Gästen. Feierlich wird «Z’Basel an mym Rhy» eingespielt. Dabei kommt vor dem sterilen Bau kurz Musikantenstadl-Stimmung auf: Die zum grössten Teil von auswärts angereisten Besucher klatschen lautstark zum Takt. «Wir erwarteten 1500 Leute, doch es könnten bis zu 2000 sein», sagt Jürg Stettler, Mediensprecher von Scientology Schweiz.
Laut Stettler sollen auch Scientologen aus Deutschland, Italien und Frankreich angereist sein. Der angekündigten Demo gegen die Einweihung des neuen Scientology-Zentrums sieht er gelassen entgegen: «Ich behaupte, dass nicht mehr als fünf Anwohner dabei sind.»
Während sich um 13 Uhr die ersten Demonstranten formieren, geht es auf der anderen Seite der Burgfelderstrasse erhaben zu und her: Das achtzackige Kreuz prangt mächtig über dem Rednerpult. Auf der Bühne werden die Ehrengäste angekündigt und mit wehenden Flaggen empfangen. Marco Pulver, Vertreter des Bauunternehmens Implenia, tritt auf. Das ist eine Überraschung. Der Baukonzern teilt das Gebäude mit Scientology, hat aber bislang jede Verbindung mit der Sekte abgestritten.
Pulver lobt die «Aufklärungsprogramme» von Scientology: «Die Jugend wird gegen den schleichenden Einfluss der Drogen gewappnet», sagt er. Das Programm wird von Fachleuten scharf kritisiert. Zu den Rednern gehört auch ein Mediziner. Er erklärt, wie er mit seiner Kritik an der Psychiatrie zur Organisation gefunden habe: «Scientology hat den Mut, für Freiheit und Gerechtigkeit zu kämpfen».
Etwa zur gleichen Zeit kommt es an der Oltingerstrasse zu unschönen Szenen. Der Versammlungsplatz ist mit Topfpflanzen abgeschirmt. Ein Mann möchte den abgesperrten Strassenabschnitt durchqueren. Sogleich stellen sich ihm zwei Scientology-Mitglieder in den Weg. Schroff wird er in englischer Sprache gefragt, ob er denn einen Sticker habe. «Lassen Sie mich bitte durch, ich wohne hier», meint der Passant. Schliesslich schalten sich zwei Polizisten ein und machen den selbsternannten Strassenwächtern klar, dass sie den Leuten den Durchgang auf öffentlichem Gebiet gewähren müssen. Allerdings hat jeder, der sich durch die Menge bahnt, eine Art unfreiwilligen Escort-Service am Hals – wer passiert, wird auf Schritt und Tritt verfolgt.
Schliesslich kommt es auf der Bühne zu einem Überraschungscoup: Unter tosendem Applaus betritt der Star des Events, Scientology-Chef David Miscavige die Bühne. Sein Besuch war im Vorfeld Inhalt von Spekulationen, wurde jedoch von den Mediensprechern geheim gehalten. Strahlend prophezeit Miscavige den Anwesenden die Expansion seiner Organisation: «Heute Basel, morgen Bern, Zürich und Lausanne», sagt er salbungsvoll.
Dabei spricht er vom goldenen Zeitalter der Dianetik, welches diese Technologie Millionen von Menschen näher gebracht habe. Nebenbei zeichnet er mehrere führende Scientologen aus, die sich als «Freiheitskämpfer» hervorgetan hätten. «Das Ziel ist, dieses Land zu klären und es gibt kein anderes Ziel», verkündet Miscavige. Deshalb seien sie «New Civilization Builders», so etwa Patrick Schnidrig, Präsident von Scientology Basel.
Auch dem leitenden Direktor Rudolf Flösser, welcher eine Treuhand-Firma betreibt, kommt diese Ehre zuteil: «Jetzt arbeitet er als eine Reinkarnation von Alexander dem Grossen für ein neues Schweizer Imperium», rühmt Miscavige die jahrelange Arbeit für die Organisation in Basel. Zum Schluss erscheint das Konterfei von L. Ron Hubbard. Eine gigantische Tischbombe explodiert, rote Schnipsel wirbeln durch die Luft und Ballone steigen in die Höhe: Das Band zur Einweihung der «Ideal Org» wird durchschnitten.
Während die Menge jubelt, klingt es mittlerweile auf der anderen Seite ganz anders: Es kesselt, trillert, pfeift und trötet. Nach und nach verlassen die Scientologen das Festgelände. Ihr Weg führt zwangsläufig an den Demonstranten vorbei. Die Besucherkolonne wird vom anderen Trottoir aus mit Vuvuzelas, Pfannendeckeln, Kuhglocken und Buhrufen empfangen. Über hundert Leute beteiligen sich am Radau. Manche Demonstranten tragen Aluhüte und schrille Verkleidungen, zwei Saxofonisten geben Free Jazz zum Besten.
Die Demonstranten haben unterschiedliche Hintergründe: Eine ältere Anwohnerin, die schon seit fast dreissig Jahren im Iselin lebt, unterstützt die meist jungen Demonstranten: «Scientology verhält sich uns gegenüber sehr aggressiv». Man hätte ihr ebenfalls während den Aufbauarbeiten den Weg versperrt. Zudem empfinde sie die Missionierungsversuche als Ärgernis.
Ebenfalls reichlich Erfahrung mit Scientology hat ein Anonymous-Aktivist, der mit einer Guy-Fawkes-Maske mit von der Partie ist. Nach früheren Protestaktionen seien er und seine Kollegen schon von Sektenmitgliedern verfolgt worden: «Sie haben uns nachgestellt, wollten uns die Maske vom Gesicht reissen und unsere Identität aufdecken», erzählt er.
Andere Leute sind via Facebook auf die Demo aufmerksam geworden – so etwa ein Schüler, welcher gleich neben dem heutigen Tempel aufgewachsen ist. Auch eine Gruppe von Lehrlingen protestiert mit: «Wir finden, dass Scientology Abzocker sind und Leute ausnutzen», meint einer von ihnen. Von der Organisation hätten sie erstmals im Schulunterricht und durch die grossen Standaktionen am Barfüsserplatz erfahren.
Der Anwohner Thomas Erlemann, welcher die «Gewaltfreie Aktion gegen eine Scientology-Zentrale» ins Leben gerufen hat, blickt zufrieden auf die Demo. «Es geht darum, Präsenz zu zeigen». Dabei möchte er weiterhin am Ball bleiben: Ein nächster Schritt sei, das Kreuz, welches gross an der Fassade prangt, anzufechten. Zudem soll eventuell aus der Protestaktion ein Verein hervorgehen.
Zwischen den Scientologen auf der einen Strassenseite und ihren Gegnern auf der anderen, ist Thomas Kessler unterwegs. Der Leiter der Kantons- und Stadtentwicklung möchte den Dialog zwischen Scientology und ihren Kritikern fördern. Dabei zieht er aber Jürg Stettlers Aussage, wonach sich kaum Nachbarn unter den Protestierenden befänden, in Zweifel. «Unmut ist sicherlich bei mehr als fünf Anwohnern vorhanden». Er sieht in der Eröffnung weitreichende Konsequenzen für das Iselin-Quartier. Insbesondere die Ausdehnung bereite ihm Sorgen: Gleich neben dem Tempel möchten die Scientologen Eigentumswohnungen bauen. «Auf der einen Seite gilt in Basel Toleranz, auf der anderen Seite müssen die Ängste der Anwohner ernst genommen werden», meint Kessler.
Bz Basel, 25.04.2015
Scientology-Kritiker: «Einige Praktiken gehören verboten»
«Wenn jemand zu Scientology will, dann wünsch ich ihm viel Spass», meint Wilfried Hendl im Interview mit der «Schweiz am Sonntag». Scientology sei «ein Pickel von vielen». «Wenn es Scientology nicht gäbe, dann gäbe es etwas anderes.» Handl ist gegen ein generelles Verbot der Sekte, doch Praktiken wie das Missionieren, die «Reinigungsprogramme» oder die Verwendung des Kreuzes seien zu verbieten. Der 61-Jährige, der selbst der Sekte während 23 Jahren angehörte, bezeichnet sie heute als «autoritär und faschistoid».
Am Samstag hat die Scientology im Beisein von David Miscavige in Basel ihre «Ideal Org» eingeweiht. Erwartet wurden 1500 Personen, gekommen sind geschätzte 700 bis 800. Die Organisation spricht selbst von 2500 Gästen. Begleitet wurde die Eröffnung durch einen lauten, aber friedlichen Protest von rund 150 Personen.
Tages Anzeiger, 17.04.2015, Hugo Stamm
Luxustempel soll Krise kaschieren
In der Liegenschaft an der Burgfelderstrasse 215 im Basler Iselinquartier herrscht in diesen Tagen emsiges Treiben. Scientologen schleppen Putzkübel und Aktenordner herbei und verleihen ihrem neuen Luxustempel den letzten Schliff, während phasenweise Securitas-Männer das Gebäude bewachten. Die Jünger des Sektengründers Ron Hubbard wollen verhindern, dass Anwohner vor der Eröffnungsfeier am Samstag nächster Woche Farbbeutel oder Eier an die frisch gestrichene Fassade werfen oder Scheiben zertrümmern. Denn im Quartier regt sich seit Wochen Widerstand; die Bewohner schauen der Eröffnung mit Misstrauen entgegen.
Das neue Superzentrum der Scientologen, intern Ideal Org genannt, ist primär ein Prestigeobjekt. Die Sekte putzt sich heraus, um die Krise zu kaschieren. Scientology-Sprecher Jürg Stettier sieht es indes anders: «Eine Ideal Org ist ein Ort, der nach den Vorstellungen von Hubbard aufgebaut ist.» Wer ein solches Zentrum errichten will, muss strenge Vorgaben der amerikanischen Mutterorganisation erfüllen. Basel ist nach Berlin und Hamburg erst das dritte Musterzentrum im deutschsprachigen Raum.
Ehemalige Scientologen beurteilen das neue Zentrum als überdimensionierte Fehlplanung. Das alte Zentrum am Herrengrabenweg 56 in Basel lag recht zentral und umfasste stattliche 2000 Quadratmeter. Doch das reichte nicht, um den Status einer Ideal Org zu erreichen. Das neue Gebäude weist stattliche 4600 Quadratmeter auf, liegt aber am Stadtrand unweit der französischen Grenze. Aussteiger vermuten, dass sich die Scientologen bald darin verlieren werden. Vizepräsident Rolf Moll widerspricht. Das bisherige Zentrum sei zu klein geworden. «Es gab kein Infozentrum, keine Versammlungshalle und viel zu wenig Räumlichkeiten für unsere Dienste.»
Die Idee, Ideal Orgs aufzubauen, ist bereits zehn Jahre alt. 2004 verkündete der amerikanische Sektenboss David Miscavige die Aktion. Bis 2010 sollten alle grösseren Zentren weltweit diesen Status erlangen. Der Sinn der neuen Luxustempel wurde den Scientologen so erklärt: «Diese Idealen Kirchen sind eine Verkörperung des Wissensschatzes von L. Ron Hubbard und dafür entworfen, ihren Mitgliedern und der Gemeinde den vollen Umfang der Scientology-Dienste zur Verfügung zu stellen.»
Was der oberste Scientologe Miscavige nicht hervorstrich: Finanzieren müssen die Superzentren die Scientologen an der Basis. Obwohl die Mutterkirche in den USA milliardenschwer ist, leistet sie an die neuen Zentren keinen Cent.
Deshalb starteten die «Kirchen» ein beispielloses Fundraising. Weltweit brach in den grösseren Scientology-Zentren eine hektische Betriebsamkeit aus. Es begann ein Wettbewerb, der für manche Zentren ruinös wurde. Mitarbeiter beknieten Sektenanhänger bei jeder Gelegenheit, Geld zu spenden. Diese wurden mit Videos, Mails und Einladungen zu Sponsorenevents förmlich bombardiert. In einem internen Werbevideo beschwört eine Scientologin die Mitglieder: «Wenn du in eine Ideal Org investierst, investierst du in deine eigene Ewigkeit. Ideal Orgs retten den Planeten.»
Unterdrückung, Ausbeutung
Das Hauptquartier in den USA lancierte die weltweite Aktion vor allem auch aus strategischen Überlegungen. Nach einem Boom in den 1980er-Jahren begann der langsame Abstieg. Die «am schnellsten wachsende Kirche der Welt» (Originalton Scientology) schrumpfte. Anfang der Nullerjahre erschütterten ausserdem interne Skandale die Sekte. Kader-leute aus der Hauptzentrale verliessen Scientology fluchtartig und deckten die Machenschaften in Fernsehinterviews und Büchern auf: Unterdrückung, Ausbeutung, Strafaktionen.
Die Aktion Ideal Org sollte auch dazu dienen, von den Skandalen abzulenken, über die Krise hinwegzutäuschen und die Reihen intern zu schliessen. Die Botschaft: Wir expandieren und werden mit den Ideal Orgs noch schlagkräftiger.
Für die Scientologen an der Basis begann damit eine Leidenszeit. Trotz intensiver Spendeaktionen verpassten es die meisten Organisationen, ihre Ideal Org bis 2010 zu realisieren. Obwohl die Basler schlechte Voraussetzungen hatten und besonders unter der Krise litten, erreichten sie verspätet das ambitiöse Ziel. Der Grund: Gleich mehrere Mitglieder sind im Immobilienhandel tätig. So kauften der Basler Scientology-Präsident Patrick Schnidrig und der Scientologe Heinrich Renggli Anfang 2011 das 4000 Quadratmeter grosse Grundstück im Iselinquartier. Dazu gehören zwei Bürogebäude, eine Werkstatt, eine Tankstelle, ein Wohnhaus und eine Transformatorenstation. Ein teures Projekt, denn allein das Grundstück wird auf 5,5 Mio. Franken geschätzt. Schnidrig gehört die Burgfelder Immobilien AG, Heinrich Renggli die Estaniola Immobilien GmbH.
Als Unterstützer und Spender engagierten sich weitere Scientologen, die ebenfalls mit Immobilien handeln. In erster Linie Rudolf Flösser, Leitender Direktor von Scientology Basel, dessen Treuhandfirma hauptsächlich Wohnhäuser kauft und Mietwohnungen in Stockwerkeigentum umwandelt. Involviert sind auch Swiss Immo Trust AG und die Welcome Home Immobilien. Die Basler «TagesWoche» formuliert es so: «Das Sektennetzwerk um Flösser kauft alte Liegenschaften, wirft die Mieter raus und veräussert den sanierten Bau als Stockwerkeigentum an Private.» Ein Businessmodell, mit dem auch deutsche Scientologen reich wurden. Es ist davon auszugehen, dass Schnidrig und Renggli eine Mischrechnung machen und Scientology Basel ihre Ideal Org zu günstigen Konditionen überlassen. Wie sie den Deal rechtlich abwickeln, ist nicht bekannt. Auf Anfrage sagte Renggli, er könne keine Auskünfte zu Firmeninternas geben.
Das alte Gebäude gehörte einer SK Basel GmbH, also der Scientology «Kirche», die als Verein firmiert. Auch bei dieser spielte Patrick Schnidrig eine zentrale Rolle; er war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Obwohl im Grundbuchamt die Burgfelder und Estaniola Immobilien eingetragen sind, sagt Sprecher Rolf Moll: «Das Gebäude gehört nicht zwei Immobilienfirmen, das Haus wird unserem Verein gehören.» Der Umbau des neuen Zentrums nach den Vorgaben der Mutterorganisation kostete schätzungsweise fünf Millionen Franken.
Neben den Finanzen gab es eine weitere Hürde: Eine Ideal Org von der Grösse Basels muss rund 150 Vollzeit-Mitarbeiter engagieren. Doch am Rheinknie sind höchstens ein paar Hundert Mitglieder aktiv. In seinem Dilemma suchte das Kader in der ganzen Schweiz und im nahen Ausland weitere Mitarbeiter – auch auf die Gefahr hin, damit andere Zentren zu schwächen.
Zürcher Scientologen fehlt Geld
Wie schwierig die Finanzierung einer Ideal Org ist, haben die Zürcher Scientologen erfahren. Obwohl sie mit Abstand das erfolgreichste Zentrum in der Schweiz sind und eines der erfolgreichsten weltweit führen und seit zehn Jahren ein intensives Fundraising betreiben, sind sie noch weit vom Ziel entfernt. In ihrer Projektkasse klafft auch heute noch ein Loch. Nach Auskunft von Scientology-Sprecher Jürg Stettier haben sie noch nicht einmal eine geeignete Liegenschaft gefunden.
Stettier will nichts von einer Krise oder von Problemen bei der Ideal Org in Basel wissen. Bei 5500 aktiven Scientologen in der Schweiz liessen sich 150 Mitarbeiter finden. Doch für Aussteiger und Beobachter sind die Angaben viel zu hoch, sie gehen von höchstens 1000 Schweizer Anhängern aus. Zählt man die 120 Mitarbeiter aus dem Zürcher Zentrum und die rund 50 aus den übrigen «Kirchen» hinzu, ist beinahe jeder dritte Scientologe vollamtlich beschäftigt. Da sie keinen Lohn erhalten, fallen sie auch weitgehend als Spender aus. Somit tragen vermutlich etwa 700 Anhänger die ganze finanzielle Last.
Manche Basler Scientologen hielten den jahrelangen Spendenaufruf und den Tanz um das neue Zentrum nicht mehr aus und verliessen die Sekte. «Der Druck wurde unerträglich», sagt einer der Aussteiger. Er vermutet, dass sich die Basler «Kirche» finanziell übernommen hat. Das ehemalige Mitglied will anonym bleiben, denn es habe erfahren, wie Kritiker mundtot gemacht würden. «Scientology kann einem Aussteiger das Leben zur Hölle machen.»
Dass die Ideal Orgs ein finanzielles Risiko eingehen, zeigt das Beispiel Berlin. In der deutschen Hauptstadt eröffneten die Scientologen 2007 ihr sechsstöckiges Gebäude. Ein ehemaliger Mitarbeiter zeichnet ein düsteres Bild. Der durchschnittliche Wochenlohn habe 20 Euro betragen, manchmal seien es nur ein oder zwei Euro gewesen, sagt er. Zwischen 2008 und 2012 hätten die wöchentlichen Einnahmen lediglich 3500 Euro betragen. Um Strom zu sparen, durften die Mitarbeiter den Lift oft nicht benützen. Manchmal seien die Telefonleitungen tot gewesen, weil die Rechnungen nicht bezahlt worden seien. Um die erforderlichen Quoten zu erfüllen, hätten sie Leute von der Strasse als Mitarbeiter rekrutiert, ohne ihnen zu sagen, dass sie keinen Lohn erhalten würden.
Was motiviert eine Organisation, die sich Kirche nennt, ihre Mitarbeiter für Gotteslohn bis zu 60 und mehr Stunden pro Woche arbeiten zu lassen? Scientology-Sprecher Jürg Stettier vergleicht sie gern mit Mönchen. Doch der Scientology-Sprecher vergisst, dass Klöster ihre Mitglieder lebenslang betreuen. Die Scientologen hingegen müssen für ihren gesamten Lebensunterhalt selbst aufkommen und haben eine minimale Altersvorsorge. Wer die Ausbeutung satt hat und die Sekte verlässt, steht meist vor dem Nichts und leidet unter einer Schuldenlast.
Krise hin oder her: Die Schweizer Scientologen sind momentan in Festlaune und können die Eröffnung der ersten Ideal Org kaum erwarten. Der Sprecher der Basler Scientologen erwartet 1000 bis 1500 Gäste für die Einweihungsfeier. Öffentlichkeit und Medien haben keinen Zutritt. Ob der oberste Scientologe, David Miscavige, aus den USA anreist, will Moll nicht verraten. Auszuschliessen ist es nicht, denn der Boss erwies seinen Anhängern schon bei verschiedenen Eröffnungen von Ideal Orgs die Ehre.
«Alles, was Krach macht»
Sicher anwesend sein werden Thomas Erlemann und seine Mitstreiter. Die Quartierbewohner haben die «Gewaltfreie Aktion gegen eine Scientology-Zentrale» gegründet und proben seit mehreren Monaten den Aufstand. «Es ist ein Skandal, dass Scientology sich in einem Wohnquartier einnistet», sagt Erlemann. «Wir stellen uns auf einen langfristigen Widerstand ein.»
Von einem Widerstand im Quartier will Rolf Moll nichts wissen. «Wir haben viele positive Gespräche mit Quartierbewohnern und sind sicher, dass das Interesse, uns zu besuchen, nach der Eröffnung wachsen wird», sagt der Scientology-Sprecher. «Wenn zwei bis drei Personen mit zum Teil illegalen Methoden agitieren, heisst dies nicht, dass das Quartier Scientology ablehnt. Es kursieren zum Teil immer noch alte Falschinformationen, die wir mit der Eröffnung dieses Gebäudes abbauen werden.»
Zu einer Versöhnung wird es aber bei der Eröffnungsfeier nicht kommen. Erlemann und seine Mitstreiter wollen die Scientologen lautstark empfangen. Die Devise des Widerstandes der «Gewaltfreien Aktion»: «Alles, was Krach macht.»
Blick, 15.04.2015, Beat Michel
Widerstand gegen neuen Mega-Tempel der Pseudo-Kirche. Basler bieten Scientology die Stirn
Der Countdown für das neue Zentrum an der Burgfelderstrasse 215 in Basel läuft. Am 25. April öffnet der Scientology-Mega-Tempel Ideal Org seine Pforten. Er ist der erste in der Schweiz. In Europa gibt es nur elf davon. Das Repräsentationsgebäude der Psychosekte soll neue Mitglieder anziehen, denn es gibt immer weniger. Bisher war Zürich mit 120 hauptamtlichen Mitgliedern das Schweizer Zentrum der Sekte. Mit dem Ideal Org wird es Basel. 150 Menschen sollen dort arbeiten. Mit 4600 Quadratmetern ist das Gebäude beinahe doppelt so gross wie jenes in Zürich.
Die Scientologen sind im Iselin-Quartier nicht willkommen. «Mir ist es unheimlich, wenn die Menschenfänger hier unterwegs sind, wo unsere Kinder zur Schule gehen», sagt eine Anwohnerin. Unter dem Motto «Alles, was Krach macht» organisieren zwei Quartier-Originale eine Anti-Scientology-Party. «Wir werden die Eröffnung stören, so gut wir halt können», sagt Thomas Erlemann (50), Anführer der Basler Scientology-Gegner. Er ist Gründer der Organisation «Gewaltfreie Aktion gegen eine Scientology-Zentrale in Basel». Ihn unterstützt der Informatiker Manfred Harrer (63), zuständig für die Aktualisierung der Internetseite. Harrer baut nebenbei eine Datenbank auf, die alle Basler Scientologen aufführt. «Damit sie nicht Firmen und Ämter infiltrieren können», sagt Harrer.
Erlemann und Harrer geniessen breite Unterstützung. Etwa von Physiker Andreas Aste, Präsident der CVP-Sektion Grossbasel West und Privatdozent an der Basler Universität. Aste wohnt ebenfalls im Quartier: «Die Sekte hat einen Ruf, da läuten bei mir alle Alarmglocken. Sie beutet wehrlose Menschen aus.» Laut Aussteigern werden Mitglieder psychisch abhängig gemacht und finanziell ausgebeutet. Georg Otto Schmid (48), Leiter der evangelischen Infostelle Relinfo, sieht im neuen Tempel eine Offensive: «Scientology kämpft mit happigem Mitgliederschwund. Die Ideal Org sind Teil der aktuellen Kampagne, den Trend umzukehren. Grosse Bauten sollen neue Mitglieder anlocken.»
Es werden zwar stets weniger, aber ein paar reiche Schweizer finanzieren Scientology nach wie vor. «Die verbleibenden Mitglieder stehen unter enormem Druck», sagt Susanne Schaaf (50), Geschäftsführerin der Zürcher Beratungsstelle Infosekta. «Sie arbeiten bis zur Selbstausbeutung, um die Vorgaben zu erfüllen.» Schlechtes Omen für das Basler Zentrum? «Der Ideal Org in Berlin war ein Flop», sagt Schmid: «Das Gebäude steht so gut wie immer leer.» Scientology Schweiz versteht den Widerstand nicht: «Die Anwohner werden uns gar nicht wahrnehmen, beteuert Sprecher Jürg Stettler. «Wir arbeiten da nur, missioniert wird woanders.»
Tageswoche, 02.04.2015, Matthias Oppliger
Scientology will Zentrum am 25. April eröffnen
Am 25. April werden die Storen hochgezogen, dann wird der neue Hauptsitz der Basler Scientologen offiziell eröffnet. Es ist bereits der zweite Versuch. Zuerst schrieb die «bz Basel», der Basler Ableger der Scientology wolle den neuen Hauptsitz an der Burgfelderstrasse 215 Anfang März eröffnen. Dann wurde der Termin verschoben. Gegenüber der «Schweiz am Sonntag» begründete die Sekte die Verschiebung mit Bauarbeiten, die noch nicht abgeschlossen seien. Nun haben die Scientologen bei der Allmendverwaltung ein neues Gesuch eingereicht. Demzufolge soll die Eröffnung nun am 25. April stattfinden. Rolf Moll, Mediensprecher der Scientology Basel, bestätigt den Termin auf Anfrage zögerlich. «Wir wollen den Ball flach halten. Die Veranstaltung am 25. April ist nur für Mitglieder gedacht.» Erst in der Woche darauf seien auch «Tage der offenen Tür» vorgesehen.
Für die Feierlichkeiten am 25. April erwarten die Scientologen viel Besuch aus dem In- und Ausland. «Wir rechnen mit bis zu 1500 Gästen», sagt Moll. Über das genaue Programm der Eröffnungsfeier will Moll nicht weiter Auskunft geben. «Der grösste Teil der Veranstaltung findet ohnehin im Gebäude statt, davon werden die Nachbarn kaum etwas mitbekommen», sagt er. Allerdings soll das Gebäude vor dem Betreten durch die Mitglieder von aussen feierlich eröffnet werden, ähnlich wie dies vor einigen Monaten in Kopenhagen geschehen ist.
Blick.ch, 26.05.2015, Beat Michel
Aufruhr in Basel, weil Psycho-Sekte Versprechen bricht – Hier missioniert Scientology
Die Video-Aufnahmen von vergangener Woche beweisen es: Die Scientologen an der Burgfelderstrasse in Basel versuchen im Quartier um den neuen Mega-Tempel Mitglieder anzuwerben. Drei Männer sprechen an diesem Mittwoch Passanten an. Wollen ihnen einen Besuch des Scientology-Tempels aufschwatzen. Die Fusssoldaten tragen dunkle Anzüge, ähnlich wie die Agenten im Film «Matrix». Es ist die Uniform der Mitglieder-Jäger der Psychosekte. Die Aktion findet nur 500 Meter vom neuen Sektentempel entfernt statt, den Sektenboss David Miscavige persönlich am 26. April einweihte. Aus Angst vor der Organisation hatten besorgte Bürger im Vorfeld dagegen protestiert.
BLICK und anderen Medien hatte der Sprecher von Scientology Schweiz, Jürg Stettler, vor der Eröffnung des Ideal Org versprochen, im Quartier um den Sektenbau nicht zu missionieren. Am 14. April sagte Stettler zu BLICK: «Wir arbeiten da nur, missioniert wird woanders.» Zu Telebasel sagte Stettler am 23. März in der Sendung «061 live» auf die Frage, ob Scientology im Quartier Mitglieder anwerben werde: «Das ist absolut nicht geplant. Tatsache ist, dass wir 25 Jahre im Gotthelfquartier waren, und das da auch nie gemacht haben.»
Dass Scientology seine Mitarbeiter in Tempelnähe zum Missionieren schickt, ist der Polizei bekannt. «Seit der Eröffnung des Scientology-Tempels in Basel sind bei der Polizei fünf Beschwerden wegen missionierender Scientologen eingegangen», sagt Martin Schütz, Sprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt. «Wir prüfen jetzt, ob es sich bei den Vorkommnissen um Verstösse gegen den Paragrafen 23a des kantonalen Übertretungsstrafgesetzes handelt. Das wäre der Fall, wenn Passanten bei einer Anwerbung auf unzumutbare Weise belästigt werden oder täuschende oder sonst unlautere Methoden angewendet werden.»
Scientology sieht sich teilweise ertappt. «Die kürzliche Aktion war nicht so mit dem Vorstand abgesprochen und ist in dieser Form auch nicht mehr geplant», sagt Annette Löffler, Sprecherin von Scientology Basel. Sie streitet aber ab, dass Scientology etwas versprochen habe. Man habe nur mitgeteilt, dass nicht geplant sei, in unmittelbarer Nähe des Gebäudes Leute anzusprechen. Im Übrigen hätten sich die drei Männer bei der Aktion freundlich verhalten. Nur ein paar wenige Personen hätten den Umstand, dass Leute angesprochen wurden, als störend empfunden.
hpd.de, 22.05.2015, Manfred Isemeyer
Scientology vor dem Aus?
Eine Filmdokumentation über die Sekte sorgt in den USA für Wirbel: Scientology vor dem Aus?
Seit Anfang des Jahres kämpft die weltweit operierende Psycho-Sekte an ihrem Stammsitz USA ums Überleben. Breite Diskussionen über die Machenschaften von Scientology löste die Uraufführung der Dokumentation «Going Clear: Scientology and the Prison of Belief» am 25. Januar 2015 auf dem renommierten Sundance Film Festival in Park City, Utah, aus. Der Film basiert auf dem gleichnamigen, 2013 erschienenen Buch von Lawrence Wright. Regisseur Alex Gibney, ein Oscar-Preisträger, breitet in seinem zweistündigen Film mit Archivmaterial, Rekonstruktionen und Interviews die perfiden Mechanismen von Scientology aus. Die Dokumentation gliedert sich in drei Teile. Im ersten berichten ehemalige Scientologen aus dem Innenleben der Sekte, im zweiten Teil wird die Geschichte der Organisation und ihres Gründers L. Ron Hubbard beschrieben. Dem Film zufolge soll Hubbard seine erste Frau geschlagen, gemeinsame Tochter nach Kuba entführt und sie dort einer sozial inkompetenten Pflegemutter überlassen haben. Im finalen Teil wird der Aufstieg des heutigen Scientology-Boss David Miscavige nachgezeichnet. Ihm werden u.a. vorgeworfen, Sektenmitglieder psychisch unter Druck gesetzt zu haben.
Prominente Aussteiger wie der ehemalige PR-Sprecher Mike Rinder und Mark Rathbun, einst rechte Hand von Miscavige, schildern Belästigungen, Überwachungen und Einschüchterungen durch Scientology. Dargestellt wird die «Inhaftierung» von missliebigen Führungskräften in einer Art Konzentrationslager, «The Hole» genannt, in Riverside County, Kalifornien. Nicht zuletzt unterstreicht der Film auch die Rolle von prominenten Mitgliedern wie Tom Cruise und John Travolta. Die beiden Hollywood-Stars gehören seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Aushängeschildern von Scientology. «Going Clear» enthüllt, dass Tom Cruise Scientology-Mitgliedern, die in seinem Haus arbeiten, gerade mal 40 Cent pro Stunde zahlt. Travolta sieht Regisseur Alex Gibney als Erpressungsopfer der Sekte. Über Jahre hinweg soll die Organisation in sogenannten Auditings brisante Informationen aus dem Privatleben des Schauspielers gesammelt haben, vor allem zu dessen angeblichen homosexuellen Neigungen. Eine Abkehr von der Sekte wäre das berufliche Aus für John Travolta.
Dass Gibneys Enthüllungen politischer Sprengstoff sind, war den Produzenten des Films, dem amerikanischen Bezahlsender HBO, früh klar. 160 Anwälte prüften die Dokumentation im Vorfeld, um sich gegen Klagen der Organisation zu wappnen. Nach der Uraufführung wurde der Film zunächst am 13. März 2015 in ausgewählten Kinos in New York, Los Angeles und San Francisco gezeigt. HBO strahlte “Going Clear” am 25. März 2015 erstmals im Fernsehen aus. Die TV- Premiere war für amerikanische Verhältnisse ein riesiger Erfolg. Mit 6,8 Mio Zuschauern war sie die zweiterfolgreichste HBO-Dokumentation seit zehn Jahren. Ein Filmstart in Deutschland ist noch ohne Termin.
Scientology-Reaktionen
Bereits zehn Tage vor der Filmpremiere schaltete die Scientology ganzseitige Anzeigen in der New York Times und der Los Angeles Times und polemisierte darin gegen die «Ausstrahlung von falschen Informationen». Mit einem «Special Report» auf ihrer Website wehrt sich die Organisation gegen die Vorwürfe; eigens wurde ein Twitterkanal eingerichtet, um gegen den Film anzuschreiben. Zudem kaufte Scientology zahlreiche Google-Suchergebnisse, um damit zu ihrer Anti-«Going Clear»-Seite zu lenken. Die Sekte beschwerte sich bei zahlreichen Journalisten über die «Lügen» in den Bewertungen des Films und verlangte Gegendarstellungen. Und sie schickte, wenig überraschend, John Travolta ins Feld. Er sei so glücklich über seine 40 Jahre bei Scientology und könne keine negative Perspektive einnehmen. Der Film sei ein Produkt von Menschen, die «verdrossen» und «negativ» seien. Tom Cruise hat bislang nicht Stellung bezogen.
Die Zeitung New York Daily News berichtet jetzt, dass die beiden Hollywood-Stars ausgedient haben. Für eine neue Image-Kampagne sucht Scientology «normale» Gesichter von jungen Männern und Frauen in den Zwanzigern. Es bleibt abzuwarten, was an dieser Meldung stimmt.
Vor einem existentiellen Überlebenskampf
Die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion in den USA stellen erstmals seit Jahren die Glaubwürdigkeit von Scientology ernsthaft in Frage. Schätzungen von amerikanischen Experten gehen davon aus, dass die Zahl der aktiven Mitglieder der Sekte mittlerweile auf 25.000 gesunken ist. Dies dürfte die Organisation noch verkraften. Die Alarmglocken im Hauptquartier in Florida werden in erster Linie wohl deshalb schrillen, weil «Going Clear» klar macht, dass Scientology als Sekte und nicht als Religionsgemeinschaft einzustufen ist und daher keine Steuervorteile genießen darf.
Seit dem 1. Oktober 1993 wird Scientology von der amerikanischen Steuerbehörde (IRS) nicht mehr als Wirtschaftsunternehmen, sondern als gemeinnützige Organisation angesehen und ist daher steuerbefreit. In der Öffentlichkeit werden jetzt verstärkt Forderungen laut, dass die IRS den Status von Scientology überprüft und das Gesamtvermögen inklusive der globalen Immobilien-Bestände von mehr als 3 Milliarden US-Dollar zukünftig besteuert. Eine solche Maßnahme dürfte das Fundament des Imperiums nachhaltig erschüttern, wenn nicht gar ganz zum Einsturz bringen.
Auch ein anderes Faktum wird den Scientologen zu schaffen machen: Der Rückgang der Religiosität in den USA. Laut einer Umfrage von 2012 sind nur 70 Prozent der Amerikaner der Auffassung, dass Scientology keine echte Religion ist. Diese Zahl wird sich nach den jüngsten Enthüllungen sicherlich erhöhen. Und ein weiterer Trend ist von Relevanz. Nach einer aktuellen Studie des amerikanischen PewRearchCenters in Washington wird Amerika säkularer. Die Gruppe der Nicht-Religiösen beträgt 22,8 Prozent an der Gesamtbevölkerung. 2007 wurden den Säkularen noch 36 Mio zugerechnet (16,1 Prozent der Gesamtbevölkerung). Bleibt zu hoffen, dass die Stimmung in den USA nicht kippt und Scientology eines nahen Tages ganz von der Bildfläche verschwindet.
Blick.ch, 19.05.2015, Carmen Schirm-Gasser
Umstrittene Ritalin-Praxis – Scientology schwärzt Schweiz bei Uno an
Die Ohrfeige der Uno kam im Februar. Und sie war heftig. In ihrem Bericht über die Schweiz, der alle fünf Jahre erscheint, zeigen sich die Vereinten Nationen besorgt über die «exzessive Diagnosestellung von ADHS» in unserem Land und die daraus folgende «Zunahme der Verschreibung von psychostimulierenden Drogen wie Ritalin an Kinder». Die Verschreibungspraxis werde trotz der «wachsenden Evidenz von schädigenden Auswirkungen dieser Drogen» weitergeführt. Kindern werde mit dem Schulausschluss gedroht, wenn ihre Eltern einer Behandlung mit Psychostimulanzien nicht zustimmen.
Schweizer Experten fragten irritiert: Wie kommt der UN-Kinderrechtsausschuss zu diesem Fazit? Dieser lädt Staaten und NGO ein, Informationen über ein Land zu liefern. Aber nur drei Berichte nahmen Stellung zum Thema Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS), die mit Ritalin behandelt werden kann. Nachzulesen ist dies auf der UN-Website. Darunter der offizielle Staatenbericht der Schweizer Regierung. Dieser kann kein grundsätzliches Problem orten. Das Netzwerk Kinderrechte Schweiz wiederum kritisiert gewisse Tendenzen rund um die Verabreichung von Ritalin. Erst ein dritter Bericht warnt über ganze zehn Seiten vor den Zuständen und der missbräuchlichen Betäubung von Kindern mit Ritalin. Der Absender: CCHR, eine Unterorganisation von Scientology.
Zahlreiche Aussagen des UN-Berichts basieren offensichtlich auf dem Scientology-Bericht, wie ein Vergleich aller Berichte zeigt. Teilweise wurden sie akzentuiert, stellenweise praktisch wortwörtlich übernommen. Das Fazit: Die Uno attackiert die Schweiz. Und sie tut dies mit Informationen aus der Küche von Scientology. Purer Zufall? Geht es nach der Uno, ja. «Wir sammeln Informationen aus verschiedenen Quellen», sagt Maria Herczog, Sprecherin des UN-Kinderrechtsausschusses. Die Tatsache, dass die Scientologen zu einem Thema einen Standpunkt hätten, heisse nicht, dass dieser falsch sein müsse. Dem widerspricht Isolde Schaffter-Wieland, Mediensprecherin des Vereins Elpos, der Eltern von Kindern und Erwachsenen mit ADHS unterstützt. «Dass sich ein Uno-Komitee so stark und unkritisch auf einen Scientologen-Bericht abstützt, ist sehr irritierend.» Die Organisation agiere seit Jahren aus dem Hintergrund und versorge die Politik mit fragwürdigen Informationen zu ADHS.
Beim Bund zeigt man sich überrascht über die Intransparenz der Uno. «Es wäre wünschenswert, dass der UN-Kinderrechtsausschuss seine Quellen transparent macht», sagt Katrin Holenstein vom Eidgenössischen Departement des Inneren. Ob Scientology eingeladen werden dürfe oder müsse und welches bei der Uno die entsprechende Praxis sei, könne von aussen nicht beurteilt werden. Eine Organisation indes ist sich sicher, wer hier falsch spielt. «Ganz unauffällig konnte Scientology kürzlich einen Erfolg verbuchen», schreibt Infosekta, eine Organisation zur Beratung zum Thema Sekten, in ihrem Jahresbericht. «Ihre tendenziöse Sichtweise fand kürzlich prominent Eingang im Uno-Bericht.» Und was sagt Scientology? Die Organisation zeigt sich erfreut, dass die Uno offensichtlich ihren Bericht analysiert und als wertvoll taxiert hat.
Basler Zeitung,26.06.2015, Markus Vogt
Politik nimmt Scientology ins Visier
Irreführendes Kreuz: Das Symbol soll von der Fassade der Scientology-Filiale entfernt werden, weil es fälschlicherweise einen Bezug zur Religion suggeriere. Die Organisation Scientology kommt mit ihrer im April bezogenen Liegenschaft an der Burgfelderstrasse, der sogenannten Flag Org, ihrer grössten Filiale in der Schweiz, bei verschiedenen Parteien nicht gut an. Schlecht goutiert wird auch, dass das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) den Verein Scientology als «religiöse Gemeinschaft» anerkannt hat.
SVP-Grossrat Michel Rusterholtz und SP-Grossrätin Sarah Wyss fordern in einem Vorstoss, das Übertretungsstrafgesetz so anzupassen, «dass die Polizei restriktiver und nachhaltiger vorgehen kann gegen Anwerbungen von Scientology (oder Dritten)». Für nicht belehrbare Wiederholungstäter sollen nicht nur Ordnungsbussen verhängt werden können – diese sollen vielmehr an die Staatsanwaltschaft verzeigt werden, fordern die beiden Politiker. Für die Staatsanwaltschaft seien die Voraussetzungen für die Aussprache von wirkungsvollen Strafen zu schaffen. Rusterholtz und Wyss verlangen weiter, es solle verfügt werden, dass das Kreuz an der Hausfassade entfernt wird. Das überdimensionierte christliche Kreuz an der Hausfassade suggeriere eine christliche Kirche, obwohl die Organisation ein kommerzielles Unternehmen sei. «Scientology ist weder eine Kirche noch eine Religion», sagen Rusterholtz und Wyss. Sie fordern, dass an der Hausfassade statt des Kreuzes ausschliesslich eine unmissverständliche Bezeichnung angebracht werden darf.
Auch Kinder nicht sicher
Scientology kontaktiere mit Vorliebe labile Menschen in schwierigen Lebensphasen, und auch Kinder seien vor der Sekte nicht sicher. Anwohner beklagten, dass Jugendliche und Kinder von Sektenmitgliedern angesprochen und ausgefragt würden; bei der Kantonspolizei seien schon mehrere Strafanzeigen eingegangen. Viele Quartierbewohner wollten, dass der durch die Aufwertung des Standortes entstandene Mehrbetrieb unterbunden werde. Die Anwohner wollten auch, dass Scientology das Missionieren auf öffentlichem Grund untersagt wird. Schliesslich soll das Amt für Wirtschaft und Arbeit angewiesen werden, Scientology nicht als religiöse Gemeinschaft zu kategorisieren, sondern als normale Gewerbetreibende.
Auch die EVP protestiert scharf. «Mit sehr grossem Befremden hat die EVP zur Kenntnis genommen, dass das AWA die Psychosekte als religiöse Gemeinschaft anerkannt hat. Dies ist nicht nachvollziehbar, haben Mitglieder des Grossen Rates immer wieder mit parlamentarischen Vorstössen auf die Gefahren dieser gefährlichen Bewegung hingewiesen», teilt die Partei mit. EVP-Grossrätin Annemarie Pfeifer habe schon 2012 mit einer Interpellation darauf hingewiesen. Die EVP weist noch auf eine Mitteilung der drei Landeskirchen zum Begriff Kirche hin: «Der Begriff ‹Kirche› bezeichnet nach abendländischem Kulturverständnis ausschliesslich Religionsgemeinschaften, deren Mitglieder der Glaube an Jesus Christus eint.» Auch lasse sich Scientology nicht in die Nähe einer anderen Religion einordnen. «Die Lehren der Scientology sind der Psychologie zuzuordnen und ihre Interessen an einer Anerkennung sind finanzieller Art», schreibt die EVP. Zum Thema Scientology liegt auch bereits eine Interpellation der CVP vor.
Tageswoche.ch, 17.06.2015
Streit um Anerkennung von Scientology als religiöse Gemeinschaft
Er sei empört darüber, dass Scientology als religiöse Gemeinschaft anerkannt werde, sagt der Fraktionspräsident der CVP Basel-Stadt, Remo Gallacchi, am Telefon. Es sei ein «völlig falsches Signal», wenn solche Organisationen auf einer Stufe mit anderen Religionen stehen würden. «Wozu führt das? Dass jeder, der einen Apfelbaum anhimmelt, auch als religiös eingestuft wird?» Anlass für Gallacchis Ärger gibt das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA). Dieses erteilte den Scientology-Mitarbeitern vor Kurzem die Erlaubnis, ihre Kirche auch sonntags zu öffnen. In einer Stellungnahme des AWA, welche der Blog «infamy» veröffentlichte, qualifiziert das AWA die Scientologen als «religiöse Gemeinschaft» und damit dürfen sie nach geltendem Arbeitsgesetz auch am Sonntag arbeiten. Anerkennung als Religionsgemeinschaft muss durch den Grossen Rat.
Für Gallacchi ist klar: Die arbeitsrechtliche Beurteilung kommt einer Anerkennung als Religionsgemeinschaft gleich. Und für diese Anerkennung sei das AWA eigentlich nicht zuständig. Das AWA habe deshalb «formell nicht korrekt» gehandelt. Tatsächlich steht in der Kantonsverfassung, dass die Anerkennung von Religionsgemeinschaften «mit Beschluss des Grossen Rates» erfolgen muss. Dies war bei Scientology nicht der Fall. Die Frage bleibt offen, ob mit der Erteilung einer Arbeitserlaubnis eine Anerkennung als Religionsgemeinschaft erfolgte. Für eine Antwort stand das AWA am Dienstagnachmittag nicht zur Verfügung. Gallacchi findet, das AWA hätte bei einem derart sensiblen Thema anders vorgehen müssen. «Das AWA und damit der Kanton Basel-Stadt machen sich damit zum direkten Verbündeten einer ausbeuterischen Sekte», schreibt Gallacchi in einer Medienmitteilung.
Behörden schieben sich Verantwortung zu
Derweil schieben sich die Behörden die Verantwortung gegenseitig in die Schuhe. Laut «infamy»-Blog ist das vom Bund zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) der Meinung, das AWA habe «gesetzeskonform» gehandelt. Scientology falle «als sogenannte ‹neue religiöse Gemeinschaft› unter den Anwendungsbereich» des Arbeitsgesetzes. Das AWA schiebt die Verantwortung ans Seco: «Das Seco hat uns gegenüber bestätigt, dass auch Scientology als religiöse Gemeinschaft im Sinne von Artikel 3 des Arbeitsgesetzes zu qualifizieren sei.» Gallacchi will nun eine Interpellation einreichen und beim Regierungsrat nachfragen, «weshalb das AWA seine Kompetenzen überschritten hat und welche Beweggründe die Behörde dazu gebracht haben, sich zum Verbündeten einer höchst verwerflichen Sekte zu machen». Das letzte Wort ist in der Causa Scientology noch nicht gesprochen.
Basler Zeitung, 13.06.2015, Serkan Abrecht
Behörde anerkennt Scientology als Religion
Auch sonntags geöffnet: Die Angehörigen von Scientology sind laut dem Basler Amt für Wirtschaft und Arbeit vom Arbeitsgesetz befreit.
Die sich als Kirche definierende Organisation Scientology sorgt seit der Eröffnung ihrer «Ideal Org» (die BaZ berichtete) an der Burgfelderstrasse für erhitzte Gemüter bei den Anwohnern des Iselin-Quartiers. Die Anwohner beschweren sich über die zunehmenden Missionierungsarbeit in ihrem Quartier und in der Innenstadt. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) in Basel kommt Scientology sogar entgegen und erlaubt es, den Tempel auch sonntags geöffnet zu haben, um ihre Produkte zu verkaufen. Auch das Missionieren am Wochenende ist erlaubt. Dies ist möglich, weil das AWA Scientology kurzerhand als «religiöse Gemeinschaft» definiert hat. Der Journalist Patrik Tschudin publizierte auf dem Internet-Blog infamy die Antwort des Amtes auf seine Anfrage, welche bestätigt, dass Scientology im Sinne des Artikels 3 Abs. a des Arbeitsgesetz als religiöse Gemeinschaft zu bezeichnen sei. Regierungspräsident Guy Morin sagt dazu, dass Scientology der Religionsstatus aus religionswissenschaftlicher und alltagssprachlicher Sicht nicht abgesprochen werden könne. Er beruft sich dabei auf eine Empfehlung der Forschungsstelle für Recht und Religion der Universität Basel. «Es liegt nicht am Regierungsrat, über Glaubensinhalte zu befinden und zu beurteilen, welche Gemeinschaft eine religiöse und welche eine Sekte ist.» Der Regierungsrat habe die Einhaltung der Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit zu bewahren und Diskriminierung abzubauen. «Irgendwelche rechtlichen Privilegien und Vorteile schliesst diese Beurteilung aber nicht mit ein», sagt Morin. Scientology sei weiterhin ein privatrechtlicher Verein und werde auch so behandelt.
Mit Christen gleichgestellt
Mit der Entscheidung des AWA fallen Scientology nun aber doch ausserordentliche Privilegien zu. Die selbsternannte Kirche ist damit vom Arbeitsgesetz bei gewerblichen Tätigkeiten befreit und wird somit mit anderen religiösen Gemeinschaften wie den Katholiken oder Buddhisten gleichgesetzt. Auf Angehörige von Scientology sei das Arbeitsgesetz nicht anwendbar, da sie Tätigkeiten gegenüber der Gemeinschaft leisten, heisst es in einer Mitteilung des AWA und des Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), welche der BaZ vorliegt. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit, das der Direktion Brutschin untersteht, hat sich mit dem Seco in Bundesbern kurzgeschlossen, welches die Verantwortung für die Definition einer religiösen Gemeinschaft wieder zurück nach Basel wies. «Das ist eine Angelegenheit des AWA, ihm obliegt die Verantwortung, ob es Scientology als religiöse Gemeinschaft nach Art. 3 Abs a des eidgenössischen Arbeitsgesetzes definiert oder nicht. Man hat es dort im Amt so interpretiert und es wurde vom Seco bestätigt», sagt Guy Morin. Für die Entscheidung der Ämter hat SVP-Grossrat Michel Rusterholtz überhaupt kein Verständnis: «Ich bezweifle stark, dass die Mitarbeiter des AWA und des Seco überhaupt dazu qualifiziert sind, eine Organisation als Religion zu definieren.»
Entscheid liegt beim Grossen Rat
Das Amt für Wirtschaft und Arbeit rechtfertigt seine Definition mit einem Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahr 1992. Damals klagte Scientology gegen die nationale Fachstelle für Sektenfragen Infosekta. Im vorliegenden Fall wird Scientology zwar nicht explizit als Religion definiert, jedoch wird von einer religiösen Gemeinschaft gesprochen. Rusterholtz reichte vor einigen Wochen eine Interpellation bezüglich dem von Scientology verwendeten Kreuz und der Missionierungsarbeit der Organisation ein. Beides konnte Scientology nicht verboten werden. «Solche Entscheidungen sollten im Grossen Rat fallen und nicht von Beamten im Wirtschaftsdepartement», meint Rusterholtz. Das AWA konstatiert, dass es sich bei der Definition um eine rein arbeitsrechtliche Angelegenheit handle, bei der Scientology als religiöse Gemeinschaft bezeichnet wird. Das Amt sei dazu verpflichtet gewesen als Vollzugsorgan die Angehörigen von Scientology vom Arbeitsrecht zu entheben. Grossrat Rusterholtz hat dafür jedoch absolut kein Verständnis und will deshalb im Parlament aktiv werden.
Stuttgarter Zeitung, 05.06.2015, Sybille Neth
Umstrittenes Immobiliengeschäft – Scientology sichert sich eine Sahneschnitte
Die Befürchtungen des Bezirksbeirats Nord haben sich bestätigt. Nach Auskunft des Landesamtes für Verfassungsschutz ist davon auszugehen, dass die Immobilie Heilbronner Straße 67 bis 69 von den Scientologen 2010 über Mittelsmänner zum Preis von acht Millionen Euro gekauft wurde. Die Verfassungsschützer haben die verschlungenen Wege des Privatverkaufs der Immobilie, die zuvor im Besitz der Firma Porsche war, über Israel und ein deutsches Bundesland nachverfolgt. Dabei kamen sie zu dem für alle Fraktionen im Bezirksbeirat ärgerlichen Ergebnis. Als Käufer wird die „G. Stuttgart Properties Ltd.“ angegeben. Die Recherchen des Verfassungsschutzes münden in die Feststellung „dass es sich bei der Immobilie in der Heilbronner Straße 67-69 wahrscheinlich um das geplante neue Stuttgarter Scientology-Zentrum handelt“, heißt es in dem Bericht. Dieser wurde von Oberbürgermeister Fritz Kuhn kürzlich der Bezirksvorsteherin Sabine Mezger zugestellt. Sie unterrichtete den Bezirksbeirat darüber. Demzufolge will die äußerst umstrittene, aber bisher nicht verbotene, selbst ernannte Kirche in Stuttgart ein neues Zentrum gründen und „die größte Scientology-Niederlassung in Deutschland werden“, so ist es im Bericht des Verfassungsschutzes Baden-Württemberg von 2014 zu lesen.
Prominente Lage
Ins Rollen gebracht hatte Bezirksbeirätin Ana Kezdiora (FWV) die Nachforschungen nach der Zukunft des Gebäudes an der Ecke zur Tunzhofer Straße, das seit drei Jahren leer steht. Ende Oktober hatte die FWV- Gemeinderatsfraktion einen entsprechenden Antrag bei der Verwaltung gestellt. Kedziora fragt sich jedoch, weshalb es ein halbes Jahr dauerte, bis eine Antwort kam. „Strategisch hat sich die Organisation in dieser Lage eine Sahneschnitte gesichert“, sagt sie. Gerade die prominente Lage des Gebäudes beim Europaviertel und in unmittelbarer Nachbarschaft zum Sanierungsgebiet am Bürgerhospital macht den Bezirksbeiräten Sorgen. „Das ist keine Nachbarschaft, die man sich wünscht“, sagt Sebastian Sage (SPD). „Mein Anliegen ist es, dass sich die Scientologen nicht noch weiter auf dem Areal einkaufen und eine Stadt in der Stadt gründen“, äußert Ralph Wöhrle (Grüne) seine Befürchtungen. Er hat sich eingehend mit dem totalitären Gedankengut der Scientologen auseinandergesetzt, denn ein Angehöriger von ihm ist selbst dort Mitglied. „Sie wollen die Wirtschaft und die Politik unterwandern“, fasst er die Ziele zusammen. Es müsse verhindert werden, dass an dem Gebäude Banner und andere Werbung angebracht wird. „Damit nicht junge Leute direkt vom Milaneo hierher gezogen werden“, sagt Wöhrle.
Kritik am Vorgehen der Stadt
Sebastian Serwani (FDP) sieht auch Gefahren für die Besucher der benachbarten Drogenberatungsstelle des Bürgerhospitals, die nach der Sanierung bleiben wird, und Timo Haug (CDU) ärgert sich: „Die Stadt hat verschlafen.“ Er sei irritiert, dass sie das Gebäude seinerzeit nicht vorsorglich gekauft habe, um so das Sanierungsgebiet zu arrondieren und sich alle Optionen für die künftige Nutzung offen zu halten. „Seit vier Jahren beschäftigen wir uns mit der Türlenstraße. Aber immer wurde dieses eine Gebäude aus dem Bebauungsplan rausgehalten“, wundert er sich. „Wenn man das gesamte Gebiet neu gestalten will, muss man doch alles betrachten“, kritisiert er. Nur das ursprüngliche denkmalgeschützte Bürgerhospital bleibt, die anderen Gebäude werden abgerissen.
Beim Baurechtsamt liegt ein Baugesuch vor
Für eine Immobilie, die erst noch kernsaniert werden muss, sei der Kaufpreis stattlich, rechnet er vor. Auch dies spreche für die wohlhabende Scientology-Organisation, für die die Landeshauptstadt wirtschaftlich interessant ist. Beim Baurechtsamt liegt ein Baugesuch für die fragliche Adresse vor. Allerdings nicht unter dem Namen Scientology. „Wir werden uns rechtlich beraten lassen, was wir machen können“, kündigt Sebastian Sage an, aber wie alle anderen im Gremium ist er sich der schieren Aussichtslosigkeit angesichts des Privatverkaufs bewusst. „Ich befürchte, dass wir keine wirkliche Handhabe haben“. bringt es Sabine Rück-Klaffke (SÖS-Linke-Plus) auf den Punkt.
Tagesanzeiger, 10.08.2015, Hugo Stamm
SVP-Nationalrätin kooperiert mit Scientologen
Der Scientology-Ableger «Sag Nein zu Drogen» verteilte kürzlich im Bahnhof Bern einen Flyer mit dem Titel «Cannabis – Freizeitvergnügen oder gefährliche Droge?». Er lud zu einer kontradiktorischen Podiumsdiskussion, allerdings nicht zur eigenen, sondern zu jener des Dachverbandes Drogenabstinenz Schweiz. Gleichzeitig bekamen die Passantinnen und Passanten auch noch eine Broschüre des Vereins «Sag Nein zu Drogen» in die Hand gedrückt. Es ist aussergewöhnlich, dass Scientologen Werbung für eine fremde Organisation betreiben, also für den Dachverband Drogenabstinenz. Die Erklärung findet sich in der Person von SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler: Sie präsidiert den Dachverband, von dem der Scientology-Ableger Mitglied ist. Für die Scientologen ist dies ein Privileg, denn in aller Regel will keine Organisation mit ihnen etwas zu tun haben. Aus Furcht, unter Sektenverdacht zu geraten.
Die Haltung: Radikal.
Solche Berührungsängste kennen Andrea Geissbühler und die Verbandsmitglieder nicht; der Verband setzt sich vorwiegend aus Vereinen zusammen, die eine radikale christliche oder reaktionäre Schlagseite haben. Dazu gehört der Verein Jugend ohne Drogen. Er wurde 1994 von Anhängern der Psychosekte VPM initiiert und setzte sich für eine repressive Drogenpolitik ein. Er war für den VPM vor allem Vehikel, um sich bei Parteien und konservativen Politikern einzuschmeicheln. Die Rechnung ging auf: Die SVP übernahm weite Teile von dessen Drogenkonzept, und Exponenten von ihr traten dem Verein bei. Der Zürcher SVP-Nationalrat und Gesundheitspolitiker Toni Bortoluzzi etwa amtiert aktuell als Präsident des VPM-Ablegers.
Dem freikirchlichen Lager des Dachverbandes Drogenabstinenz Schweiz zuzurechnen ist weiter der Versicherer Pro Life, der sich aus religiösen Gründen gegen Abtreibungen wehrt. Versicherte, die auf Abtreibungen verzichten, profitieren von einer Prämienverbilligung. Das bekannteste Mitglied des Dachverbands ist aber der Neue Rütlibund. Dieser kämpft seit 25 Jahren für die moralische Aufrüstung und gegen Abtreibungen und Drogen. Bekannt wurde er durch Aktionen und Strafanzeigen gegen Medien, Theater und Museen, die angeblich Gotteslästerungen begingen. Auffällig sind die Verflechtungen mit der Anti-Drogen-Lobby. Die Vereinigung Eltern gegen Drogen, ebenfalls Mitglied des Dachverbandes, wird von Sabina Geissbühler-Strupler präsidiert, der Mutter von Andrea Geissbühler. Im Vorstand der Vereinigung sitzt mit Housi Knecht ausserdem ein Scientologe.
Trotz der radikalen Einstellung des Dachverbandes und seiner Mitglieder gelang es dem Verband, für die Veranstaltung in Bern hochkarätige Referenten zu gewinnen. So traten Professor Benno Schimmelmann, Direktor Universitäre Jugend-Psychiatrische Dienste Bern, und Peter Albrecht, Professor für Strafrecht der Universitäten Bern und Basel, auf. Zwar wurde die Podiumsdiskussion als kontradiktorisch angekündigt, doch Befürworter einer liberalen Drogenpolitik hatten einen schweren Stand, wie Besucher berichten. Ein Drogenfachmann sprach von unverantwortlichen, wissenschaftlich haarsträubenden und polemischen Statements von Mitgliedern des Dachverbandes. Die wenigen kritischen Fragesteller seien kaltgestellt worden. Professor Schimmelmann antwortete dem Tagesanzeiger.ch/Newsnet: «Meine Rolle an der Veranstaltung war die eines Fachexperten für Kinder- und Jugendpsychiatrie, der versucht, eine differenzierte Diskussion zum Thema Cannabis-Legalisierung mitzugestalten. In dieser Rolle fühle ich mich nicht in Gefahr, in den Dunstkreis einer Sekte zu geraten.» Strafrechtsprofessor Peter Albrecht war nicht bereit, Fragen des Tagesanzeiger.ch/Newsnet zu beantworten. Andrea Geissbühler sieht kein Problem darin, dass der Scientology-Ableger «Sag Nein zu Drogen» Mitglied ihres Dachverbandes ist. «Ich frage nicht danach, was Mitglieder glauben oder in welcher Organisation sie aktiv sind.» Relevant sei einzig, dass sie die drogenpolitischen Anliegen teilten und sich in diesem Sinn engagierten. «Ich habe in unserem Dachverband noch nie erlebt, dass Scientologen missioniert haben. Das würde ich nicht tolerieren», sagt sie. Auf den Hinweis, diese hätten Passanten den Flyer des Dachverbandes zusammen mit einer eigenen Broschüre abgegeben, antwortete sie, davon wisse sie nichts.
2014
derwesten.de, 28.01.2014, Theo Schumacher
Der Staat muss seinen Job machen
Scientology – überschätzt oder gefährlich?
Was der Verfassungsschutz in NRW vorbringt gegen den Konzern, der sich als Kirche bezeichnet, ist gravierend und genügt, um ihn weiter nachrichtendienstlich zu beobachten. Denn selbst wenn die Sekte inzwischen an Zuspruch und Mitgliedern leicht verliert, so liegt das nicht zuletzt daran, dass jahrelang über sie aufgeklärt wurde. Dieser Weg muss fortgesetzt werden. Folgt man den Erkenntnissen der Behörde, agieren die Scientologen verfassungsfeindlich und versuchen, mit dubiosen Methoden junge Leute zu ködern, die nach Orientierung suchen und besonders anfällig sind. Damit darf sich keine Regierung abfinden. Tut sie es dennoch, verschafft sie der Organisation willkommenen Freiraum. Auch mit dem Verweis auf Sparzwänge und fehlende Kapazitäten lässt sich nicht alles erklären. Der Staat muss seinen Job machen. Und nebenbei angemerkt: Wer genug Personal beschäftigt, um – sagen wir mal – im Jahre 2014 noch die Linkspartei beobachten zu können, hat sicher auch irgendwo ein paar Planstellen frei, um Scientology auf die Finger zu schauen.
derwesten.de, 28.01.2014, Theo Schumacher
NRW warnt vor Minimal-Überwachung von Scientology
Düsseldorf. Ist Scientology noch gefährlich?
Der Bund will die Überwachung zurückfahren. NRW hält das für riskant und fürchtet eine „Mobilmachung“ der Organisation. Scientology geht inzwischen bevorzugt im Internet auf Mitgliederfang. Die Werbung in der Fußgängerzone verliert an Bedeutung. Rund 500 Scientologen gibt es an Rhein und Ruhr – zwar sinkt die Mitgliederzahl leicht, doch die Gefährdung durch die Sekte und ihre Expansionsgelüste sind ungebrochen. Zu diesem Schluss kommt der Verfassungsschutz. Aus Sicht von Behördenchef Burkhard Freier „schränkt die Ideologie von Scientology wesentliche Grund- und Menschenrechte ein“. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die „totalitäre“ Organisation in Nordrhein-Westfalen weiter beobachtet wird. Dagegen will das zuständige Bundesamt die Überwachung „auf ein Minimum“ reduzieren. Während dort überlegt wird, personell den Fokus stärker auf gewaltbereiten Extremismus und Spionageabwehr zu richten, verwies Freier am Dienstag im Landtag auf „verfassungsfeindliche“ Bestrebungen. Scientology versuche „gezielt“, die Beeinflussung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Fachleute warnen davor, sie aus dem Visier der Verfassungsschützer zu nehmen. „Die werden dann hier wieder mobil machen“, befürchtet etwa die Sekten-Info Nordrhein-Westfalen in Essen.
Heimlich Zugang zum Kinderzimmer
„Scientology macht ihre Mitglieder psychisch abhängig und treibt viele durch enorme Geldforderungen für immer neue dubiose Kurse in den finanziellen Ruin“, sagt Freier. Da eigennützige Ziele „verschleiert“ würden, seien dafür vor allem Menschen anfällig, die in einer schwierigen persönlichen Situation stecken. Auffällig sei seit Ende Dezember, dass Scientologen neu motiviert würden, die Niederlassungen in Düsseldorf zu besuchen und Kurse zu absolvieren.
Während Scientology die Beobachtung durch den Verfassungsschutz für überflüssig hält, entdecken Freiers Experten neuerdings Angebote für kostenlose Online-Kurse. Mit scheinbar anonymen E-Mail-Kontakten zu der Organisation „soll es Erziehungsberechtigen schwerer gemacht werden, Einfluss zu nehmen“, hieß es gestern. Über Videos, die Jugendliche ködern sollen und unter Tarnnamen verbreitet würden, verschaffe sich Scientology unentdeckt Zugang ins Kinderzimmer.
So ködert Scientology gezielt Jugendliche im Internet
Zunehmend habe die Organisation, die bundesweit 3500 bis 4500 Mitglieder zählt, ihre Kampagnen aus Fußgängerzonen in die sozialen Netzwerke verlegt. Bei YouTube, Twitter oder Facebook sei sie immer präsenter. Aber auch „unter dem Deckmantel“ vermeintlich positiver Initiativen wie „Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ mit professionellem Internet-Auftritt würden junge Leute umworben.
Wer sich mit den Zielen von Scientology identifiziere, so Freier, schotte sich nach und nach gegen sein vertrautes soziales Umfeld ab. In NRW steht die Organisation seit 1997 im Blickfeld der Verfassungsschützer – was aus Sicht der „Sekten-Info“ auch einen Schutz für Aussteiger darstellt. Gelenkt werde Scientology aus den USA, wo die steuerbefreite Religionsgemeinschaft über „immense Geldreserven“ verfüge.
Mehr rechte Gewalttäter in NRW
Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Landtags, das nach der Reform des Verfassungsschutzgesetzes in NRW zum zweiten Mal öffentlich tagte, bezog Freier außerdem Stellung zur aktuellen Sicherheitslage. „Die Radikalisierung schreitet gerade im digitalen Zeitalter schneller voran“, sagte er. Schwerpunkt der Beobachtung seiner Behörde seien Rechtsextremismus und Salafismus.
Zwar ging die Zahl der Rechtsextremisten in Nordrhein-Westfalen seit dem Jahr 2001 von 5280 auf 3660 ähnlich dem bundesweiten Trend zurück, gleichzeitig stieg aber der Anteil gewaltbereiter Neonazis von 270 auf 640. Die Partei „Die Rechte“ als Sammelbecken verbotener Neonazi-Kameradschaften zählt im Bund 500 und in NRW 260 Mitglieder in neun Kreisverbänden. Bundesweit gibt sieben Landesverbände, der letzte wurde soeben in Rheinland-Pfalz gegründet.
Das linke Spektrum rekrutiert sich laut Freier aus 780 gewaltorientierten Extremisten und Autonomen.
WAZ, 28.01.2014, Theo Schumacher
Scientology soll in NRW weiter überwacht werden
Während dort überlegt wird, personell den Fokus stärker auf gewaltbereiten Extremismus und Spionageabwehr zu richten, verwies Freier gestern im Landtag auf „verfassungsfeindliche“ Bestrebungen. Scientology versuche „gezielt“ die Beeinflussung von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Fachleute warnen davor, sie aus dem Visier der Verfassungsschützer zu nehmen. „Die werden dann hier wieder mobil machen“, befürchtet etwa das Sekten-Info NRW in Essen. „Scientology macht ihre Mitglieder psychisch abhängig und treibt viele durch enorme Geldforderungen für immer neue dubiose Kurse in den finanziellen Ruin“, sagt Freier. Da eigennützige Ziele „verschleiert“ würden, seien dafür vor allem Menschen anfällig, die in einer schwierigen persönlichen Situation stecken. Auffällig sei seit Ende Dezember, dass Scientologen neu motiviert würden, die Niederlassungen in Düsseldorf zu besuchen und Kurse zu absolvieren.
Während Scientology die Beobachtung durch den Verfassungsschutz für überflüssig hält, entdecken Freiers Experten neuerdings Angebote für kostenlose Online-Kurse. Mit scheinbar anonymen E-Mail-Kontakten zu der Organisation „soll es Erziehungsberechtigen schwerer gemacht werden, Einfluss zu nehmen“, hieß es gestern. Über Videos, die Jugendliche ködern sollen und unter Tarnnamen verbreitet würden, verschaffe sich Scientology unentdeckt Zugang ins Kinderzimmer. Zunehmend habe die Organisation, die bundesweit 3500 bis 4500 Mitglieder zählt, ihre Kampagnen aus Fußgängerzonen in die sozialen Netzwerke verlegt. Bei YouTube, Twitter oder Facebook sei sie immer präsenter. Aber auch „unter dem Deckmantel“ vermeintlich positiver Initiativen wie „Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ mit professionellem Internet-Auftritt würden junge Leute umworben. Wer sich mit den Zielen von Scientology identifiziere, so Freier, schotte sich nach und nach gegen sein vertrautes soziales Umfeld ab. In NRW steht die Organisation seit 1997 im Blickfeld der Verfassungsschützer – was aus Sicht des „Sekten-Info“ auch einen Schutz für Aussteiger darstellt. Gelenkt werde Scientology aus den USA, wo die steuerbefreite Religionsgemeinschaft über „immense Geldreserven“ verfüge.
Zahl der gewaltbereiten Neonazis ist gestiegen
Im Parlamentarischen Kontrollgremium des Landtags, das nach der Reform des Verfassungsschutzgesetzes in NRW zum zweiten Mal öffentlich tagte, bezog Freier außerdem Stellung zur aktuellen Sicherheitslage. „Die Radikalisierung schreitet gerade im digitalen Zeitalter schneller voran“, sagte er. Schwerpunkt der Beobachtung seiner Behörde seien der Rechtsextremismus und Salafismus. Zwar ging die Zahl der Rechtsextremisten in NRW seit 2001 von 5280 auf 3660 ähnlich dem bundesweiten Trend zurück, gleichzeitig stieg aber der Anteil gewaltbereiter Neonazis von 270 auf 640. Die Partei „Die Rechte“ als Sammelbecken verbotener Neonazi-Kameradschaften zählt im Bund 500 und in NRW 260 Mitglieder in neun Kreisverbänden. Bundesweit gibt es sieben Landesverbände, der letzte wurde soeben in Rheinland-Pfalz gegründet. Das linke Spektrum rekrutiert sich laut Freier aus 780 gewaltorientierten Extremisten und Autonomen.
religion.orf.at, 14.01.2014
Ermittlungen gegen Scientology-Einrichtungen
Gegen drei Mitglieder sowie drei Einrichtungen von Scientology werde insbesondere wegen Betrugs und Beihilfe zur Irreführung sowie Unterschlagung und betrügerischer Geschäftspraktiken ermittelt, teilte Klägeranwalt Olivier Morice am Montag mit.
Unterricht nach Scientology-Methoden
Hintergrund der Verfahren ist ein Fall, der schon Jahre zurückliegt: Es geht um die Privatschule Institut Aubert in Vincennes bei Paris, deren Schließung bereits im Jahr 1998 angeordnet wurde. Dort soll ohne Wissen von Eltern nach Scientology-Methoden unterrichtet worden sein. Nach jahrelangen Ermittlungen wurden lediglich drei Beschuldigte angeklagt. Weitere Verdächtige sowie drei Scientology-Einrichtungen wurden ausgespart. Doch eine Familie, die von Anwalt Morice vertreten wird, klagte gegen diese Entscheidung. Ihnen gab das Berufungsgericht nun Recht. Morice hob hervor, dass Scientology aufgrund einer bereits erfolgten Verurteilung wegen bandenmäßigen Betrugs nun Gefahr laufe, in Frankreich ganz verboten zu werden – mehr dazu in. Diese Ansicht hatte auch ein konservativer UMP-Abgeordneter nach dem Urteil gegen Scientology vom Oktober vertreten.
Psychischer Druck
Der französische Kassationsgerichtshof verurteilte damals zwei Scientology-Einrichtungen zu einer Geldstrafe von insgesamt 600.000 Euro. Den beiden Einrichtungen – dem in Paris ansässigen Celebrity-Zentrum und seiner Buchhandlung – war vorgeworfen worden, Anhänger in den 1990er Jahren psychisch unter Druck gesetzt zu haben, um sich an ihnen zu bereichern. Scientology kündigte an, dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen zu wollen. Das Urteil des Kassationsgerichtshofs ist in Frankreich aber rechtskräftig – mehr dazu in F: Gericht bestätigt Betrugsurteil gegen Scientology.
In dem neuen Verfahren geht es nun erneut um das Celebrity Center, aber auch um die Spirituelle Vereinigung der Scientology-Kirche im Großraum Paris (Asesif) sowie um die Vereinigung für besseres Leben und Erziehung (Able). Die im Jahr 1954 gegründete Scientology-Bewegung gilt in den USA als Religion, in Frankreich wird sie hingegen in Parlamentsberichten als Sekte eingestuft. In einigen deutschen Bundesländern wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Organisation hat nach eigenen Angaben weltweit rund zehn Millionen Mitglieder, davon 45.000 in Frankreich. Bekannteste Vertreter sind die Hollywoodstars Tom Cruise und John Travolta.
Freie Presse, 25.02.2014, Oliver Hach
Friseure wollten Prüfkommission manipulieren
Dresden. Nach Sektenvorwürfen gegen die Dresdner Edel-Friseure Brockmann und Knödler ist die Arbeit einer internen Kommission, die den Verdacht prüfen soll, praktisch zum Erliegen gekommen. Zwei der drei Mitglieder kündigten gestern ihre Zusammenarbeit mit Brockmann und Knödler auf. Harald Lamprecht, Sektenbeauftragter der evangelischen Landeskirche, erklärte seine Entscheidung mit den Worten: «Vorrangiges Ziel dieser Prüfkommission ist nicht die Aufklärung des Falles, sondern die mediale und juristische Ruhigstellung der Kritiker.» Neben Lamprecht weigerte sich auch der Schweizer Journalist und Sektenexperte Hugo Stamm, den Vertrag zu unterschreiben. «Ich habe mich ebenfalls aus der Kommission zurückgezogen», sagte er der «Freien Presse». Brockmann und Knödler äußerten sich zunächst nicht. Mehrere Nachfragen seit dem Vormittag blieben bis zum Abend unbeantwortet.
Die Top-Stylisten mit Salons in Dresden, Chemnitz und Zwickau waren in die Schlagzeilen geraten, nachdem Mitarbeiter und Kunden der hauseigenen Weiterbildungsakademie über sektenähnliche Schulungen berichtet hatten. Petra Brockmann und Thomas Brockmann-Knödler sowie der Partner für die umstrittenen Management-Seminare, Hans Peter Huber von der Schweizer Progredi AG, erklärten daraufhin per eidesstattlicher Versicherung, keine Verbindungen zu Scientology zu haben und beendeten offiziell ihre Geschäftsbeziehungen. Nach Gesprächen mit mehr als einem Dutzend Schulungsteilnehmern ist der Sektenbeauftragte überzeugt, die Progredi AG setze scientologische Methoden ein.
«Tendenzen zur Verschleierung»
Lamprecht übte gestern scharfe Kritik am Krisenmanagement von Brockmann und Knödler. In einer Presseerklärung spricht er von «Tendenzen zur Verschleierung» und «versuchter Knebelung der Ermittler». So wird in den Regeln der Prüfkommission, die alle Mitglieder vertraglich anerkennen sollten, auf ein zweistufiges Prüfverfahren verwiesen. Demnach sollten die Experten zunächst nur die Fachseminare der Friseurschule untersuchen. «Beabsichtigt ist sodann in einem zweiten Schritt», so heißt es in dem Papier, auch die Kommunikationstrainings und Mitarbeiterseminare von Progredi zu prüfen. Für diese Stufe seien jedoch neue Richtlinien zu erstellen und die Prüfer gesondert zu beauftragen. Lamprecht dazu: «Welcher Notarzt, dem ein Patient mit gebrochenem Bein eingeliefert wird, untersucht zunächst das Gehör des Patienten, um dann zu verkünden, dass dieser Teil des Patienten gesund sei, bevor er sich mit dem Bein beschäftigt?» Die Aufteilung sei unsinnig, wenn es um Aufklärung gehe, und solle offenbar nur dazu dienen, Brockmann und Knödler in der Öffentlichkeit gut dastehen zu lassen. Dabei sei offensichtlich, so Lamprecht, dass die Friseurakademie und Progredi «faktisch ein gemeinsames Funktionssystem» bildeten.
Vergeblich hatte sich der Sektenbeauftragte indes bemüht, an Unterlagen über die umstrittenen Schulungen zu kommen. Angeblich würden diese Brockmann und Knödler nicht vorliegen, habe es zur Begründung geheißen. «Wie kann es sein, dass Brockmann und Knödler ihre Mitarbeiter und Kunden in Seminare und zu Übungen drängen, die in ihrem Haus und in ihrem Namen stattfinden, zu denen aber keine Unterlagen vorhanden sein sollen?», fragt Lamprecht. Stattdessen sollten die Mitglieder der Prüfkommission ihrerseits gezwungen werden, sämtliche gesammelte Informationen und Aufzeichnungen zu den Sektenvorwürfen an die beauftragte PR-Agentur abzuliefern. Zugleich sollten sich die Prüfer zu «absolutem Stillschweigen während des Prüfungsprozesses» verpflichten – und hätten bei Zuwiderhandlungen sogar Schadensersatzklagen riskiert. Lamprechts Fazit: Brockmann und Knödler bekämen exklusiv alle brisanten Informationen – und er selbst einen Maulkorb.
Scientology-Jägerin in der Spur
Ursprünglich sollte auch die renommierte Sektenexpertin Ursula Caberta in der Prüfkommission mitarbeiten, die nun nur noch aus einem Leipziger Manager-Coach besteht. Doch sie hatte von Anfang an auf Transparenz und auf Rechtssicherheit gepocht, sollten die Prüfergebnisse negativ ausfallen und entsprechend publiziert werden. Damit, so berichtet die langjährige Hamburger Scientology-Jägerin, sei eine Zusammenarbeit mit Brockmann und Knödler aber nicht zustande gekommen. Gestern kündigte Caberta an: «Nun kümmere ich mich um den Laden – aber ohne Kommission.»
Die Welt, 24.02.2014, welt.de
Erste juristisch gültige Trauung bei Scientology
In einer Premiere für Großbritannien hat ein Paar in einer Kapelle der Organisation Scientology geheiratet. Louisa Hodkin (25) und Alessandro Calcioli (25) gaben sich in der Church of Scientology of London am Sonntag das Jawort, wie der britische Sender BBC meldete. Vorausgegangen war ein fünf Jahre dauernder Rechtsstreit, ob dieser Ort als religiöse Stätte für eine zivilrechtlich gültige Trauung gelten könne. Erst im Dezember hatte das Oberste Gericht in London dies zustimmend beurteilt. Zuvor hatten sich britische Behörden auf ein Urteil von 1970 berufen, nach dem Veranstaltungen von Scientology nicht als Gottesdienste zu betrachten seien. Die fünf Richter des Obersten Gerichts schlossen sich hingegen der Argumentation der klagenden Scientologen an, die Ansichten und Zeremonien ihrer Organisation hätten sich in den vergangenen vier Jahrzehnten weiterentwickelt und seien beispielsweise buddhistischen Ritualen vergleichbar. Während Scientology in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt ist, wird die Organisation in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet. Das wird damit begründet, dass durch die Ideologie dieser Vereinigung «wesentliche Grund- und Menschenrechte», wie etwa Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung, eingeschränkt würden.
RP-online, 07.02.2014, Jan Schnettler
Ärztin schickt Schulen und Kitas Scientology-nahe Post
«Die ,Kent-Depesche' wird von Scientologen im Eigenverlag herausgegeben. Ihre Herausgeber unterhalten auch Kontakte in das rechtsextremistische Milieu», heißt es im Verfassungsschutzbericht 2005 des Landes Baden-Württemberg über die Broschüre «Mehr wissen, besser leben», die regelmäßig Themen wie «Alternativmedizin und Verschwörungstheorien» aufgreife. Auch im aktuellen Verfassungsschutzbericht von 2012 – der für 2013 ist noch nicht erschienen – werden Verlag und Publikation noch erwähnt. Dessen ungeachtet hat die Mönchengladbacher Zahnärztin Dr. Vera Maubach-Chandra dieser Tage zahlreiche Schulen und Kindergärten in der Stadt angeschrieben, mit einem Pamphlet gegen sexuelle Früherziehung, die ein «Deckname für harte Pornographie» sei. Daran angehängt: Links zu einer Website für «betroffene Eltern», die schon beim ersten Herunterscrollen zu einer obskuren «Deutschen Nationalversammlung» führt. Und: seitenweise Auszüge aus besagter Broschüre «Mehr wissen, besser leben».
Sie wolle die Jugend vor dem «Wahnsinn» des Sexualunterrichts beschützen, sagt Maubach-Chandra, die sich nach eigenen Angaben in der «Anti-Psychiatrie-Bewegung» engagiert und in ihrer Praxis Zahnheilkunde mit Homöopathie verbindet. Auf den rechten und scientologischen Zusammenhang ihres Schreibens, das Sexualerziehung als Türöffner für Pädophilie bezeichnet, angesprochen, sagt sie: «Ich beziehe diese Publikation seit Jahren. Sie ist ausgewogen, gut recherchiert und hebt sich von Mainstream-Medien ab.» Die von ihr angegebenen Internetlinks habe sie möglicherweise nicht vollständig angeschaut: «Aber wenn das alles nur zu 50 Prozent stimmt, ist schon viel gewonnen.» Sie habe als Privatperson und Mutter zweier Kinder gehandelt, nicht als Ärztin, sagt Maubach-Chandra – und werde das weiter tun. Jedoch sind die Schreiben auf Briefpapier ihrer Praxen an der Burg- und Bismarckstraße verfasst.
Leiter von Schulen und Kindergärten sind empört. Peter Blomert von der Gesamtschule Espenstraße sagt: «Die Broschüre sowie die beigefügte DVD sind Ergüsse eines Schweizer Laienpredigers, der unter anderem die psychoanalytische Sexualtheorie als Aufruf zur Pädophilie deutet.» Bernd Schäferhenrich, Leiter der Gesamtschule Hardt, sagt: «Wir werden jede Woche mit Dingen zugemüllt, angefangen von aggressiven Fotoangeboten von Fotografen. Aber das hier hat eine andere Qualität.» Die Schulleiter hoffen, dass ihre Kollegen die Schreiben in den Müll geworfen haben. Die Schulverwaltung habe keine Handhabe gegen derlei Schreiben und könne auch keine Empfehlungen abgeben, sagt Stadtsprecher Wolfgang Speen. Es sei Angelegenheit der Schulen und Kindergärten, angemessen damit umzugehen.
brf.be, 27.03.2014
Staatsanwaltschaft stuft Scientology als kriminelle Vereinigung ein
Zwei Vereinigungen der Scientology-Bewegung in Belgien und zehn ihrer Mitglieder müssen sich vor Gericht verantworten. Das hat die Brüsseler Ratskammer verfügt. Die föderale Staatsanwaltschaft betrachtet die Scientology-Kirche als kriminelle Vereinigung. Den angeklagten Mitgliedern werden bandenartig organisierter Betrug, illegale Heilmethoden, Verstoß gegen das Datenschutzgesetz und Erpressung zur Last gelegt. Scientology bezeichnet das Vorgehen der Justiz in einer ersten Stellungnahme als “moderne Inquisition, die die Grundrechte in Frage stellt”. Die Scientology-Bewegung ist in Belgien als Glaubensgemeinschaft nicht anerkannt. Sie zählt hier etwa 300 Anhänger. Scientology wurde 1954 von dem US-Amerikaner Ron Hubbard gegründet. Nach eigenen Angaben bekennen sich rund 12 Millionen Menschen in 165 Ländern zu Scientology.
Freie Presse, 27.03.2014
Sektenvorwürfe gegen Friseur-Partner schon 2011
Dresden. Die sächsischen Promi-Friseure Brockmann und Knödler wurden schon viel früher, als bislang berichtet, mit Sektenvorwürfen konfrontiert. Der «Freien Presse» liegen Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass sich die Top-Stylisten und ihr damaliger Partner Hans Peter Huber von der Progredi AG bereits im Sommer 2011 juristisch gegen hausinterne Kritiker wehrten, die von Scientology-Methoden berichtet hatten. So heißt es im Schreiben einer Chemnitzer Anwaltskanzlei an eine ehemalige Trainerin der Brockmann-und-Knödler-Academy vom 28. Juli 2011: «Unsere Mandantinnen nehmen aktuelle wahrheitswidrige Behauptungen zum Anlass, klarzustellen, dass sie keinerlei Verbindungen zur Scientology-Sekte haben und jemals hatten.» Der Empfängerin wird angedroht, man werde gegen «geschäftsschädigende und unwahre Behauptungen» mit allen rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln vorgehen.
Welches Klima in dem Unternehmen damals herrschte, beschreibt der Sektenbeauftragte der Landeskirche, Harald Lamprecht, nach Gesprächen mit Betroffenen wie folgt: «Im Jahr 2011 haben auf einen Schlag sechs Trainer bei Brockmann und Knödler gekündigt, weil sie den internen Druck, den Umgang miteinander, und die ihrer Ansicht nach geldscheffelnden Methoden im Umgang mit den Seminaren sowie die scientologyähnlichen Methoden von Herrn Huber nicht länger mitmachen wollten.» Auch von der Progredi AG selbst, die in der Weiterbildungsakademie der Friseure noch bis Ende Januar 2014 Seminare zur Persönlichkeitsbildung anbot und Mitarbeiter schulte, wurde im Juli 2011 per Anwaltsschreiben Druck auf Kritiker ausgeübt. Ein Absolvent der Akademie hatte laut Schreiben bei einem Treffen mit dem Ehepaar Brockmann und Knödler ausgesagt, Progredi-Chef Huber stünde in Verbindung zur «Scientology Church» und würde Kunden «finanziell aussaugen».
Der «Freien Presse» hatte Huber bestätigt, sich im Jahr 2008 «für einige Monate privat» mit den Methoden des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard befasst und entsprechende Unterlagen im Internet bestellt zu haben. Brockmann und Knödler teilten auf Anfrage mit, im Jahr 2011 hätten sechs Personen die Progredi AG mit Scientology-Vorwürfen in Verbindung gebracht. Schon damals habe man sich um Aufklärung bemüht. Allerdings: «Konkrete Tatsachen, worauf der Sektenverdacht gegen Progredi gründet, wurden durch die sechs Personen nicht genannt.» Man habe damals die Progredi AG aufgefordert, Stellung zu nehmen. Das Unternehmen habe die Vorwürfe zurückgewiesen. Als der Sektenverdacht Ende Januar öffentlich wurde, trennten sich Brockmann und Knödler von Progredi und beriefen eine Prüfkommission ein. Nach Klagen über Knebelverträge stiegen mehrere Prüfer aus. Seit Ende Februar ist die Kommission neu besetzt. Kommende Woche, so die Friseure, werde die Kommission ihren Prüfbericht veröffentlichen. Er soll auf einer Pressekonferenz vorgestellt werden.
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Hamburger Morgenpost, 21.03.2014
Hamburg putzt ohne Scientology
Hamburg macht sich schön für den Frühling! Noch bis zum 30. März bittet die Stadtreinigung Hamburg freiwillige Helfer zu einer der größten Putzaktionen des Nordens. Auch die Organisation «Scientology» wollte sich an «Hamburg räumt auf» beteiligen – die SRH lehnte ab. Per Twitter verkündete die Stadtreinigung hämisch am Donnerstagabend, dass sie die Scientology-Beteiligung am öffentlichen Frühjahrsputz abgelehnt habe – sehr zum Missfallen der Organisation. MOPO.de fragte bei SRH-Pressesprecher Reinhard Fiedler nach den Hintergründen der Ablehnung. «Die Organisation Scientology hatte sich als eine von über 900 Initiativen bei uns angemeldet. Da diese Organisation aber auf einer Liste des Verfassungsschutzes steht, und die Freie und Hansestadt Hamburg jegliche Zusammenarbeit mit Scientology ablehnt, verzichten wir auf diese Mithilfe. Dies um so mehr, als bei «Hamburg räumt auf» rund 80 Prozent Kinder und Jugendliche anwesend sind», so Fiedler.
Als «Skandal» bezeichnet Scientology-Sprecher Frank Busch diese Maßnahme. Die Absage kam rund zwei Stunden nach der Anmeldung der Scietology- Putzkolonne per Mail. Darin, so Busch, verweise die SRH unter anderem auf die Finanzierung der Aktion durch Steuermittel. «Schließlich leben auch Mitglieder von Scientology in Hamburg und zahlen hier Steuern – aber am gesellschaftlichen Leben dürfen wir nicht teilnehmen?» empört er sich im Gespräch mit MOPO.de. Stadtreinigung gegen Scientology – da ist wohl weit mehr wegzuräumen als nur Müll in öffentlichen Grünanlagen, Spielplätzen, Schulhöfen und Parks… In den Leserbriefen beglückwünschen die Leser die Stadtreinigung zu dieser Entscheidung.
Freie Presse, 07.03.2014, Oliver Hach
Friseur-Partner nutzte Sekten-Material
Bis Ende Januar war Progredi innerhalb der Weiterbildungsakademie von Brockmann und Knödler für umstrittene Kommunikations- und Managementkurse zuständig. Huber bestätigte gestern, dass er das Auditing-Protokoll unterschrieben hat. Die Papiere, die die Hamburger Sektenexpertin Ursula Caberta als authentische Scientology-Formulare einstuft, stammen aus dem Jahr 2008. Darin ist eine rund 45-minütige Sitzung dokumentiert, in der offenbar auch eine Beinverletzung «therapiert» werden sollte. Als Verfahren wurde das sogenannte Touch Assist («Berührungsbeistand») angewendet, bei dem durch Handauflegen im Gespräch eine heilende Wirkung versprochen wird.
Auditing mit Handauflegen
In dem Dokument sind die Gesprächspartner nach Scientology-Vokabular als PC (Preclear, eine Art «Patient») und Auditor (Zuhörender) ausgewiesen. Unter der Überschrift «Scientology I bis IV – Gute Indikatoren auf den unteren Stufen» ist eine Liste mit Verhaltensbeobachtungen beigefügt, aus der auch der Einsatz eines E-Meters hervorgeht. Das E-Meter ist ein von Scientology verwendetes Gerät, das mit Hilfe von zwei in den Händen gehaltenen Elektroden Änderungen des elektrischen Widerstands des Körpers als Zeigerbewegung sichtbar macht. Im Protokoll registrierte der Auditor detailliert die Gefühlsregungen des «Patienten» und leitete es an den Case Supervisor («Fallüberwacher») weiter. Der bescheinigte: «Gut gemacht!» und unterschrieb mit «Hans» (für Hans Peter Huber) und «Beratungsüberwacher». Für Harald Lamprecht, Sektenbeauftragter der evangelischen Landeskirche, belegt das Dokument, dass Huber aktiver Scientologe war. Scientology-Expertin Caberta erklärte: Entweder müsse Herr Huber Scientologe gewesen sein, sonst hätte er diese Unterlagen nicht verwenden dürfen. Oder er gehöre zu ehemaligen Mitgliedern, die die Organisation verlassen haben und die «auf eigene Rechnung weitermachen».
Anfang Februar hatten sowohl Hans Peter Huber als auch Brockmann und Knödler eidesstattlich versichert: «Keiner von uns gehört der Scientology-Kirche an oder steht mit ihr in Verbindung.» Am selben Tag erklärten sie ihre Geschäftsbeziehung offiziell für beendet. Inzwischen erteilten die Friseure ihrem ehemaligen Partner Hausverbot. Nach wochenlangem Schweigen reagierte Huber gestern erstmals auf Journalistenanfragen. Seine Anwältin in St. Gallen in der Schweiz teilte der «Freien Presse» mit: «Weder Herr Hans Huber noch die Progredi AG haben im Rahmen ihrer Tätigkeiten und ihrer Beratungen je die Methoden der Scientology-Kirche angewendet.» Zugleich räumte sie jedoch ein: Huber habe sich im Jahr 2008 «für einige Monate privat» mit den Methoden von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard befasst. Dazu habe er Unterlagen im Internet bestellt und die Notizen zu dem Auditing verfasst. «Das Interesse dauerte jedoch nur wenige Monate an und heute hat Herr Huber keinerlei entsprechendes Interesse mehr», schrieb die Anwältin weiter. Ob er früher einmal Scientology-Mitglied war, ließ sie offen.
Bis 1998 Scientology-Mitglied?
Scientology selbst schließt eine frühere Mitgliedschaft Hubers nicht aus. In einer Schweizer Adressliste habe man einen Hanspeter Huber entdeckt, zu dem es «aufgrund von Fehlverhalten» aber seit 1998 keinen Kontakt mehr gebe, sagte die Präsidentin des Vereins Scientology Kirche Berlin, Sabine Weber. Eindeutig zuzuordnen sei dieser Namenseintrag bislang nicht. Die abweichende Schreibung wäre indes nicht ungewöhnlich: Hans Peter Huber trat in der Vergangenheit zum Beispiel auch als Johannes Huber oder als Johannes Peter Huber auf. Zu den aufgetauchten Unterlagen erklärte Weber, bei dem Indikatorenbogen handele es sich um ein Scientology-Formular aus den 1970er bis 1980er-Jahren. Es werde von Scientology offiziell nicht in Auditings verwendet. «Für mich könnte das Dokument von einer Splittergruppe stammen», sagte Weber. Solche Splittergruppen würden von Ex-Scientologen ins Leben gerufen, die anschließend eigene Mitglieder werben, die nichts mehr mit Scientology zu tun hätten. Dass Huber bestreitet, Scientology-Methoden geschäftlich eingesetzt zu haben, erscheint aus Sicht der Organisation plausibel. Splittergruppen würden copyright- geschütztes Material illegal verwenden, erläuterte Präsidentin Weber. «Diese Gruppen und Personen haben daher mit Rechtsmaßnahmen von uns zu rechnen.»
Messeteilnahme abgesagt
Brockmann und Knödler ließen derweil ausrichten: «Sollte Herr Hans Huber von der Progredi AG zumindest zeitweise Mitglied von Scientology gewesen sein und scientologische Methoden angewendet haben, war und ist Petra Brockmann und Thomas Brockmann-Knödler dies nicht bekannt.» Am Abend teilte der Wella-Konzern mit, sein Partner Brockmann und Knödler habe die Teilnahme an der Beauty-Messe Hairworld Anfang Mai in Frankfurt am Main «aufgrund der derzeitigen Medienpräsenz» abgesagt.
Freie Presse, 01.03.2014
Aus dem Friseursessel zum Psychokurs
Dresden. Der Mann auf dem Podium ringt um Fassung. «Meine Frau hatte ihr Wesen komplett verändert. Sie war total manipuliert», erzählt der Mittvierziger. Er ist ein gut betuchter Geschäftsmann*, dessen Ehe vor vier Jahren scheiterte. Nach seiner Meinung, weil seine Frau ein fragwürdiges «Therapieangebot» angenommen habe – auf Empfehlung der Edelfriseure Brockmann und Knödler. Die stehen im Verdacht, in Managementseminaren mit ihrem damaligen Partner Progredi AG scientologische Methoden eingesetzt zu haben, bestreiten das aber.
Auf einer Pressekonferenz in Dresden schilderte der Chemnitzer gestern, wie seine Frau nach Burnout und Privatklinik in den Psychokursen landete. Ende 2008 habe sie bei einem Friseurtermin bei Brockmann und Knödler in Dresden von ihrer Situation berichtet. Mit dem Versprechen, helfen zu können, habe Petra Brockmann den Kontakt zu Hans Peter Huber hergestellt. Der hatte mit seiner Schweizer Firma Progredi bereits feste Strukturen innerhalb der Weiterbildungsakademie von Brockmann und Knödler installiert, wo für die Teilnehmer strikte Geheimhaltung galt: Wer Schulungsmaterial weitergab, dem drohten 10.000 Euro Vertragsstrafe. Huber schickte eine Mitarbeiterin nach Chemnitz. Diese wurde von dem vermögenden Ehepaar in seinem Gästehaus einquartiert. Auf Anweisung der Progredi-Trainerin soll die Patientin ihre ärztliche Behandlung abgebrochen haben. «Stattdessen bekam sie Goldwasser und Vitaminpräparate», berichtete ihr Ex-Mann.
Progredi ließ sich fürstlich honorieren: Mehrere hunderttausend Euro sollen in die Schweiz geflossen sein. Die Ehefrau, die ihren Mann nun auf Schritt und Tritt überwacht haben soll und nach dessen Angaben mehr als 1000 Seiten Berichte an Progredi schickte, habe auch in ihrer eigenen Firma den Druck erhöht. In einer eidesstattlichen Versicherung berichtete eine ehemalige Angestellte im Jahr 2010: «Beinahe jede Mitarbeiterin war komplett nervlich am Ende, einige nahmen bzw. nehmen mittlerweile regelmäßig Psychopharmaka.» Die Progredi-Trainerin habe «im Hintergrund» den 20-Mann-Betrieb völlig umgekrempelt. In ihrer Kündigung schrieb eine Angestellte, die Firmenchefin habe verlangt, sie solle Berichte über ihre private Geburtstagsfeier verfassen und den Kontakt zu ehemaligen Kollegen abbrechen.
Im Januar 2010, so berichtete der Unternehmer in Dresden, habe er seine Frau vor die Wahl gestellt: «Ich oder die.» Sie habe sich für Progredi entschieden. Harald Lamprecht, der Sektenbeauftragte der Landeskirche, hat inzwischen mehr als 20 Progredi-Opfer erfasst. Er prüft nun gemeinsam mit der langjährigen Hamburger Scientology-Jägerin Ursula Caberta rechtliche Schritte gegen Brockmann und Knödler beziehungsweise Progredi. Caberta erklärte auf der Pressekonferenz, es gebe «strafrechtlich relevante Indizien». Lamprecht betonte, es gehe nicht vordergründig um die Frage, ob es Verbindungen zu Scientology gibt. «Es kommt darauf an, was mit den Menschen gemacht wird.» * Name der Redaktion bekannt.
freiepresse.de, 05.04.2014
Dresden – Affäre um Starfrisöre soll verfilmt werden – Prüfkommission sagt Pressekonferenz ab
Dresden. Die Aufarbeitung der Sektenvorwürfe im Hause Brockmann und Knödler läuft noch auf vollen Touren – nun avanciert die Affäre um die Dresdner Nobel-Friseure und ihren ehemaligen Schweizer Partner Progredi bereits zum Filmstoff. «Ich arbeite an einem Exposé für ein Drehbuch», sagte die langjährige Scientology-Jägerin Ursula Caberta der «Freien Presse». Zur Realisierung eines möglichen Spielfilms habe sie bereits Kontakt zum Mitteldeutschen Rundfunk aufgenommen. «Der Stoff bietet alles, was ein Krimi braucht», sagte Caberta zur Begründung für ihren Vorstoß. Die 64-Jährige, die in Hamburg lange die Arbeitsgruppe Scientology leitete, hatte nach eigenen Angaben als fachliche Beraterin an dem ARD-Spielfilm «Bis nichts mehr bleibt» mitgewirkt. Basierend auf authentischen Aussteigerberichten, erzählt der Film, wie Menschen in Abhängigkeit von Scientology geraten. Mit 8,7 Millionen Zuschauern erzielte er zur Erstausstrahlung 2010 eine Top-Quote.
Derweil verzögert sich die von Brockmann und Knödler selbst veranlasste Aufarbeitung der Sektenvorwürfe. Eine für diese Woche angekündigte Pressekonferenz, auf der eine interne Prüfkommission ihre Ergebnisse vorstellen sollte, wurde abgesagt. «Für eine sorgfältige Prüfung benötigen wir noch mehr Zeit», sagte Hubert Seiwert, Professor für Religionswissenschaft an der Universität Leipzig. Er untersucht zusammen mit einem Göttinger Religionssoziologen und einem Leipziger Manager-Coach intern die Vorwürfe, nach denen die Progredi AG in Seminaren der Weiterbildungsakademie von Brockmann und Knödler scientology-ähnliche Methoden eingesetzt haben soll. Harald Lamprecht, der Sektenbeauftragte der evangelischen Landeskirche, der aus der Prüfkommission aus Protest gegen Manipulationsversuche ausgestiegen war, bemüht sich parallel weiter um Aufklärung. Er traf sich diese Woche in Erfurt mit einem Dutzend Progredi-Opfern aus dem gesamten Bundesgebiet. Man habe neue Beweise für die Scientology-Nähe von Progredi; zudem gebe es Indizien für strafrechtlich relevante Tatbestände. Progredi-Chef Hans-Peter Huber ist inzwischen offenbar dabei, seine Spuren im Internet zu tilgen: Die Web-Seite der Progredi AG ist seit einigen Tagen nicht mehr erreichbar.
bz-berlin.de, 14.04.2014, Kerstin Hense
Scientology-DVD bei Netto im Regal
In einem Netto-Supermarkt in Schöneberg wurde jetzt eine Image-DVD der umstrittenen Sekte in einem Verkaufsregal gefunden. Kommunalpolitiker Fayez Gilke (SPD, 25) traute bei seinem Einkauf an der Martin-Luther-Straße in Schöneberg seinen Augen nicht: «Als ich vor dem DVD-Regal stand, sah ich plötzlich eine DVD vom Sektengründer L. Ron Hubbard», sagte er.
Doch wie kommt der Film ins Regal? «Das ist kein Einzelfall in Berlin. In einigen Geschäften, zum Beispiel in einer Apotheke, haben Unterorganisationen von Scientology inkognito bereits Werbematerial, unter anderem eine DVD platziert.», so Stefan Barthel, Mitarbeiter der Leitstelle für Sektenfragen im Land Berlin. Auch beim Netto Marken-Discount selbst herrscht Besorgnis: «Wir distanzieren uns ausdrücklich von diesem Produkt – es wird selbstverständlich nicht im Sortiment geführt. Alle anderen Märkte sind informiert und haben ihre Bestände kontrolliert», sagt Unternehmenssprecherin Christina Stylianou zur B.Z.
Schweiz am Sonntag, 31.05.2014. Alan Cassidy
Scientologen werben im Bundeshaus Einladung an Parlamentarier für Informationsveranstaltung.
Am kommenden Freitag lädt der Schweizer Zweig der Scientologen zu einer ganztätigen «Informationsveranstaltung» auf dem Berner Waisenhausplatz, in Sichtweite des Bundeshauses. «Sie ist kontrovers, sie ist umstritten, sie wird heiss diskutiert», schreibt Scientology im verschickten Merkblatt über sich selbst. Die Organisation, die von Fachleuten als Sekte eingestuft wird, will deshalb Passanten und Interessierte aus erster Hand über «Zahlen, Fakten, Pläne, Aktivitäten» informieren. Auf Nachfrage sagt Sprecherin Annette Löffler, man habe eine «breite Palette von Personen des öffentlichen Lebens» angeschrieben. «Scientology ist ein gesellschaftliches Thema, das aus unserer Erfahrung heraus auch Parlamentarier interessiert.»
In der Schweiz sei über Scientology zu wenig bekannt, und auch Politiker wiesen «grosse Wissenslücken» auf. Auch eine Medienkonferenz hat Scientology für den Tag der Informationsveranstaltung geplant. Die PR-Offensive erfolgt im Rahmen des 40-jährigen Bestehens des Schweizer Zweigs. Laut eigenen Angaben hat Scientology hierzulande 5000 Mitglieder, was Fachleute jedoch bezweifeln. In die Schlagzeilen geriet die Sekte zuletzt in Basel, wo sie eine Grosskirche, eine sogenannte Ideal Org, errichten will. Die Eröffnung des Baus war für 2013 geplant gewesen, verzögerte sich aber.
Tages Anzeiger, 07.06.2014, Hugo Stamm
Charmeoffensive der Scientologen vor dem Bundeshaus – Die Sekte startete die Aktionen zum 40-jährigen Bestehen in der Schweiz auf dem Waisenhausplatz.
Gemäss einer Umfrage hätten zwei Drittel eine negative Meinung über Scientology. Die meisten Leute würden Scientology zwar kennen, sie besässen aber keine näheren Informationen. Die Aktionen sollen diese Lücken schliessen. Etwa mit Tagen der offenen Türen, in Zürich Anfang Juli. Laut Stettler ist auch geplant, die fünf Kirchen zu sogenannten idealen Organisationen auszubauen, also zu grossen Scientology-Zentren. In Basel soll das erste nächstes Jahr eingeweiht werden. Die andern vier Kirchen sind aber noch weit von diesem Ziel entfernt. Diskutiert wurden gestern vor allem die Mitgliederzahlen, die Stettler den Medien präsentierte: Auf 5000 Mitglieder kämen 300 vollamtliche Mitarbeiter, davon 120 in Zürich. Früher sprach Scientology von 10 000 Anhängern, was sich als Propagandazahl herausstellte. Aussteiger berichten, die Mitgliederzahlen in den letzten Jahren seien rückläufig. Fragen dazu beantwortete Stettler mit dem Hinweis, dass natürlich nicht alle Mitglieder regelmässig in einem Zentrum anzutreffen seien.
Passanten wurden zu einem Test an einem Elektrogerät eingeladen, das wie ein Lügendetektor wirkt. Neugierige wurden animiert, sich auf einen Massagetisch zu legen und behandeln zu lassen. Die meisten Berner mieden aber die Scientology-Zelte. Abschreckend wirkte, dass mehrere Scientologen das Geschehen auf dem Waisenhausplatz filmten. Eine Überwachungsmethode, die Scientology oft anwendet.
Öffnung bleibt eine Illusion (Kommentar von Hugo Stamm)
Jürg Stettler, seit über 30 Jahren an vorderster Front aktiv, wünscht sich mehr Akzeptanz und scheint bereit zu sein, die Sektenmauern aufzuweichen. Doch sein Handlungsspielraum ist begrenzt, er ist an die Ideologie von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard und die Doktrin der Mutterkirche in den USA gebunden. Ein Beispiel: Hubbard hasste Kritiker, somit auch Journalisten. Und sein Wort ist heute noch das unverrückbare Evangelium. Über kritische Medienleute schrieb er, sie hätten durchwegs eine kriminelle Vergangenheit: «Veruntreute Gelder, moralische Fehltritte, abartiges Verhalten – schmutziges Zeug.» Wer Scientology das Leben schwer mache, setze sich augenblicklich einem Risiko aus. «Verteidige dich nicht, greife an», befahl er seinen Kolonnen. Stettler agiert zwar zivilisierter, doch er kann die Dogmen nicht grundsätzlich aufweichen. Der Imagewandel ist erst möglich, wenn sich das System Scientology verändert.
Zum Beispiel bei den angeblich 300 Schweizer Vollzeitmitarbeitern. Diese schuften 50, 60 und mehr Stunden pro Woche – für ein Taschengeld von wenigen Hundert Franken. Stettler nennt es Enthusiasmus, in Wirklichkeit ist es Ausbeutung. Die Mitglieder der Eliteeinheit unterschreiben sogar einen Vertrag über eine Milliarde Jahre, doch viele landen im Alter bei der Fürsorge. Korrekturen wären auch beim totalitären Weltbild, bei der Einbindung der Mitglieder, der Einschränkung der Freiheit und den horrenden Kursgebühren nötig. Doch hier hat Stettler gar keinen Spielraum. Bezeichnend war denn auch, dass Scientologen mit Filmkameras das Treiben in Bern überwachten, getreu dem Kontrollwahn von Hubbard. Da bleibt die Hoffnung auf Öffnung eine Illusion.
Basler Zeitung, 08.07.2014, Franziska Laur
Aufruf zum Widerstand gegen Scientology
«Wenn ich hier jemanden erwische, der Leute für Scientology anwirbt, bekommt er es mit mir zu tun», sagt Thomas Erlemann. Der Sozialpädagoge steht vor dem grossen Gebäude an der Burgfelderstrasse 211 und doziert in die Kamera. Der Strohhut verschiebt sich vor lauter Eifer, aus den kurzen Hosenbeinen ragen seine Waden. Seit Tagen weibelt Erlemann, damit aus dem ehemaligen Implenia-Gebäude keine Scientology-Kirche, sondern ein Quartierzentrum entsteht. Dies sei um einiges sympathischer als eine Sekte, die mit massivem Druck arbeite, sagt er.
Doch alles von vorne: Die Organisation Scientology hat das Gebäude vor etlichen Jahren erstanden und will es zur grössten Schweizer Scientology-Filiale mit 150 Mitarbeitern ausbauen. Die Eröffnung soll im ersten Halbjahr 2015 stattfinden. Dagegen gab es im November 2013 Widerstand. Die Grossräte Sarah Wyss (SP) und Michel Rusterholtz (SVP) reichten eine Interpellation und einen Vorstoss ein.
Erfahrener Kämpfer
Doch da war es schon zu spät. Die Baubewilligung war am 24. Mai 2013 erteilt worden. Man habe vom Vorhaben nicht rechtzeitig Kenntnis gehabt, weil das Bauverfahren nicht unter dem Namen von Scientology gelaufen sei. «Die hatten Erfolg mit ihrer Verschleierungstaktik», sagt Rusterholtz. Nun müsse man wohl abwarten, wie es anlaufe, und dann beim ersten Anzeichen von Belästigung eingreifen, so der Grossrat. Soweit will es Thomas Erlemann nicht kommen lassen. Als alter Kämpfer gegen das AKW Kaiseraugst und für die alte Stadtgärtnerei in Basel wisse er genug über Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und habe Kampfinstrumente in der Hand, sagte er. Erfahrung habe er auch in der Quartierarbeit; im Gebäude solle wieder so etwas entstehen. «Tout Bâle ist dabei» Ihm ist bewusst, dass das aufgrund der fortgeschrittenen Zeit und der Grösse der Organisation nicht einfach ist. «Ein Kampf von David gegen Goliath», sagt er. Doch unverdrossen hat er vor drei Tagen die Facebook-Seite «Julia Gauss» gestartet und zum Widerstand gegen die geplante Zentrale aufgerufen. Jetzt haben sich bereits über 450 Freunde vereint. «Von links bis rechts, tout Bâle ist dabei», dröhnt er vergnügt. Eile sei geboten, denn «wenn die Scientologen einmal mit dem Wildern beginnen, ist es zu spät.» So wird er als nächstes 5000 Flugblätter drucken lassen mit der Aufschrift: «Quartierzentrum Burgfelderstrasse jetzt!» Obwohl er selber «Basta»-Mitglied sei, habe er keine Berührungsängste. «Ich muss halt über meinen Schatten springen und auch mit der SVP zusammenarbeiten.»
Scientology-Pressesprecher Rolf Moll indes beruhigt: Das Projekt sei eine eigene Kirche für die Basler Scientologen. Man nenne es auch eine «ideale Organisation». Dort würden die gleichen Dienste geliefert wie auch in den jetzigen Räumlichkeiten am Herrengrabenweg. Allerdings habe man jetzt etwas mehr Raum zur Verfügung, um den Gästen allgemeine Informationen über die Religion zu geben. So würden in den Räumen eine Ausstellung und verschiedene LED-Screens eingerichtet. Die Arbeiten seien bereits im Gange. Er bedauert, dass es so grosse Befürchtungen von künftigen Nachbarn gibt. «Wir sind nun bereits seit Jahrzehnten am Herrengrabenweg und haben keinerlei Probleme mit den Nachbarn.» Es sei auch überhaupt nicht vorgesehen, Leute im Quartier anzuwerben.
Umstrittene Methoden
Bei Scientology sind in der Schweiz über 300 hauptamtliche Mitglieder in den Vereinen tätig; sie betreuen 5000 Scientologen. Diese Zahlen gab die Organisation an ihrem 40-Jahre-Jubiläum in Bern bekannt. In der Schweiz seien bislang fünf Scientology-Kirchen und sechs Missionen aufgebaut worden. In Zürich gebe es über 120 hauptamtliche Mitglieder, gefolgt von den Vereinen in Basel und Lausanne mit je 70 Mitarbeitenden. Scientology ist eine religiöse Bewegung, deren Lehre auf Schriften des US-amerikanischen Schriftstellers Lafayette Ronald Hubbard zurückgeht. In der Öffentlichkeit sind die Methoden der Mitglieder höchst umstritten.
Rekrutierungsbestrebungen von Scientology, so ein Vorwurf, konzentrierten sich häufig ganz bewusst auf Menschen, die eine Krisensituation in ihrem Leben erreicht haben und deswegen besonders anfällig sind. Ausserdem habe die Organisation undemokratische und totalitäre Züge. Erlemann fordert nun von der Regierung Basel-Stadt, dass sämtliche Baubewilligungen betreffend die Scientology-Liegenschaft an der Burgfelderstrasse sistiert werden. Ausserdem solle der Kanton die Liegenschaft zugunsten eines Quartierzentrums für die Bevölkerung kaufen. «Dieses Quartier ist bislang ein weisser Fleck auf der Stadtkarte. Das soll sich jetzt ändern», sagt er.
Tages Anzeiger, 24.09.2014, Hugo Stamm
Stadt Zuerich – Scientology missioniert im Hauptbahnhof
Gemäss dem SBB-Mediensprecher Reto Schärli zwingt ein Bundesgerichtsentscheid von 2012 die SBB, den Bahnhof für kommerzielle, ideelle und religiöse Zwecke zugänglich zu machen. Auslöser der neuen Nutzungsbestimmungen waren israelfeindliche Plakate, welche die SBB verboten hatten. Das Bundesgericht kam aber zum Schluss, die grossen Bahnhofsareale seien mit den vielen Läden eine «City in the City», also ein öffentlicher Raum, in dem auch die Meinungsfreiheit gewahrt werden müsse. Deshalb seien selbst kritische Aussagen zu aussenpolitischen Themen zu tolerieren. Daraufhin überarbeiteten die SBB die Nutzungsbestimmungen für ideelle Promotionen auf dem Bahnhofsareal, die seit Januar 2013 in Kraft sind. Diese erlauben es auch umstrittenen Organisationen wie Scientology, einen Informationsstand zu betreiben. Die Sekte wird als ideelle Organisation eingestuft, weil sie nichts verkauft. Deshalb gilt für sie wie für alle ideellen Gemeinschaften eine stark reduzierte Standgebühr von 90 Franken. Laut Schärli müssen die Standbetreiber die Flugblätter und Broschüren vorlegen, die sie verteilen wollen. Das schriftliche Material darf keine rassistischen Aussagen enthalten oder gegen ethische und moralische Grundsätze verstossen. «Alles, was auf öffentlichem Grund erlaubt ist, müssen wir auch in den Bahnhofshallen zulassen», sagt Reto Schärli. Da liessen sich die Scientologen mit ihren professionellen Missionsmethoden nicht zweimal bitten.
NZZ, 15.09.2014, Katrin Schregenberger
Ideell geprägte Privatschulen Ideologie im Schafspelz
In dem kleinen Schulzimmer sitzen drei Interessierte – eine junge Frau (die Journalistin) und ein Pärchen. Eine Lehrerin, die Schulleiterin sowie die Mutter eines ehemaligen Schülers führen durch den Info-Abend. Es herrscht eine nette, persönliche Atmosphäre. Die Lehrmethode wird erklärt, als oberstes Prinzip wird das «Verstehen» deklariert. Denn: Wie soll man etwas können, wenn man es nicht verstanden hat? Die drei Interessierten üben sich im Selbsttest. Sie schlagen Wörter im Duden nach, alles wirkt logisch, klar, sympathisch. Auch die Homepage der Schule kommt bunt und harmlos daher: «Politisch neutral und überkonfessionell» steht da. Was aber weder Homepage noch Broschüren oder Gastgebende erläutern: Gelehrt wird hier nach der abgespeckten Version der Lehrmethode von Scientology. «Wir lehren nach den Methoden von L. Ron Hubbard», sagt die Schulleiterin auf Nachfragen hin. Hubbard ist der umstrittene Gründer der Scientology-Sekte. Ob denn die Scientology-Ideologie Einfluss habe auf den Schulbetrieb, hakt die junge Frau nach. «Natürlich, aber aus meiner Sicht einen guten!», erwidert die Schulleitern. Sie ist bekennende Scientologin, wie alle Hauptlehrer an der Schule. Und die Kinder? «Manche interessieren sich mehr für Scientology, andere weniger», sagt sie.
Verbot in Luzern
Ort des Geschehens ist die Tagesschule «Ziel» in Zürich, die mithilfe von Hubbards Methoden lehrt. Knapp 40 Schüler pro Jahr, auf Unterstufe, Mittelstufe und Sekundarstufe, werden hier unterrichtet. Die Kosten belaufen sich auf 1300 bis 1800 Franken pro Monat, was eher tief ist im Vergleich zu anderen Privatschulen. Kinder lernen auf eigene Faust anhand von Lernprogrammen, werden dabei von Lehrern individuell betreut. Frontalunterricht gibt es nicht, Hausaufgaben auch nicht; die Kinder erledigen alles in der Schule. Die Frage liegt in diesem Fall nahe: Will Scientology durch eine solche Schule neue Mitglieder rekrutieren? Die Schulleiterin Lisbeth Ambühl weist diesen Vorwurf vehement von sich (siehe Interview). Wilfried Handl, ehemaliger Scientologe und einst an der Spitze von Scientology Österreich, will dies der Organisation und der Schulleitung auch nicht einfach so unterstellen. Es entspreche aber einer inhärenten Logik, dass die Kinder an solchen Schulen Berührungsängste gegenüber der Sekte verlören.
In der Ideologie von Scientology spiele das Verstehen des einzelnen Wortes eine zentrale Rolle. Wer ein Wort falsch verstehe, drohe zur «unterdrückerischen Person», also zum Feind zu werden, so das Credo. «Nachschlagewerke gibt es bei Scientology zuhauf», sagt er. Bedenklich an der Studiermethode sei vor allem, dass sie total veraltet sei. Die Neutralität der Schule sei allein schon durch die Verbindung zu Hubbard nicht gegeben. Gewiss: Dass die Schule mit Scientology verbandelt ist, ist seit Jahren bekannt. Die Einrichtung wurde in den 1980er Jahren gegründet, explizit als Schule, an die Scientologen ihre Kinder hinschicken konnten. Damals brauchte man keine Bewilligung zum Führen einer Privatschule. Neue behördliche Bestimmungen machten eine solche dann erforderlich. Diese wurden der Schulleiterin Lisbeth Ambühl und dem Verein Ziel jahrelang verweigert – der Entscheid des Kantons war vom Bundesgericht 1997 gestützt worden. Es war nicht der einzige Fall dieser Art, der in Lausanne verhandelt wurde. 2003 wurde der Entscheid des Kantons Luzern bestätigt, eine Ziel-Schule zu schliessen: Eine Scientologin sei als Lehrperson und Schulleiterin nicht vertrauenswürdig. Auch der Kanton Zürich war lange dieser Meinung. Doch im Jahr 2000 bekam die Schule trotzdem eine Bewilligung.
Wieso diese Kehrtwende? «Der Bildungsrat wollte Frau Ambühl als Privatperson – anders als dem Verein Ziel – nicht von vornherein das Vertrauen absprechen», sagt Martin Wendelspiess, Amtschef der Bildungsdirektion im Kanton Zürich. 2005 nahm das Zürcher Stimmvolk das neue Volksschulgesetz an, welches das Offenlegen ideeller Verbindungen der Trägerschaft seither vorschreibt. Die Ziel-Schule ist in Form einer Aktiengesellschaft organisiert. Damit ist die einzige im Handelsregister eingetragene Person der Rechtsanwalt Markus Erb – und nicht mehr Lisbeth Ambühl.
Markus Erb habe mit seiner Unterschrift bestätigt, dass er keiner ideellen Vereinigung nahestehe, sagt Wendelspiess vom Bildungsamt. Diese Unterschrift entlässt die Schule rechtlich gesehen aus der Verantwortung, ideelle Verbindungen offenzulegen. Ob die Trägerschaft, in diesem Fall Markus Erb, auch tatsächlich neutral ist, wird vom Kanton nicht überprüft. «Es gilt hier das Prinzip der Selbstdeklaration», sagt Martin Wendelspiess. Man forsche nicht nach, habe auch keine polizeilichen Mittel dazu. So kann also jeder eine «neutrale» Privatschule eröffnen – solange Verbindungen nicht bekannt werden. Abhilfe könnte die Liste der Privatschulen liefern, die der Kanton veröffentlicht. Doch auch hier wird man nicht informiert: Ein Hinweis zu den angewandten Methoden fehlt. Was in der Liste stehe, orientiere sich an der Selbstdeklaration der Schulen, sagt Wendelspiess.
Natürlich würden die Schulen regelmässig überprüft, die Ziel-Schule sei nie negativ aufgefallen. Im Internet stösst man rasch auf Beiträge, die den Hintergrund der Schule offenlegen. Trotzdem gibt es Eltern, welche diesen nicht erkennen. Eine Mutter mit starkem italienischem Akzent – ihr Name soll hier unerwähnt bleiben – schickte ihr Kind eineinhalb Jahre zur Ziel-Schule, ohne den Scientology-Bezug zu kennen. Als sie davon erfuhr, nahm sie den Sohn von der Schule. Er musste daraufhin eine Klasse wiederholen, wie die Frau aufgeregt und in brüchigem Deutsch erzählt. Als die Mutter die Schulleiterin gefragt habe, weshalb niemand Hubbard erwähnt habe, habe diese geantwortet: «Das weiss man ja.»
Weltanschauungsschulen
Die Fachstelle Infosekta hat zwischen den Jahren 1994 und 2014 insgesamt 44 Anfragen zur Ziel-Schule erhalten. Oft seien Eltern mit Migrationshintergrund verunsichert, da ihnen Wissen zu Sekten meist fehle, sagt Susanne Schaaf von der Infosekta. Scientology vertrete ein technisches, in letzter Konsequenz fast unmenschliches Menschenbild. Methode und Gedankengut liessen sich bei einer solchen Organisation nicht trennen. Schaaf fordert deshalb Transparenz und eine valide Evaluation solcher Schulen. Denn gerade bei sektenhaften Gruppen klaffe oft weit auseinander, was gesagt und was getan werde. Betroffen sei dabei indes nicht nur diese Schule, auch bei andern Institutionen müsse man genau hinschauen.
Auch Georg O. Schmid von der evangelischen Informationsstelle Relinfo weiss gut Bescheid über die Ziel-Schule. Gut zwei Dutzend Anfragen zur Schule habe man in den letzten Jahren bekommen. Er weiss von Eltern, die ihre Kindern an- und gleich wieder abmeldeten. Aber auch von solchen, die in die Sekte gerutscht seien. Man müsse sich generell fragen, ob Schulen mit geschlossenen Weltanschauungen sinnvoll seien, meint Schmid. Auch Schulen umstrittener christlicher Gemeinschaften wie etwa die «Domino Servite» oder die Schulen der Pius-Bruderschaft gehörten in diese Kategorie. «Wenn ein Kind mit einer Ideologie gross wird, hat es in der Schule die Möglichkeit, andere Weltanschauungen kennenzulernen», sagt Schmid. Werde das Kind jedoch in eine ideologisch gebundene Schule geschickt, verpasse es diese Chance. Man habe in der Schweiz zwar eine liberale Tradition. Doch sei zu überlegen, ob die Gesellschaft für diese Kinder nicht mehr Verantwortung übernehmen müsse.
Stuttgarter Nachrichten, 04.09.2014, Thomas Schorradt,
Sekte plant Kampagne – Scientology geht in die Offensive
Die Räume sind von der umstrittenen Scientology-Organisation angemietet worden. Ein Schild mit Schriftzug und Logo weist auf den neuen Mieter hin. Im Schaufenster stehen ausschließlich Werke des Scientology-Gründers Ron L. Hubbard. Im Kirchheimer Ableger der weltweit operierenden, vom Verfassungsschutz als Sekte eingestuften Organisation, werden auch Seminare auf der Grundlage der Scientology-Philosophie angeboten. „Lebensverbesserungskurse“, sagt die Dame am Tresen, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Sozialdarwinismus und Gehirnwäsche“, sagen die zahlreichen Kritiker. Zuvor hatte der Kirchheimer Scientology-Ableger ein eher verborgenes Dasein in einem Kirchheimer Industriegebiet geführt. Die Scientologen machen keinen Hehl daraus, dass der Umzug an die viel befahrene Hauptstraße für sie einen entscheidenden Vorteil hat. „In der Brunnenstraße wollte der Vermieter nicht, dass wir sichtbare Werbung anbringen. Jetzt kann man uns schon von weitem sehen“, sagt die Dame.
„Wir wissen um das Problem, aber rein rechtlich sind uns die Hände gebunden“, sagt der Kirchheimer Bürgermeister Günter Riemer. Nicht nur er, sondern auch die SPD-Fraktion im Gemeinderat sieht eine solche Einrichtung den Worten der Fraktionssprecherin Marianne Gmelin zufolge als „sehr bedenklich“ an. Umso mehr, als dass der Umzug offensichtlich auch von einer intensiven Werbekampagne in der Stadt begleitet werden soll. „Wir haben fünf Informationsstände der von den Scientologen betriebenen Teck-Mission in der Fußgängerzone genehmigen müssen“, sagt Riemer. Von Oktober bis Dezember wird die Organisation demnach an fünf Samstagen Werbung in eigener Sache machen – unter dem Deckmantel einer Jugendschutz- und Antidrogenkampagne, wie Riemer aus leidvoller Erfahrung vermutet.
Zuletzt hatte die Sekte in Stuttgart für Schlagzeilen gesorgt. Dem jüngsten Jahresbericht des baden-württembergischen Verfassungsschutzes zufolge soll Scientology über eine in Israel gemeldete Firma ein Anwesen in der Heilbronner Straße gekauft haben. In dem Haus, das für acht Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, soll laut Verfassungsschutzbericht das größte Scientology-Zentrum in Deutschland Platz finden. Eine Einschätzung, der vonseiten der Sekte widersprochen wird. „Diese Firma ist uns nicht bekannt“, hatte Scientology-Sprecher Hubert Kech auf Nachfrage beteuert. „Scientology will die angestrebte totalitäre Ordnung durch eine umfassende Verbreitung ihres Programms in der Gesellschaft und durch die Gewinnung von Entscheidungsträgern und Meinungsführern verwirklichen und langfristig Politik, Wirtschaft und Medien kontrollieren. Deutschland kommt aus scientologischer Sicht eine Schlüsselrolle in Europa zu“, so steht es im aktuellen Verfassungsschutzbericht. Dabei gelte Baden-Württemberg seiner wirtschaftlichen Stärke wegen als ein wichtiger Standort für die Organisation, „die ihre verfassungsfeindlichen Ziele zur Gesellschaftsveränderung hartnäckig weiterverfolgt“. Im Land hat Scientology rund 900 Mitglieder. Neben der Zentrale in Stuttgart verfolgt die Sekte ihre Ziele über vier „Missionen“ in Ulm, Karlsruhe Göppingen und Kirchheim. Die Niederlassung in Göppingen hat Ende 2013 neue Räume bezogen und auch in Ulm ist den Erkenntnissen der Verfassungsschützern zufolge ein Umzug geplant.
Der Stern, 21.10.2014, Helke Koulakiotis
Entlarvendes Video – Ex-Scientologe zeigt, wie Belästigung aussieht
Sekten-Austeiger Mark Rathbun filmte, wie ihn drei mutmaßliche Scientologen bedrängen. Zehn Jahre ist es her, dass mit Mark Rathbun einer der einflussreichsten Scientologen ausgestiegen ist. Als «rechte Hand» von David Miscavige hat er sich um die größten Probleme der Sekte und auch um Tom Cruise gekümmert. Doch dann wurde er zu einem der lautesten Kritiker von Scientology, betreibt ein tägliches Blog namens «Moving On Up A Little Higher» und zog im August 2013 mit seiner Frau Monique gegen Scientology vor Gericht: wegen Belästigung, Beleidigung und Überwachung. Der Prozess läuft.
Scientologys aggressives Gebaren gegenüber «Abtrünnigen» ist weithin bekannt und für Rathbun nichts Neues (Video in der Mitte des «Daily Mail»-Artikels). Trotzdem ist es immer wieder schockierend zu sehen, wie aggressiv und manipulativ die Sektenanhänger tatsächlich unterwegs sind. Einen weiteren Beweis dafür hat Rathbun nun online gestellt. Drei ihm angeblich bekannte Scientologen (im Blog mit Namen identifiziert) bedrängen Rathburn, als er am Flughafen von Los Angeles ankommt, und beschimpfen ihn («Du bist ein niemand», «Niemand interessiert sich für dich»), während einer der Angreifer filmt. Um Sam Prince von «Heavy» zu zitieren: Dafür, dass sich niemand für Rathbun interessiert, hängt Scientology ganz schön an ihm.
2013
Horizont, 30.01.2013, Mam
Heikle Mission: Scientology sucht eine Werbeagentur
Mit der geplanten Imagekampagne verfolge man das Ziel, «unsere Arbeit, Absichten und Zielsetzungen selbst vorzustellen», sagt Weber. Um Mitgliedergewinnung gehe es dabei nur sekundär. Die Vermutung, dass Scientology mit der Aktion weitere Menschen von sich überzeugen will, liegt allerdings auf der Hand. Beobachter wollen wissen, dass die geplante Expansion stockt. Scientology Deutschland spricht von derzeit 12.000 aktiven Mitgliedern, staatliche Stellen von 4000 bis 5000. Angesichts des Rufs von Scientology ist die Aufgabe für Agenturen mehr als eine heikle Mission. Die Organisation wird nach wie vor vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Behörde wirft der Gemeinschaft unter anderem vor, das demokratische Rechtssystem abzulehnen. Scientology wiederum spricht von einer «gezielten Rufmordkampagne, die durch unsere religiös-weltanschaulichen Gegner gesteuert wird». Für den geplanten Imageauftritt sind Anzeigen, Radiospots, Dialogmaßnamen sowie Online- und Außenwerbung in Planung.
Berner Zeitung, 30.01.2013, Hugo Stamm
Eine bittere Pille für Scientology
In den USA ist der Ruf von Scientology noch halbwegs intakt. Hollywoodstars wie Tom Cruise oder John Travolta bildeten bisher erfolgreich eine Schutzmauer. Die meisten Medien wollten die Leinwandhelden nicht gegen sich aufbringen oder die Leser verärgern. Doch die Schonzeit läuft ab. Nach mehreren Skandalen und der spektakulären Flucht von Cruises Ehefrau Katie Holmes sorgt der Starjournalist Lawrence Wright mit seinem Buch «Going Clear. Scientology, Hollywood and the Prison of Belief» (Geklärt werden. Scientology, Hollywood und das Gefängnis des Glaubens) für Schlagzeilen. Pulitzer-Preisträger Wright trug jahrelang Material über Scientology zusammen und führte mit über 250 ehemaligen und aktiven Sektenanhängern Interviews, unter ihnen Aussteiger aus der Teppichetage. Einer der Kronzeugen ist der bekannte Regisseur und Drehbuchautor Paul Haggis («Million Dollar Baby»), der sich nach 34 Jahren aus dem «Gefängnis des Glaubens» befreit hat. Die Enthüllungen umfassen 450 Seiten.
Behilflich bei seinen aufwendigen Recherchen waren ihm ausgerechnet die Scientologen. Als Wright Stellungnahmen bei der Sekte einholen wollte, bekam er Besuch vom Scientology-Sprecher und vier Anwälten. Um seine Thesen zu widerlegen und ihn mit Unterlagen zuzumüllen, schleppten sie rund 50 Ordner an. Das Material entpuppte sich für Wright aber als Fundgrube.
1 Milliarde flüssige Mittel
Wright hat bei den US-Medien einen Damm zum Einsturz gebracht. Obwohl das Buch erst seit ein paar Tagen auf dem Markt ist, werden seine Enthüllungen in den Medien breit präsentiert. Für Scientology ist das ein GAU, denn Wright zerschlägt die Mythen der Sekte gleich reihenweise. Zuerst räumt der Autor mit den Propagandazahlen von Scientology auf. Die Sekte behauptet, in den USA 3,5 Millionen Anhänger zu haben, der Autor konnte aber gerade mal 25'000 überzeugte Mitglieder ausmachen. Auch andere Zahlen sind für die Sekte, die sich Kirche nennt, nicht schmeichelhaft. Die liquiden Mittel betragen laut Wright eine Milliarde Dollar, der Immobilienbesitz belaufe sich auf 1 Million Quadratmeter, der Gebäudewert allein in Hollywood auf 400 Millionen Dollar.
Zur Abtreibung genötigt
Wright zeichnet ausserdem ein unvorteilhaftes Sittenbild von Ron Hubbard und seiner Organisation. Der Gründer von Scientology habe seine Umgebung terrorisiert. Zum Beispiel habe er Frauen geschlagen und Matrosen über Bord werfen lassen. Sein Nachfolger David Miscavige, ein enger Freund von Tom Cruise, stehe ihm kaum nach. Bei Wutausfällen habe er hochrangige Mitarbeiter blutig geschlagen, erklärten ehemalige Vertraute des Sektenbosses im Buch. Scientology habe schon Mitte der 50er-Jahre begonnen, Promis zu ködern. Um eine Lebenspartnerin für Tom Cruise zu finden, habe Scientology Castings für junge Schauspielerinnen organisiert. Weiter kritisiert Wright die autoritären Strukturen der Sekte. Unfolgsame Mitglieder würden streng bestraft oder gar misshandelt, das interne Kontrollsystem sehe Strafen vor, die an Freiheitsberaubung grenzten, die Geldgier sei sehr ausgeprägt. Ausserdem seien Scientologinnen zur Abtreibung genötigt worden.
Wright kommt zum Schluss, dass vor allem die strengen Regeln, die finanzielle Macht über die Mitglieder und die soziale Isolation das rigide Abhängigkeitssystem ermöglichten. Scientology weist die Vorwürfe von Wright pauschal zurück. Kaum war das Werk im Handel, schlug Scientology im Internet mit einem Weissbuch zurück. Wright hatte viele Domain-Namen blockiert, aber einen vergessen: www.lawrencewrightgoingclear.com. Die Sekte bezeichnet dort das Buch, das voll von Fehlinformationen sei, als «eklatant bigott». Zu sehen ist auch ein Porträt von Wright. Allerdings gleicht er darauf mehr einem Vampir als einem menschlichen Wesen. Das Bild ist ein Vorgeschmack darauf, was Wright in der weiteren Auseinandersetzung erwartet.
Der Westen, 30.01.2013, Dirk Hautkapp
Nochmal «Going clear» – Neues Buch enthüllt Schlüsselrolle von Tom Cruise bei Scientology
In seinen gerade in Amerika erschienenen Enthüllungen über Scientology hat der US-Autor Lawrence Wright die Schlüsselrolle des Schauspielers in der Psycho-Sekte freigelegt. Cruise ist demnach seit 1986 das Promi-Aushängeschild schlechthin für den von L. Ron Hubbard gegründeten Kult, der sich seit Jahren weltweiter Kritik ausgesetzt sieht. Wrights detaillierte Schilderungen in „Going Clear. Scientology, Hollywood and the Prison of Belief“ über die engen Bande zwischen Cruise und Scientology-Boss David Miscavige, der dem Mimen Ehen gestiftet und beendet haben soll, beantworten allerdings nicht die Frage, die der Schauspieler Josh Brolin („No Country for Old Men“) einmal so stellte: Wie können sich Menschen, die großartige Karriere-Entscheidungen treffen, einem derart obskuren Glauben unterwerfen?
Anhaltspunkte geben eher die Passagen von Spanky Taylor, die in den 70er Jahren John Travolta an die Sekte band. So sei der Hollywood-Star ausgerechnet zum Start seiner Karriere mit dem Film „Saturday Night Fever“ ein tief unglücklicher Mensch auf der Suche nach dem Sinn des Lebens gewesen. Scientology bot Halt, so Wright, hielt den Künstler gleichwohl wegen einer versteckt gelebten Homosexualität nicht für gesellschaftsfähig.
Hunde von Scientology-Führer stehen ganz oben in der Sekten-Hierarchie
Hubbard betrachtete Schwule immer als krank. Eine Charakterisierung, die jetzt unterschwellig Miscavige untergeschoben wird. Laut Wright hält sich der braun gebrannte Sekten-Führer fünf Beagle-Hunde, für die eigens blaue Westen mit goldenen Epauletten und Abzeichen genäht worden seien, die ihren hohen Rang in der Scientology-Hierarchie bezeugen sollten. Wuff. Miscavige stecke auch hinter dem so genannten „Loch“ – ein Wohnwagenpark der Sekte in der kalifornischen Wüste, wo Abtrünnige wie in einem Straflager gehalten und geschlagen würden. Die „New York Times“ bilanziert Wrights Recherchen mit einem delikaten Befund: Scientology könne man institutionell wohl nur mit der kommunistischen Partei in ihren besten Zeiten vergleichen.
Zentraler Auskunftsgeber für Lawrence Wright ist Hollywood-Regisseur Paul Haggis. Der für sein Drehbuch zu „Crash“ mit dem Oscar belobigte Filmemacher kehrte der Sekte nach 34 Jahren den Rücken, weil er die „menschenverachtende“ Haltung gegenüber Homosexuellen nicht mehr ertragen konnte. Seine Töchter sind lesbisch. Als sich Haggis, der die zweithöchste Erkenntnisstufe eines Thetan VII besaß, Wright vor zwei Jahren für einen Artikel im Magazin „New Yorker“ umfänglich öffnete, schoss die Gegenseite aus allen Rohren zurück und setzte eine Armada von Anwälten in Bewegung.
Autor deckt Misshandlungen und Erpressungen bei Scientology auf
Wright kann mit den Anwürfen leben. „Es ist eine monumentale Aufgabe, die Geschichte einer feindseligen Organisation zu schreiben, die ihre Daten versteckt und ihre Vergangenheit verschleiert.“ Um sich erneuten juristischen Komplikationen zu erwehren, stellte er in seinem neuen Buch fast jedem Vorwurf direkt das Dementi der Sekte entgegen, die zusätzlich eine Internetseite geschaltet hat (http://www.lawrencewrightgoingclear.com), um Wright herabzuwürdigen. Was dieser zu Misshandlungen ungehorsamer Mitglieder, Gehirnwäsche, Freiheitsentzug, Erpressungen, erzwungenen Abtreibungen, Beziehungstrennungen und anderen Schändlichkeiten aufgeschrieben hat, ist in seiner Dichtheit und Quellenlage beispiellos.
Obwohl der amerikanische Verlag Knopf vor Drucklegung wochenlang Fakten-Checks durchgeführt hat, schrecken kanadische und britische Lektoren aus Furcht vor Schadensersatzklagen vor einer Veröffentlichung bisher zurück. Wrights Glaubwürdigkeit steht dabei laut „New York Times“ außer Zweifel. Sein Buch über El Kaida und den 11. September 2001 („Der Tod wird euch finden“) wurde mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Für die aktuelle Arbeit hat er über 200 Gespräche mit amtierenden oder ehemaligen Mitgliedern der Sekte geführt und Tausende Dokumente ausgewertet. Wer sich durch die knapp 450 Seiten durchgearbeitet hat, versteht besser, was Sektengründer Hubbard seinen Jüngern einmal persönlich als Geschäftsprinzip aufgetragen hat: „Um einen Menschen auf dem Scientology-Weg zu halten, füttere ihn mit einem Mysterium-Sandwich.“
Focus, 14.01.2013
Die Sekte der Stars
Es muss eine Hollywood-würdige Szene gewesen sein, als der Journalist Lawrence Wright Anfang 2011 in der Redaktion des Magazins „New Yorker“ an einem Artikel über Scientology saß – und überraschend Besuch bekam. Tommy Davis, damals Sprecher der Sekte, erschien mit vier Anwälten und 47 weißen Aktenordnern. „Die Idee war wohl, mich in Informationen zu ertränken“, erinnerte sich Wright jüngst in der „New York Times“ belustigt. „Aber es war, als hätte man Wasser auf einen Fisch geschüttet. Ich habe diese Ordner nur angestarrt und hätte nicht glücklicher sein können.“
Scientology hatte freiwillig das geliefert, was Wright gar nicht verlangt hatte: Stoff für ein ganzes Buch. Gut zwei Jahre später erscheint diese Woche in den USA nun sein mit Spannung erwarteter Inside-Report, für den er 200 Scientologen und Aussteiger interviewte. Der Inhalt von „Going Clear: Scientology, Hollywood, and the Prison of Belief“ ist streng geheim. Lediglich der „Hollywood Reporter“ erhielt zwei Buchpassagen zum Vorabdruck. Und die haben es in sich.
Unter der Überschrift „Die Kirche hatte Travolta in der Falle“ beschreibt Autor Wright, wie der Schauspieler John Travolta in den 70er-Jahren zu Scientology fand. Er sei damals ein „zutiefst unglücklicher“ Künstler gewesen, der durch Kurse im „Celebrity Center“ zu sich selbst finden wollte. Die Sekte habe Travolta zur Karriere in Hollywood verholfen – und sich seiner bemächtigt.
Travolta bekam von der Sekte die junge Assistentin Sylvia Taylor an die Seite gestellt, die im Alter von 15 Jahren Scientology beigetreten war. Während Travoltas Erfolgszeit begann, geriet Taylor in Schwierigkeiten. Angeblich hatte sie sich bei den Sektenoberen über die Behandlung eines anderen Mitglieds beschwert. Sie landete laut Wright zur Strafe in der Rehabilitation Project Force, einer Art interner Umerziehungsanstalt. Der Reporter: „Man nahm ihr das gerade geborene Baby Vanessa weg und steckte es in ein Scientology-Kinderheim.“
Ein früherer Exekutivdirektor der Sekte berichtete, Geheimdienstler der Organisation seien dazu angehalten worden, persönlichste Details aus Gesprächen mit Travolta zu sammeln – als eine Art Pfand, falls dieser mal aussteigen wolle.
Schon in den Anfangszeiten der Sekte, die in den USA seit 1993 den Status einer steuerbefreiten Religionsgemeinschaft genießt, rekrutierte Gründer Ron Hubbard Hollywood-Stars, um der Organisation Strahlkraft zu verleihen. Der für sie derzeit wichtigste Star ist zweifellos Tom Cruise. Wrights detaillierte Schilderung von dessen Sekteneintritt 1986 bis zu seinem Aufstieg zum zweitwichtigsten Mann liest sich wie ein durchgeknallter Science-Fiction-Roman.
Absurdes Training für Novizen
In einer bizarren Szene schildert Wright, wie Cruise ein sogenanntes Upper Indoctrination Training bei einem Neumitglied durchführt: Cruise habe von ihm verlangt, „ein Objekt – in diesem Fall einen Schreibtisch – still stehen und solider werden zu lassen. In einer weiteren Übung musste er einem Aschenbecher befehlen aufzustehen, wobei der Novize selbst aufsteht und den Aschenbecher hochhebt, dem Aschenbecher dankt und dann dem Aschenbecher befiehlt, sich wieder zu setzen.“
Die Scientology-Sekte dementiert die Enthüllungen des US-Autors heftig. „Das Einzige, was in Lawrence Wrights Buch klar ist“, schimpft Sprecherin Karin Pouw, sei, dass er den „Wasserträger für eine Hand voll von verärgerten und bitteren Individuen“ spielt. Wright habe eine frei erfundene Geschichte geschrieben, die „wenig mehr tut, als sechs Dekaden falscher, bizarrer Schmierenpresse-Anschuldigungen über den Gründer der Religion, ihre Führung und ihre prominenten Mitglieder wiederzukäuen.“
Oberflächlichkeit ist allerdings das Letzte, was man Autor Lawrence Wright vorwerfen kann. Er gilt als einer der besten Reporter der USA. 2007 erhielt er den Pulitzer-Preis für sein Werk „Der Tod wird euch finden: Al-Qaida und der Weg zum 11. September.“
„Es waren die Fragen, die viele Menschen zu Scientology haben, die mich antrieben, dieses Buch zu schreiben“, sagt Wright über sein Motiv, eine weitere Organisation ins Visier zu nehmen, die vornehmlich im Dunkeln operiert. „Was macht diese Religion so anziehend? Wie können scheinbar rationale Menschen sich einem Glauben unterwerfen, den andere völlig unverständlich finden?“
Als Kronzeuge und Türöffner für Wright wirkte der Produzent und zweifache Oscar-Preisträger Paul Haggis („Million Dollar Baby“, „Crash“), der 2009 nach 34 Jahren Mitgliedschaft die Organisation im Streit verließ. Haggis hatte aus Ärger über die unterschwellige Homophobie der Sekte begonnen, über Scientology im Internet zu recherchieren und traf sich mit Aussteigern, die behaupteten, erpresst, eingesperrt oder geschlagen worden zu sein. Daraufhin verfasste Haggis eine Austrittserklärung als einen offenen Brief, den er auch an viele Hollywood-Freunde, darunter John Travolta, schickte: „Wenn nur ein Bruchteil dieser Anschuldigungen wahr ist, handelt es sich um ernst zu nehmende, unvertretbare Verletzungen von Menschen- und Bürgerrechten.“
Cruise-Scheidung als PR-GAU
Hat Scientology die besten Zeiten hinter sich? Allein die Tatsache, dass Wright für sein Enthüllungsbuch 200 Zeugen sprechen konnte, legt nahe, dass die Sekte die Kontrolle über ihre Jünger verloren hat. Die Blitzscheidung von Tom Cruise und Katie Holmes im vergangenen Sommer kam einem PR-Super-GAU gleich – „der größtmögliche Albtraum in der Geschichte von Scientology“, kommentierte der „Hollywood Reporter“.
Wahrscheinlich begann der Niedergang der Organisation schon früher. Schleichend. Sektenkenner wie Tony Ortega, Ex-Chefredakteur der New Yorker Szenezeitung „The Village Voice“, der seit 17 Jahren über Scientology berichtet, nennen das Jahr 2004 als Wendepunkt für Sektenboss David Miscavige. Nachdem dieser nach acht Jahren vom Vorwurf freigesprochen worden war, am Tod eines Sektenmitglieds mit schuld zu sein, habe er „sich plötzlich unbesiegbar gefühlt“ und begonnen, „den Führungskreis von Scientology zu schikanieren“.
So soll Miscavige 2005 mehr als 30 Leader im Hauptquartier festgehalten haben, um sie „Reise nach Jerusalem“ spielen zu lassen. Wobei angeblich jeder, der eine Runde verlor, zu einem Außenposten fernab seiner Familie geschickt werden sollte. Die Teilnehmer hätten „bis in die frühen Morgenstunden wie Tiere um ihr Leben gespielt“, sagt Ortega.
2009 schließlich verließen hochrangige Mitglieder Scientology – ein Tiefschlag für Miscavige und seine Mannen. „Scientology ist im Niedergang“, bestätigt Stephen Kent, Soziologieprofessor an der Uni von Alberta/Kanada der seit Jahrzehnten die Sekte erforscht. Die Wahrheit sei heutzutage eben nur einen Mausklick entfernt, so Kent. „Das Internet ist der größte Feind von Scientology.“
Auch in Deutschland kämpft Scientology gegen den Verlust von Ansehen und Bedeutung. Nach Hollywood-Glamour sieht das Dianetik-Zentrum in der Beichstraße 12 in München wahrlich nicht aus. Mit den auf Hochglanz polierten Fliesen erinnert es an ein 2-Sterne-Hotel, das seit 20 Jahren nicht renoviert worden ist. Drei Mitarbeiter kümmern sich an einem Mittwochnachmittag um den einzigen Besucher, der den berühmten Stresstest ausprobieren möchte.
Die von der Organisation verbreitete Zahl von bundesweit 12 000 Mitgliedern halten Experten für pure Prahlerei. „Sie ist von einstmals 6000 auf 4000 gesunken, und der Abwärtstrend hält weiter an“, heißt es beim Verfassungsschutz, der Scientology seit 1997 wegen „demokratiefeindlicher Umtriebe“ beobachtet. Die Überwachung und eine kritische Öffentlichkeit machen den Scientologen zu schaffen. Anders als in den USA, kann sich die Truppe hierzulande weder mit Prominenten schmücken noch auf politischen Rückhalt hoffen.
Aktuelle Analysen der Sicherheitsbehörden zeigen nach FOCUS-Informationen, dass die Organisation an Akzeptanz verliert. Gab es im Jahr 2008 in Bayern noch 2600 Scientologen, sind es heute 1200. In Hamburg und Umgebung schrumpfte die Zahl der Mitglieder seit Ende der 90er-Jahre um mehr als 40 Prozent auf zuletzt 550. In Baden-Württemberg verlor Scientology laut Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren rund 300 Aktivisten.
In Berlin, wo Scientology 2007 eine Filiale eingeweiht hatte, zählen Beobachter gerade mal 130 Mitglieder, 70 weniger als 2008. Einzig für Nordrhein-Westfalen melden staatliche Stellen mit etwa 600 Scientologen halbwegs stabile Zahlen.
In den USA sind die Mitgliedszahlen zwischen 2001 und 2008 von geschätzt 55 000 auf 25 000 gefallen. Die Sekte selbst spricht von Millionen Jüngern und verweist auf „30 neue Kirchen“, die 2012 weltweit eröffnet wurden. „Meine Quellen erzählen mir, dass von den verbleibenden Scientologen drei Viertel unzufrieden sind“, sagt Sektenkenner Ortega. „Sie warten darauf, dass Miscavige implodiert.“ Die Hoffnung auf einen Sturz des Sektenbosses sei naiv. Sämtliche Einheiten der Organisation mit ihrem geschätzten Vermögen von sechs Milliarden Dollar seien auf den Boss zugeschnitten – und die Basis seiner Macht.
Focus, 13.01.2013
Scientology in Deutschland hat nur noch 4.000 Mitglieder
Die Organisation verzeichnete laut FOCUS den größten Abgang an Mitgliedern in Bayern. Gab es im Jahr 2008 im Freistaat 2600 Scientologen, sind es heute laut Verfassungsschutz noch 1200. In Hamburg und Umgebung schrumpfte die Zahl der Mitglieder seit Ende der 90er-Jahre um mehr als 40 Prozent auf zuletzt 550. In Baden-Württemberg verlor Scientology dem Verfassungsschutz zufolge in den vergangenen Jahren rund 300 Aktivisten. Die aktuelle Mitgliederzahl liegt dort bei 900. In Berlin zählen die Behörden laut FOCUS derzeit 130 Scientology-Mitglieder, 70 weniger als 2008. Einzig für Nordrhein-Westfalen meldet der Verfassungsschutz mit 600 Scientologen seit Jahren halbwegs stabile Zahlen. Die Scientology-Organisation selbst nannte die vom Verfassungsschutz erhobenen Zahlen gegenüber FOCUS falsch und geht von bundesweit 12.000 Mitgliedern aus.
Heise. 03.1.2013
Scientology in der Unterwelt Belgische Justiz bewertet Hubbard-Sekte als kriminelle Organisation
In Frankreich wurde die dortige Sektion der finanziellen Zuwendungen zugetanen Bewegung vor Jahren wegen Betrugs verurteilt. In Belgien nun, wo die missionierende „Wissenschaftskirche“ ihr europäisches Hauptquartier unterhält, ermittelt die Justiz wegen bedenklich ausgestalteter Arbeitsverträge, was 2008 zu ergiebigen Hausdurchsuchungen führte. Wie die Tageszeitung „De Tijd/L'Echo“ meldet, wurde angesichts weiterer Fälle nun ein neues und weitaus umfassenderes Strafverfahren in die Wege geleitet.
Laut Flanders News glauben die Behörden genug Material zu haben, um wegen des Verdachts auf Erpressung, Betrug, Verstöße gegen die Privatsphäre und illegale Ausübung von Medizin vorzugehen, was am Standort des europäischen Hauptquartiers besonders peinlich wäre. Führende Scientologen werden nun zu Anhörungen gebeten.
Die Scientologen indes bewegen sich offenbar auf andere Weise in der Unterwelt: So berichtet der britische Investigativ-Journalist John Sweeney in seinem Buch „Church Of Fear: Inside The Weird World Of Scientology“, dass die Wissenschaftskirche in New Mexico unterirdische Bunker für UFOs baute. Das vor der Steuer gerettete Geld ist also sinnvoll angelegt für den Fall, dass es sich bei UFOs doch nicht um Reichsflugscheiben, sondern um Raumschiffe fremder außerirdischer Mächte handelt, wie es die Hubbard-Jünger einander lehren.
Hubbards Ur-Enkel Jamie deWolf, ein Comedian und Filmemacher, verspottete seinen Vorfahren als „König der Betrüger“ und schwarzes Schaf der Familie. Australische Kritiker wollen Hubbards Geschichten über Aliens, die von einem galaktischen Imperator aus Raumschiffen in irdische Vulkane abgeworfen wurden, per Crowdfunding in einem satirischen Computerspiel aufgreifen.
Basler Zeitung, 27.2.13, Nina Jecker
Wirbel um Scientology-Stand an der Muba
Nicht nur der Auftritt der Sterbehilfeorganisation Exit stösst einigen Muba-Besuchern sauer auf. Aktuell sorgt auch der Stand der internationalen Organisation Scientology für Empörung. Unter anderem machte sich Sarah Wyss, Grossrätin und Noch-Präsidentin der Juso Basel-Stadt, via Twitter Luft: «Sekte an der Muba. Geht gar nicht», zwitscherte die Politikerin gestern. «Kann mir mal jemand sagen, wieso Scientology einen Stand an der Muba hat?», fragte ein anderer verständnislos.
«Wir haben im Vorfeld, was Scientology angeht, Abklärungen getroffen», sagt Muba-Sprecher Simon Dürrenberger dazu. Mit folgendem Ergebnis: Bei Scientology handle es sich um eine legale Organisation, die folglich auch an der Muba auftreten könne.
Umstrittene Gruppierung
Eine Haltung, für die Sektenexperte Georg Otto Schmid von relinfo.ch Verständnis hat: «Es ist rechtlich nicht ganz einfach, zu Veranstaltungen gewisse weltanschauliche Gemeinschaften zuzulassen und andere nicht.» Es gebe da keine juristisch hieb- und stichfesten Kriterien. «Deshalb kann ich es verstehen, dass die Muba Scientology zulässt, um nicht alle religiösen Organisationen ausschliessen zu müssen.»
In der liberalen Schweiz hätten es radikale Gruppierungen einfacher als beispielsweise in Deutschland. Dort werde Scientology vom Verfassungsschutz beobachtet. Aber auch hierzulande sei Scientology eine der umstrittensten aktiven Gruppierungen. «Keine andere produziert nach unserer Erfahrung einen so hohen Anteil unzufriedener Aussteiger.» Schmid kennt viele Berichte von ehemaligen Mitgliedern.
«Die Schattenseiten von Scientology sind zum einen der hohe finanzielle Aufwand, den Scientologen oft betreiben. Wer die sogenannte ‹Brücke zur Freiheit› bis zur höchsten Stufe gehen will, zahlt dafür gern Zehn- wenn nicht Hunderttausende Franken. Oder er arbeitet für Scientology für einen geringen Lohn», sagt Schmid. Aussteiger würden zudem von permanentem Druck berichten. Wer beispielsweise für die Organisation arbeite, müsse sich laufend verbessern.
Über Muba-Regeln aufgeklärt
An der Muba findet man die Scientology-Kirche Zürich in der Halle 2. Es ist laut Dürrenberger der erste Auftritt der Organisation an der Messe. Bei einem Augenschein vor Ort konnten sich die Standbetreiber gestern über mehrere Interessenten freuen. Auf dem ganzen Messegelände neue Mitglieder werben dürfen sie aber nicht. «Wir haben die Organisation im Vorfeld auf die Auflagen bei der Verhaltensweise hingewiesen», sagt Dürrenberger. Dazu gehöre die Regel, dass man nur innerhalb der Standgrenzen aktiv sein dürfe. Im neutralen Raum der Muba, also in den Gängen, Personen anzusprechen und an den Stand zu locken, sei tabu. «Das gilt aber auch für alle anderen Standbetreiber.»
Experte Schmid wurde selber auch schon von an Scientology Interessierten angesprochen: «Wenn sich jemand bei mir meldet, der sich für einen Beitritt interessiert, empfehle ich ihm in der Regel die Lektüre von Aussteigerberichten», sagt er. Dann seien die meisten nicht mehr so angetan. «Viele Aussteiger berichten davon, dass es Scientology nicht so einfach akzeptiert, wenn man sich distanzieren möchte und Aussteiger lange noch brieflich kontaktiert, in einer Art, die vielen lästig wurde», sagt Schmid.
Berliner-Zeitung, 14.02.2013, Frank Nordhausen
Unerschrockene Kämpferin Ursula Caberta hat lange in Hamburg gegen die Scientology-Sekte gearbeitet. Nun geht sie
„Wenn die Mittel fehlen, ist eine sinnvolle Arbeit nicht mehr möglich“, sagt die 62-Jährige. „Der politische Wille, über Scientology und Esoteriker aufzuklären, ist in Hamburg nicht mehr vorhanden.“ Als sie 1992 die Gründung der „Arbeitsgruppe Scientology“ beim Senat der Hansestadt erreichte, hat die streitbare SPD-Politikerin 1992 den Diskurs über totalitäre Sekten in Deutschland vom Kopf auf die Füße gestellt. Die weltweit einzigartige Behörde wurde im Innenressort angesiedelt und mit vier Planstellen gut ausgestattet.
Caberta behandelte die angebliche „Kirche“ aus Kalifornien erstmals nicht mehr als Problem einzelner Opfer, sondern als Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik. Sie drängte auch auf ein Verbot, wofür sich allerdings bundesweit keine Mehrheit fand. Politischer Extremismus „Inseln des Totalitarismus in der demokratischen Gesellschaft“ hat der amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton Sekten wie Scientology genannt. Caberta sprach von einer neuen Art des politischen Extremismus, lange bevor gefährliche Gehirnwäschegruppen wie Aum Shinrikyo oder Al Kaida das Phänomen auf die politische Tagesordnung setzten.
„Mir wurde klar, Scientology ist keine Religion, sondern eine totalitäre Organisation wie die Nazis, mit Führerkult und Herrenmenschentum.“ Sie betreute zahlreiche Sektenopfer persönlich, bestritt zahllose Veranstaltungen und publizierte mehrere Bücher. Betroffene und Aussteiger aus ganz Europa und den USA versorgten sie mit Insider- Informationen und brisanten Dokumenten. Ohne Caberta hätte die Innenministerkonferenz den Verfassungsschutz wohl 1997 nicht auf Scientology angesetzt, und ohne ihre Vorarbeit hätte es auch höchstrichterliche Entscheidungen nicht gegeben, in denen Scientology als Wirtschaftsunternehmen oder verfassungsfeindlich eingestuft wurde.
Es war die unerschrockene Ursula Caberta, die den Einfluss von Scientology auf amerikanische Regierungsstellen wie das Außenministerium in Washington öffentlich machte. Erst danach haben deutsche Politiker wie Norbert Blüm oder Günter Beckstein bekannt, dass sie, wann immer sie sich kritisch mit Scientology befassten, Anrufe von US-amerikanischen Konsulaten bekamen.
Der Druck aus Washington, Cabertas Dienststelle zu schließen, war enorm. Doch galt sie in der Hamburger Verwaltung auch als unbequem und zu aufmüpfig. Im September 2010 machte der schwarz-grüne Senat die Arbeitsgruppe Scientology überraschend dicht und fand Caberta mit einem Posten für Öffentlichkeitsarbeit ohne Mitarbeiter und ohne Geld ab.
Die offizielle Begründung waren Sparmaßnahmen, doch wurde über Wikileaks bekannt, dass der damalige Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) im Hamburger US-Konsulat Gespräche über Caberta führte. „Hat das US-Konsulat bei der Schließung die Fäden gezogen?“, fragte Caberta. Damals wurde ihr die Beratung von Betroffenen entzogen und dem Hamburger Verfassungsschutz übertragen, was auch der seit März 2011 amtierende neue SPD-Senat trotz früherer Versprechen führender Sozialdemokraten nicht rückgängig machte.
„..jetzt eben als Privatfrau“
Den Ausschlag für Cabertas Ausstieg gab schließlich eine Affäre, bei der die staatlichen Verfassungsschutzämter sich offensichtlich überfordert zeigten. Im baden- württembergischen Esslingen hatten Mittelständler im letzten Jahr ein berufliches Netzwerk gegründet, das von Scientologen unterwandert wurde. „Jemand aus der Gruppe wandte sich an mich, nachdem er beim Verfassungsschutz keine Hilfe erhielt“, sagt Caberta. „Wenn aber staatliche Stellen das Thema kleinreden und mir die Hände gebunden sind, dann hat die Arbeit keinen Sinn mehr.“
Den Esslingern will sie natürlich trotzdem helfen – „jetzt eben als Privatfrau“. In gewisser Weise fühle sie sich befreit, sagt Ursula Caberta. „Ich konnte nicht einmal mehr Flyer über angebliche Wunderheiler drucken. Als Feigenblatt des Senats bin ich mir aber zu schade.“ Und Scientology? „Wenn wir nicht hingucken, berappeln sie sich schnell wieder.“
Es ist wesentlich Caberta zuzurechnen, dass der Psycho-Kult in Deutschland auf rund 5 000 Mitglieder geschrumpft ist; auch ist es ihr gelungen, Kader aus dem inneren Zirkel um den Sektenführer David Miscavige in den USA herauszubrechen.Vor allem seit viele Hollywood-Stars dem Psychokult den Rücken kehren, hat auch in den USA eine lebhafte Diskussion über dessen Methoden eingesetzt. Sollte Scientology zusammenbrechen, hätte Caberta keinen geringen Anteil daran. „Aber noch hält das.“
NDR, 20.03.2013, Kristina Festring-Hashem Zadeh
Gefahr Scientology: Gut getarnt im Netz
Grund sei die mangelnde finanzielle Unterstützung ihrer Aufklärungsarbeit, seit ihre «Arbeitsgruppe Scientology» 2010 im Zuge von Sparmaßnahmen geschlossen, beziehungsweise mit Cabertas Worten «zusammengekloppt» wurde. Zeitgleich mit der Ankündigung der Sekten-Expertin, den Dienst zu quittieren, verbreitet der Hamburger Verfassungsschutz im Februar die Nachricht, dass Scientology an Kraft verliert. Ist die Gefahr vorbei?
«Ganz klar: Nein», sagt Andrew Schäfer von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) im Rheinland. Trotz eines generellen Rückgangs der Mitgliedszahlen in den vergangenen Jahren beobachte er seit einiger Zeit in seiner Region Nordrhein-Westfalen eine irritierende gegenläufige Tendenz: «Hier hatten wir in den letzten drei Jahren eine Zunahme um 50 Prozent», berichtet Schäfer.
Zwar sei der Anstieg von 400 auf 600 Mitglieder gemessen an der Zahl der Personen vergleichsweise gering, doch ein wichtiger Hinweis darauf, dass Scientology weiterhin aktiv sei. Schäfer führt das Wiedererstarken der Sekte in NRW auf das persönliche Engagement einiger hochrangiger und finanziell gut ausgestatteter Scientologen zurück und betont: «Die Scientologen denken in langfristigen Perioden.»
Im Netz wirbt die Sekte für Menschenrechte
In diesem Zusammenhang werde eines immer bedeutsamer für die Sekte: das Internet. Zum einen betreibe Scientology seit einigen Jahren mehrere Seiten, die sich vordergründig gesellschaftlich höchst anerkannten Themen widmen, zum Beispiel «Sag nein zu Drogen» oder «Jugend für Menschenrechte». Den Namen Scientology sucht der Nutzer dort vergebens. Vielmehr erscheinen als Betreiber ein Verein namens «SAG NEIN ZU DROGEN» oder die «gemeinnützige Organisation Youth for Human Rights International». Sie soll im Jahr 2001 von einer Pädagogin gegründet worden sein und nun angeblich junge Menschen über Menschenrechte aufklären. Gründerin und Präsidentin Mary Shuttleworth ist laut Homepage «Mutter zweier wundervoller Kinder und mittlerweile stolze Großmutter.» Was dort nicht steht: Sie ist auch eine hochrangige Scientologin.
«Selbst Bürgermeister sind schon darauf hereingefallen»
Wie ein Trittbrettfahrer versuche die Organisation, über ein gesellschaftlich angesehenes Thema Menschen zu erreichen. Die Betreiber versenden kostenloses Informationsmaterial und fordern dazu auf, ihre Seite zu verlinken und Geld zu spenden. Der Tarn-Auftritt gelinge teilweise so gut, dass es sogar Bürgermeister gegeben habe, die in ihren Städten umsetzen wollten, was «Jugend für Menschenrechte» anbiete, sagt Schäfer.
Scientology und das Internet
Der Auftritt lädt den Nutzer dazu ein, sich über Menschenrechte zu informieren. Die Organisation Scientology taucht auf der Seite nirgends auf – doch haben Scientologen die Seite inhaltlich gestaltet, wie die Sekte auf Anfrage erklärt. Der Auftritt wendet sich vor allem an Pädagogen und versendet umfangreiches kostenloses Material für den Unterricht, zum Beispiel Bücher oder Videos. Darüber hinaus fordern die Macher der Seite dazu auf, sie in Netzwerken mit Freunden zu teilen, Fördermitglied zu werden und Geld zu spenden.
«Die Seiten sind sehr gut gemacht», sagt Andrew Schäfer von der Evangelischen Kirche. «Und wer da draufklickt, weiß gar nicht, dass Scientology dahinter steckt.» Auch die Internet-Seite «Sag nein zu Drogen – Sag ja zum Leben» widmet sich einem gesellschaftlich anerkannten Thema: der Drogenaufklärung. Betrieben wird sie offiziell von dem gleichnamigen Verein. Doch auch sie ist inhaltlich von Scientologen gestaltet worden. Zielgruppe ist – wie bei «Jugend für Menschenrechte – ebenfalls ein junges Publikum.
Das Perfide: Mit Menschenrechten wie Gedankenfreiheit hat die Hubbard-Organisation, die für den psychischen Druck auf ihre Mitglieder bekannt ist, «nun wirklich nicht viel zu tun», so Schäfer. «Humanitäre Programme» für Scientology – «PR-Strategien» für Caberta Mit den Internet-Seiten konfrontiert, geht die Sekte durchaus offen damit um, dass sie mit ihnen in Verbindung steht. «Die Scientology Kirche sponsert verschiedene humanitäre Programme», heißt es hierzu auf Anfrage von NDR.de. Beide genannten Vereine seien jedoch rechtlich und organisatorisch von der Scientology Kirche getrennt.
Die inhaltliche Gestaltung der Seiten indes werde «in erster Linie von Scientologen gemacht.» Wenn Kontakte zu Nutzern entstünden, «wenn Vertrauen aufgebaut ist», werde schnell deutlich, wer dahinter stecke, führt Sektenexperte Schäfer aus. Überdies stelle das vorgeblich humanitäre Engagement auch einen Versuch Scientologys dar, an der beschädigten Reputation zu arbeiten, indem gesellschaftliche Themen besetzt würden. Die Sekte hingegen wehrt sich gegen «Gerüchte, dass unsere Kampagnen verwendet werden, neue Mitglieder zu werben.»
Als «PR-Strategien, Nebelkerzen für die Außenwelt», bezeichnet Caberta diese Taktik. Wichtig sei es, zwischen Sekten-Innenwelt und Außendarstellung zu unterscheiden. «Nur dann kann man es durchschauen. Leider ist es immer wieder so, dass sich Menschen täuschen lassen.»
Die Betreiber der Seite verschicken kostenloses Unterrichtsmaterial, fordern dazu auf, sie zu verlinken – und Geld zu spenden. So sieht der offizielle Internet-Auftritt der Scientology-Organisation aus. Hier sind unter der Überschrift «ähnliche Seiten» mehrere Angebote zu den Themen Menschenrechte und Drogen verlinkt. Sekten-Expertin Ursula Caberta zufolge hat das Netz jedoch auch einen gravierenden Nachteil für Scientology: Kritiker und Aussteiger können hier offen zu Wort kommen. Einer von ihnen: Wilfried Handl. Der Scientology-Aussteiger engagiert sich auf seinem «Blog gegen Scientology» gegen die Sekte, die in Deutschland seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
«Verdeckt in sozialen Netzwerken unterwegs»
Auch in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter, StudiVZ oder SchülerVZ sind den Scientology-Experten zufolge Mitglieder der Sekte verstärkt unterwegs, um neue Interessenten zu werben. Zunächst suchten sie, ebenfalls verdeckt und über akzeptierte Gesprächsthemen, nach Kontakten. «Und erst, wenn eine erste Bindung da ist, werden die Karten offener auf den Tisch gelegt», beschreibt Schäfer das Vorgehen. Dann sei bei den neu hinzugewonnenen Netzwerk-Freunden die Hemmschwelle häufig schon abgesunken, sich mit Scientology zu beschäftigen.
Die Organisation selbst sagt, dass keines der sozialen Netzwerke von ihr genutzt werde und bestreitet, unter verdeckten Profilen zu agieren. Doch: «Selbstverständlich sind Scientologen, wie eine Vielzahl von Menschen auch, in den sozialen Netzwerken vertreten.» Was und in welcher Form der Einzelne kommuniziere, sei seine Sache. Auf einen «deutlichen Nachteil» des Internets für die Scientology Organisation verweist Ursula Caberta. So sei das Netz zu einem wichtigen Medium für Kritiker und Aussteiger geworden. «Und dafür haben die Scientologen endlich einmal kein Gegenmittel.»
Laut Sekten-Experte Andrew Schäfer steckt Scientology zwar in der Krise. Doch «die Kriegskasse ist prall gefüllt.»
Insgesamt sieht EZW-Mann Schäfer jedoch die seines Erachtens immer bedeutsamer werdende Taktik der Sekte, das Netz für sich zu nutzen, mit Besorgnis. Zwar sei die von ihm als «extremistisch» und «faschistoid» bezeichnete Organisation zurzeit insgesamt rückläufig und «in der Krise», doch deshalb lange nicht harmlos und durchaus in der Lage, auch schwierige Zeiten zu überstehen. Die Zahl ihrer Anhänger in Deutschland beziffert Scientology zurzeit selbst mit 12.000, übertreibt den Verfassungsschützern zufolge aber stark. Sie schätzen, dass es derzeit bundesweit zwischen 4.000 und 5.000 Scientologen gebe, 600 davon in Hamburg. «Wobei mir seit jeher schleierhaft ist, wie die auf solche Zahlen kommen», sagt Caberta. Eines ist laut Schäfer sicher: «Die Scientologen haben eine enorme Ausdauer. Nach allem, was wir wissen und einschätzen können, ist ihre Kriegskasse prall gefüllt», sagt der Sekten-Experte und setzt hinzu: «Totgesagte leben länger.»
Ostthüringer Zeitung, 20.04.2013
Scientology wirbt für sich im Landtag
Die Scientology-Sekte wirbt im Thüringer Landtag für ihre Ziele. Nach Informationen von MDR Thüringen hat die Sekte erstmals DVDs an die Abgeordneten verschickt. In einem Begleitschreiben bat sie die Landtagsverwaltung, das Video an alle 88 Abgeordneten weiterzuleiten. Die Verwaltung stoppte daraufhin die Sendung, da die Sekte auch in Thüringen als verfassungsfeindlich vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Dennoch wurden die einzelnen Abgeordneten in Kenntnis gesetzt: Bei Interesse stehe die DVD in der Poststelle zur Verfügung, heißt es in einem Schreiben.
Der Landtag wolle eine offensichtlich verfassungsfeindliche Institution nicht unterstützen, sagte ein Landtagssprecher. Immer wieder versuche die Sekte an Vertreter von Politik und Wirtschaft heranzutreten, erklärte Amtsleiter Roger Derichs vom Thüringer Verfassungsschutz. Dass sie dabei DVDs einsetzt, sei allerdings neu. Nach Angaben von Derichs gibt es in Thüringen rund 20 Sekten-Mitglieder.
WAZ vom 08.04.2013, Theo Schumacher
NRW-Verfassungsschutz warnt: Scientology wirbt Jugendliche in sozialen Medien
Die umstrittene Organisation Scientology agiert zunehmend verdeckt und in Internet-Portalen wie YouTube oder Facebook, um mit „falschen Botschaften vor allem Jugendliche zu ködern“ – davor warnt Burkhard Freier, Chef des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes. „Mit perfiden Videos unter Tarnnamen schafft es die Sekte, schnell und hürdenlos Zugang in den häuslichen Bereich zu bekommen, oft ohne dass die Eltern etwas davon wissen“, sagte Freier dieser Zeitung. Für ein Ende der Beobachtung von Scientology gebe es keinerlei Anlass.
Auftritt bei Jugendfestivals
„Scientology ist gefährlich“, sagte Freier. In früheren Jahren habe sich die Organisation bei Kampagnen auf Info-Stände in Fußgängerzonen oder Flugblätter beschränkt und somit schwerer gehabt, „die Menschen zu erreichen“. Seiner Behörde bereite Sorge, dass über soziale Netzwerke mit Nebenorganisationen wie „Jugend für Menschenrechte“ oder „Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben“ junge Leute gebunden werden sollen. So „getarnt“, trete Scientology teils auch bei Jugendfestivals auf. „Es handelt sich um eine totalitäre Organisation, die gezielt wesentliche Grund- und Menschenrechte missachtet“, so Freier weiter.
Ein gerade in Amerika erschienenes Buch enthüllt die Schattenseiten von Tom Cruise. Autor Lawrence Wright hat darin die Schlüsselrolle des Schauspielers in der Psycho-Sekte Scientology freigelegt. Der US-Autor schildert die engen Verbindungen zwischen Cruise und Scientology-Boss David Miscavige. Individualrechte wie freie Entfaltung der Persönlichkeit und Gleichbehandlung würden bewusst außer Kraft gesetzt. Scientology strebe außerdem eine Gesellschaft ohne freie Wahlen an. „Die Scientologen machen ihre Mitglieder psychisch abhängig und treiben viele durch Geldforderungen für immer neue dubiose Kurse in den finanziellen Ruin“, sagte Freier. Dabei würden eigene, wirtschaftliche Interessen verschleiert“.
In Nordrhein-Westfalen steht Scientology seit dem Jahr 1997 im Blickfeld der Verfassungsschützer. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat in einem Urteil vor fünf Jahren die Beobachtung als rechtmäßig erkannt. Die Organisation zählt bundesweit 3500 bis 4500 Mitglieder, in Nordrhein-Westfalen sind es ungefähr 500 bis 600. Scientology, das im Jahr 1954 in den USA von L. Ron Hubbard gegründet wurde, ist in Deutschland nicht anerkannt als Religionsgemeinschaft. Claudia Uhl, Sprecherin der Scientology-Zentrale in Düsseldorf, weist die Vorwürfe entschieden zurück. Aus ihrer Sicht ist die Beobachtung durch den Verfassungsschutz völlig überflüssig. „Die finden nichts gegen uns“, sagte sie auf Anfrage dieser Zeitung. Es werde dadurch nur Steuergeld verschwendet. Auch sei die Behauptung „nicht wahr“, dass ausstiegswillige Mitglieder von der Organisation unter Druck gesetzt würden.
Drohung mit Polizei hilft
Für „angemessen und hilfreich“ hält man es dagegen beim Sekten-Info Nordrhein-Westfalen, dass der Verfassungsschutz die Scientologen im Visier hat. „Das ist ein Schutz“, sagt Sabine Riede, Leiterin der landesweiten Beratungsstelle, „Aussteiger müssen weniger Angst haben.“ Vor Beginn der Beobachtung durch die Behörde seien sie deutlich mehr bedroht und belästigt worden. Auch sie persönlich, sagt Riede, habe „Hetze“ zu spüren bekommen. Heute reiche bei unerwünschten Hausbesuchen ein Hinweis, dass man die Polizei rufe, meist schon für Ruhe. Das Sekten-Info registrierte im vergangenen Jahr rund 120 Anfragen und 50 Beratungsfälle in Sachen Scientology, oft bei Aussteigern oder Angehörigen.
Schweiz am Sonntag, 18.05.2013, Aline Wanner
Pläne für Scientology-Kirche aufgetaucht
Sektenexperte Georg Otto Schmid hält eine solche Zentrumsgrösse für eine Schweizer Grossstadt als denkbar. Die Gebäude der Scientologen in Berlin und Hamburg seien etwas grösser. Um das Projekt finanzieren zu können, müsse die Sekte allerdings ein paar Spender finden, die «tief in die Tasche greifen», sagt Schmid. «Die laufenden Einnahmen würden dafür wohl nicht ausreichen.» Seit der Präsident von Scientology Basel, Patrick Schnidrig, das Gebäude vor knapp zwei Jahren erworben hat, steht der Bau grösstenteils leer. Erste Planungsarbeiten wurden gemäss Informationen der «Schweiz am Sonntag» zwar ausgeführt, allerdings bis heute nicht bezahlt. Gegenüber Involvierten sprachen Scientologen davon, die Kirche noch in diesem Jahr eröffnen zu wollen. Diese Information bestätigt die Basler Religionsbeauftragte Lilo Roost Vischer, die Sektenangehörige in den letzten Monaten zweimal für «ausführliche Gespräche» getroffen hat. Die Pläne für Basel habe sie zwar nie gesehen, man habe ihr aber Bilder anderer neuer Kirchen gezeigt, sagt Roost.
Der Spiegel, 12.05.2013, Mona Botros
Razzia in US-Südstaaten: Sturm auf die Festung Scientology
Es war Ende April, ein Freitag, als die Ermittler am frühen Morgen vor der Entzugsklinik in Norcross anrückten, ein kleiner Ort nördlich von Atlanta. Eine Razzia ist immer überraschend, diese kam aber besonders unerwartet. Das letzte Mal, dass Behörden in den USA eine mit Scientology verbandelte Einrichtung mit einem Durchsuchungsbefehl konfrontierten, ist 36 Jahre her. Ermittler des FBI waren 1977 in Washington und Los Angeles in Büros der Sekte eingedrungen, weil sie Beweise für eine geheimdienstliche Operation gegen die Regierung der Vereinigten Staaten suchten. Der damalige Verdacht: Mitarbeiter von Scientology hätten Bundesbehörden infiltriert und Dokumente gestohlen.
In Folge der Razzia wurden elf Führungskräfte der Organisation wegen Einbruchs in Regierungsgebäude, Diebstahls von Dokumenten und illegaler Abhörmaßnahmen verurteilt, darunter Mary Sue Hubbard, Ehefrau des Sektengründers L. Ron Hubbard. Seither schienen sich Polizisten von Scientology fern zu halten, als umgebe die Organisation ein Schutzschild gegen weltliche Interventionen. Doch schon seit einiger Zeit ermitteln Beamte gegen Narconon Georgia, die Klinik außerhalb von Atlanta.
Entzug per Saunagang
Am 11. April 2008 war der 28-jährige Patrick Desmond als Patient dieser Einrichtung an einer Überdosis Heroin gestorben. Er absolvierte dort eine gerichtlich verordnete stationäre Therapie. Seine Eltern wähnten ihn unter ständiger Aufsicht und in professioneller Behandlung, formulierte ihr Anwalt später in einer Anklageschrift gegen Narconon. Narconon verfolgt eine – vorsichtig formuliert – ganz eigene Form von Entziehungskur: Die Patienten müssen in mehrwöchigen Kuren bis zu fünf Stunden am Tag in der Sauna sitzen, sie nehmen Nahrungsergänzungsmittel und Nikotinsäure in großen Mengen zu sich. Und sie werden Studenten genannt, nicht Patienten. Parallel zur Therapie absolvieren sie eine Art Persönlichkeitstraining.
Die Methode beruht auf Eingebungen von L. Ron Hubbard. Er propagierte, dass sich Rückstände der Drogen im Gewebe der Süchtigen ablagerten. Durch Saunagänge sollen die Substanzen ohne Medikamente aus dem Körper gewaschen werden. Mit wissenschaftlichen Erkenntnissen hat das wenig zu tun. Die Eltern von Desmond verklagten nach dem plötzlichen Tod ihres Sohnes Narconon Georgia und den Scientology-nahen Dachverband Narconon International. Die gerichtliche Auseinandersetzung förderte fragwürdige Vorgänge zutage, darunter die Tatsache, dass die Klinik als stationäre Einrichtung agiert hatte, tatsächlich aber nur ambulant therapieren durfte. In der Zivilklage Desmond gegen Narconon einigten sich die zwei Parteien außergerichtlich im Februar. Doch auch nach der Einigung drohten die zuständigen Behörden, Narconon Georgia die Zulassung zu entziehen und leiteten weitere Ermittlungen ein.
Journalisten lieferten Behörden Beweismaterial
Mit angestoßen hatten diese Untersuchungen auch örtliche Medien, die das Verfahren um den Tod von Patrick Desmond intensiv begleitet hatten. Drei Reporter des Fernsehsenders WSB-TV, dem Hörfunk WSB-Radio und der Zeitung «Atlanta Journal-Constitution» hatten sich zusammengetan, um in der Causa Narconon investigativ zu recherchieren. Weitere Betroffene wandten sich an die Medien, erzählten von Drogenmissbrauch und mangelnder Aufsicht in der Einrichtung.
Die Reporter machten die Vorfälle bekannt, setzten so die Behörden unter Druck. Dabei war ihr Kronzeuge kein geringerer als Lucas Catton, der ehemalige Präsident der größten Niederlassung von Narconon – einer abgelegenen Klinik im US-Staat Oklahoma, bekannt als Narconon Arrowhead. Catton, 35, haben die Vorwürfe gegen Narconon nicht überrascht. In seiner früheren Position an der Spitze von Narconon Arrowhead hat er die Machenschaften der Organisation hautnah miterlebt. «Unser wichtigstes Ziel war es, Mitglieder für Scientology anzuwerben und Geld für die Organisation zu verdienen», berichtet Catton. Für eine drei- bis sechsmonatige Therapie hätten Patienten 30.000 Dollar bezahlt.
Karin Pouw, Sprecherin von Scientology, dementierte gegenüber SPIEGEL ONLINE, dass in Narconon-Einrichtungen Mitglieder rekrutiert oder Spenden eingeworben würden. Die Religion der Menschen, die das Narconon-Programm durchlaufen, spiele keine Rolle, die Zahl derjenigen, die danach Mitglieder von Scientology wurden, sei sehr klein. Zumindest bei Catton lief es offenbar anders: Seine Eltern hatten ihn als 20-Jährigen dort eingeschrieben, um ein Alkoholproblem in den Griff zu bekommen. Zwei Jahre später habe man ihn als Mitarbeiter von Narconon rekrutiert. Kurz danach trat er Scientology bei, aus dem vermeintlich Süchtigen wurde ein Sektenmitglied. Anschließend führte seine Karriere steil nach oben. Mit 23 Jahren war er Präsident der Einrichtung.
Tod durch Überdosis
Als solcher betreute er prominente Gäste: «Wir haben öfter Scientology-VIPs wie Kelly Preston und Priscilla Presley herumgeführt. Sie sollten ein positives Bild von dem Programm bekommen. Tom Cruise hat uns sogar mehrmals besucht. Auch der Chef von Scientology, David Miscavige, hat sich persönlich umgeschaut.» Immer wieder machen sich Top-Scientologen wie Cruise in der Öffentlichkeit für Narconon stark. Eine Serie von Todesfällen innerhalb von neun Monaten konterkarierte jedoch die PR-Kampagne: Narconon Arrowhead geriet durch sie im vergangenen Jahr ins Visier der Ermittler. Eine der Toten war die 20-jährige Stacy Murphy: Sie soll an einer Überdosis Heroin in Verbindung mit Alkohol gestorben sein. Offenbar waren keine Ärzte anwesend, es habe keine Medikamente gegeben, um ihr zu helfen, berichtete ein Zeuge.
Catton, inzwischen aus Scientology ausgestiegen, beschloss nach den Todesfällen, an die Öffentlichkeit zu gehen. In einem Buch hat er ausführlich über seine Erfahrungen hinter den Mauern von Arrowhead berichtet. Seine Insiderkenntnisse liefern wertvolle Hinweise in den laufenden Ermittlungen. Beispielsweise über Verbindungen zwischen Narconon und dem Office of Special Affairs (OSA), eine Art Geheimdienst von Scientology. Diese Verknüpfung war auch im Verfahren um den Tod des jungen Patrick Desmond in Georgia aufgefallen: Ein internes Dokument zeigte, dass die Leiterin der Entzugsklinik keine 24 Stunden nach dem unerwarteten Tod ihres Schützlings einen Bericht per Mail absetzte, allerdings nicht an die staatlichen Aufsichtsbehörden, sondern an das OSA. Scientology-Sprecherin Pouw sagte SPIEGEL ONLINE, die Klinikleiterin sei nicht verpflichtet gewesen, dem OSA zu berichten. Dass sie es tat, sei aber verständlich, «bedenkt man das traumatische Erlebnis und die Möglichkeit, dass sie pastorale Unterstützung suchte».
«Ein kleiner Spalt in einer schier undurchdringlichen Festung»
Fragt man Mike Rinder, einen Scientology-Aussteiger höchsten Ranges, klingt die Arbeit des OSA allerdings wenig pastoral. Jahrelang war er Chef der Einheit, dirigierte Spitzel und Agenten der Organisation weltweit. «OSA wird sofort eingeschaltet, wann immer Scientology negative Schlagzeilen drohen, egal wo auf der Welt oder in welcher Organisation das passiert, auch bei Narconon.» Die Razzia löst bei Rinder Hoffnung aus. «Wenn ich sehe, was dort passiert ist, dann frage ich mich, ob andere staatliche Behörden dem Beispiel folgen werden,» sinniert Rinder. «Mit der Razzia in Atlanta hat sich ein kleiner Spalt in einer schier undurchdringlichen Festung aufgetan, die für Scientology seit über 30 Jahren Bestand hatte.»
Das sieht er nicht allein so: Die Nachricht über die Razzia verbreitete sich unter Kritikern der Organisation im Netz wie ein Lauffeuer. In der Tat markiert die Durchsuchung der Drogenklinik nicht nur eine mögliche Kehrtwende der amerikanischen Behörden im Umgang mit Scientology, sondern auch eine der Medien. Diese hatten die klagefreudige Sekte bisher oft mit Samthandschuhen angefasst. Die Lokalreporter von Atlanta, die über den Todesfall von Patrick Desmond berichtet hatten, ließen aber nicht locker.
Narconon weist Anschuldigungen von sich
Ermutigt durch die Berichterstattung wandte sich die Mutter einer Patientin mit ihren Belegen für fragwürdige Abrechnungspraktiken von Narconon an die TV-Journalistin Jodie Fleischer. Narconon Georgia habe ihrer Krankenversicherung wiederholt Rechnungen ausgestellt. Dabei habe die Familie die Behandlung in vollem Umfang bereits selbst gezahlt gehabt. Insgesamt beliefen sich die zusätzlichen Rechnungen demnach auf 166.000 Dollar. Und das für ärztliche Behandlungen, die nach ihrer Aussage nie stattgefunden hatten und für Aufenthaltszeiten, in der die Tochter gar nicht anwesend gewesen sei, erzählt die Mutter.
Narconon Georgia reagierte auf eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE zu den Vorwürfen und den Verbindungen zu Scientology nicht. Zuvor hatte die Organisation eine Mitteilung verbreitet, in der es hieß, man wisse von den Ermittlungen, verfolge aber ein branchenübliches und professionelles Rechnungswesen. «Die Zahlungsbedingungen werden allen Studenten erklärt.» Im Übrigen könnten die erfolgreich Therapierten und deren Familien bezeugen, «dass das Programm zu einem Leben in Abstinenz und Gesundheit führt».
Das Journalistenteam war vor Ort, um die spektakuläre Razzia in den Räumlichkeiten von Narconon Georgia zu dokumentieren. Kistenweise schleppten Beamte Unterlagen aus der Verwaltungszentrale, rund zwei Dutzend Computer hievten sie in einen eigens dafür angemieteten Lieferwagen. Es wird sich zeigen, ob das Material, das in den Dokumenten und Festplatten schlummert, eine Anklage wegen Versicherungsbetrugs untermauern kann. Nach dem Gesetz des Staates Georgia kann nur eine Einzelperson wegen dieses Delikts belangt werden, nicht eine Organisation. Sollten die Beamten aufschlüsseln können, wer welche Rechnung an wen ausgestellt hat, könnte die Schlinge der Justiz sich auch um Narconon und Scientology enger ziehen.
Abendzeitung München, 03.05.2013
Ärger an der Sonnenstraße – «Warum dürfen Scientologen hier werben?»
Altstadt – Geschäftsleute an der Sonnenstraße 16 und 18 haben sich beschwert: Sie ärgern sich über einen Infostand unten auf dem Gehsteig, wo Scientologen für sich werben. Auch Kunden der Handy-Läden und Patienten der Arztpraxen in dem Geschäftshaus haben sich beschwert, weil sie unten von den Aktivisten am Infostand angesprochen werden. Die Beschwerde der Geschäftsleute hat die stellvertretende Vorsitzende im Bezirksausschuss 18, Melly Kieweg, jetzt in einem Antrag formuliert. Die Stadtteilpolitikerin selbst vertritt den BA in Untergiesing/Harlaching, doch sie hat den Ärger an der Sonnenstraße schon persönlich miterlebt, wie sie sagt. Und sich mit ihrem Anliegen an den zuständigen Bezirksausschuss Altstadt/Lehel gewandt.
In ihrem Antrag heißt es: Der zuständige BA möge die Sonnenstraße nicht zu einer Werbemeile der Scientology verkommen lassen und sich dafür bei den zuständigen Stellen einsetzen. Begründung: Die vom Verfassungsschutz beobachtete Sekte treibt schon längere Zeit unter dem Tarnnamen „Dianetik“ in der Sonnenstraße abwechselnd vor der Post, dem Kaufhaus und der Sonnenstraße 16 massiv Werbung, verkauft Bücher und CDs, belästigt mit ihrer aggressiven Werbung die Fußgänger und hält sich nicht an den festgelegten Standort. Es kam auch schon mehrmals zu Polizeieinsätzen, da sich Passanten bedroht fühlten und auch bedroht wurden. Die Geschäftsleute der Sonnenstraße 16 /18 bitten den BA, sich dafür einzusetzen, dass ihr Klientel nicht mehr von der Scientology belästigt wird. Viele Kunden der Arztpraxen im Haus fühlen sich durch die Menschenansammlungen und das Stimmengewirr gestört. Der Bezirksausschuss Altstadt-Lehel will sich nun in seiner nächsten Sitzung mit dem Problem befassen.
20min.ch, 28.06.2013
Scientologen wollten Schulen unterwandern
«Die Geschichte der Menschenrechte»: Die DVD, die die von Scientologen gesponserte Organisation «Jugend für Menschenrechte» im Waadtland an Schulen verteilen wollte, trägt einen harmlosen Titel. Auch der Inhalt ist scheinbar unproblematisch: Der Film handelt von der Entstehung und Entwicklung der Menschenrechte von 1948 bis heute – nicht von Hubbard, Auditing oder Religion. Es erstaunt daher nicht, dass der Streifen im Frühling beinahe den Weg in die Klassenzimmer fand. Gemäss «24 heures» lobbyierte die Organisation intensiv dafür, dass die Schulen ihre DVD im Geschichtsunterricht zeigen.
Im Februar präsentierte die Präsidentin des Westschweizer Ablegers der Organisation, Gisèle Benoit, die DVD einem pädagogischen Mitarbeiter des Erziehungsdepartments VD. Dieser hegte lange keinen Verdacht. Erst Wochen später, als er im Internet die Organisation googelte, bemerkte er ihre enge Verbindung zur Scientology-Kirche. «Nur vordergründig harmlos» Das Erziehungsdepartment verbot der Organisation darauf Ende Mai, die DVDs weiter an Schulen zu schicken und drohte mit rechtlichen Schritten. «Wir können nicht zulassen, dass eine solche DVD ausgestrahlt wird. Die Verbindung mit Scientology verbietet das», so Serge Martin, Assistent der Waadtländer Bildungsdirektion (DGEO).
«Jugend für Menschenrechte» spricht von Zensur. Man habe die Verbindung zur Scientology nie verschwiegen, sagt Gisèle Benoit. «Wir waren völlig transparent.» Der Mitarbeiter des Erziehungsdepartments sagt, Scientology sei in all den Gesprächen nie erwähnt worden. Sekten-Experte Georg Otto Schmid überrascht das nicht: «Die Organisation Jugend für Menschenrechte deklariert nicht von sich aus, wer sie finanziert.» Er hält es für völlig richtig, dass die DVD aus der öffentlichen Schule verbannt wird. Sie sei nur vordergründig harmlos. «Scientology betreibt mit dem Film Imagepflege. Die Mitglieder von Jugend für Menschenrechte präsentieren sich so als junge, sozial eingestellte, engagierte Bürger.» Die Gefahr sei, dass sich die Schüler davon angezogen fühlen könnten. «Sie wollen sich auch engagieren, gehen zur Organisation und werden dort dann von Scientologen kontaktiert.»
Viele Versuche der Einflussnahme im Schulbereich
Klar ist: Es wird nicht der letzte Versuch von Scientology gewesen sein, Schweizer Kinder für sich zu gewinnen. «Die Sekte versuchte in der Vergangenheit immer wieder, ihre Bücher in Schulbibliotheken unterzubringen. Auch diese scheinen auf den ersten Blick zum Teil völlig harmlos.» In Zürich warb zudem eine von Scientologen geführte Privatschule auch Kinder von Nicht-Scientologen an. Zudem versucht die Kirche, mit einer Aktion gegen Ritalin Einfluss auf Kinderärzte zu nehmen.
TagesAnzeiger, 10.06.2013, Hugo Stamm
Will Smith flirtet mit Scientology
Die Filmwelt rätselt seit Jahren: Ist er Scientologe oder doch nicht? Nein, bin ich nicht, beteuert der Schauspieler Will Smith stereotyp. Doch dann produzierte er den Film «After Earth», und man wird den Eindruck nicht los: Er ist es doch. Denn der soeben angelaufene Streifen atmet den Geist von Ron Hubbard, dem Gründer der Sekte. Es ist zumindest ein bombastischer Flirt mit Scientology, dokumentiert auf Tausenden von Leinwänden. Wer Augen hat – und wie Will Smith Scientology kennt –, kann sich dieses Eindrucks kaum erwehren. Doch Will Smith will es nicht zugeben. Hallo, möchte man ihn fragen: Warum dieses Versteckspiel?
Schlecht fürs Geschäft
Neu ist der Eiertanz freilich nicht. Wir kennen ihn von andern Promis. Der österreichische Maler Gottfried Helnwein zierte sich, US-Filmstar John Travolta hielt sich einst bedeckt, um nur zwei Beispiele zu nennen. Denn sie alle wissen: Wird ihr Name mit einer Sekte assoziiert, ist es schlecht für den Ruf und das Geschäft. Der 44-jährige Will Smith hat seit längerem Verbindungen zu Scientology. Schon 2007 hat er Scientology-Stiftungen mehr als 100 000 Dollar gespendet, 2009 in Kalifornien eine Privatschule eröffnet, die mit den Methoden von Hubbard unterrichtet. Seine Kinder besuchten diese Schule wie auch Suri, die Tochter von Scientologe Tom Cruise, mit dem Will Smith eng befreundet ist.
Das Böse ist allgegenwärtig
Der Scientology-Groove im Film beginnt beim Plakattitel: «Die Gefahr ist echt. Aber die Angst ist eine Entscheidung.» Und er endet mit den Schlusseinstellungen auf einem Vulkan, der einem Symbol von Scientology gleicht. Die Aussage im Titel gibt das Grundmotto von Hubbard wieder: Das Böse ist allgegenwärtig und treibt die Erde in den Abgrund. Retten kann sie nur, wer keine Angst hat und Herr über Materie, Energie, Raum und Zeit ist. Hubbards Credo an seine Anhänger: Rettet die Welt furchtlos vor dem Untergang.
Im Film «After Earth» ist sie schon vor 1000 Jahren untergegangen, die Menschen mussten auf einen fernen Planeten fliehen. Dort gibt es Ursas, vierbeinige Monster, die zwar blind sind, aber die Angst der Menschen riechen. Immun ist nur Cypher Raige (Will Smith), weil er seine Gefühle total unter Kontrolle hat – und somit den Idealzustand eines Scientologen erreicht. Sein Sohn, gespielt von Smith’ Sohn Jaden, verströmt aber den tödlichen Angstgeruch. Beim Absturz eines Raumschiffs überleben nur der Vater und sein Sohn. Da Will Smith verletzt ist, muss sich sein Sohn durch die Gefahrenzonen schlagen. Der Vater lehrt ihn, die Angst zu kontrollieren. Ähnlich, wie es die Scientologen beim Auditing tun. Schliesslich besteht er die Prüfungen.
Keine Scientology-Propaganda
Deutsche und US-Medien sind sich einig, dass der Film Scientology-Ideen transportiert. Einig sind sich die Filmkritiker auch, dass es höchstens ein durchschnittlicher Film ist. Er erinnert an den von John Travolta produzierten Film «Battlefield Earth» nach dem gleichnamigen Buch von Hubbard, der bei den Kritikern und beim Publikum keine Gnade fand. «After Earth» ist aber keine Propaganda für Scientology, wie viele behaupten. Am Film lässt sich auch nicht ablesen, welchen Status Smith bei der Sekte hat. Der Streifen macht jedoch deutlich, dass der Schauspieler von Scientology-Ideen fasziniert ist. Mehr noch: Smith scheint in seinem Enthusiasmus nicht zu realisieren, dass sein Film wie eine Hommage an Science-Fiction-Autor Hubbard und Scientology daherkommt.
Focus 27.07.2013
Im Focus ist ein längerer Bericht – hier die einzelnen Artikel oder aufbereitet als Anlage – 14 Seiten
• Moderne Sklaven im riesigen Scientology-Imperium Seite 2
• Die Kinder-„Ranch“: Harte Arbeit, harte Strafen Seite 3
• Die scientologische Indoktrinierung: Endlose Verhöre Seite 4
• Auditoren-Ausbildung: Wie „Wogs“ bekehrt werden können Seite 5
• Was passiert, wenn man bei Scientology in Ungnade fällt Seite 6
• Ist bei Scientology Platz für Liebe? Seite 7
• Die Flucht aus der Scientology-Organisation Seite 8
• Das Leben nach Scientology Seite 9
• Scientology-Boss David Miscavige Seite 10
• Warum die Mitgliedschaft für Stars etwas ganz anderes ist Seite 11
Link auf die Erste Seite
http://www.focus.de/panorama/welt/tid-32578/gehirnwaesche-sklaverei-und-angst-wie-der-innerste-zirkel-von-scientology-tickt_aid_1055140.html
private eye news, 09.07.2013
5smarts – Neue Scientology-Frontgruppe London: Weitere Frontgruppe der Scientology-Organisation enttarnt
5martz führt auf seiner Webseite keinerlei Verbindung zu Scientology oder Gründer L. Ron Hubbard an. Die Verbindung ist jedoch offensichtlich, da auch «Der Weg zum Glücklichsein»- Kurse angeboten werden. Nach der Aufdeckung von 5martz Sektenverbindung hat der Bezirk Newham die Schulbehörde gebeten, landesweit vor dieser Organisation zu warnen.
Tagesanzeiger,15.08.2013 Hugo Stamm
Wo ist die Frau des Scientology-Bosses?
Scientology muss den nächsten Abgang eines prominenten Mitglieds verkraften. Es ist für die Sekte eine Scheidung mit Getöse. Der Star der amerikanischen Sitcom-Serie «King of Queens», die 43-jährige Schauspielerin Leah Remini, kehrte der Sekte nach 30 Jahren den Rücken und ging direkt zur Polizei. Was sie dort zur Anzeige brachte, ist mindestens so spektakulär wie die Trennung von Scientology. Leah Remini gab eine Vermisstenanzeige auf. Verschollen sei ihre Freundin Shelly Miscavige, die Frau von Scientology-Leader David Miscavige, gab sie zu Protokoll. Der Plot könnte tatsächlich aus einer Sitcom stammen, doch Leah Remini stürmte im heiligen Ernst auf die Polizeistation. Ihre Freundin war für sie seit rund sechs Jahren verschollen, ihre Nachforschungen blieben erfolglos. Stutzig machte sie vor allem die abweisenden Reaktionen von Shellys Ehemann, dem Sektenleader. Die mysteriöse Geschichte begann im November 2006 bei der Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes, die inzwischen Scientology ebenfalls verlassen hat. Trauzeuge David Miscavige war ohne seine Frau angereist, was Leah Remini sonderbar fand. Auch bei späteren Nachfragen sei sie jeweils schroff zurechtgewiesen worden.
«Verhört und schikaniert»
Die Schauspielerin hatte den Eindruck, danach unter Beobachtung zu stehen. Sie sei verhört und schikaniert worden, berichtete sie. Diese Reaktionen des Sektenkaders führten zur Entfremdung und schliesslich zur Trennung. Sie lasse sich nicht vorschreiben, was sie zu denken habe, sagte die Schauspielerin amerikanischen Medien nach ihrem Ausstieg.
Die Polizei von Los Angeles nahm die Anzeige ernst und schickte die Sondereinheit für vermisste Personen los. Offensichtlich spürten die Beamten Shelly Miscavige auf, doch sie verraten nichts über den Aufenthaltsort oder die Lebensumstände der Frau des Sektenführers. Leah Remini ist mit der Antwort der Ermittler nicht zufrieden. Sie weiss, was mit Scientologen passiert, die in Ungnade gefallen sind.
Bald meldeten sich auch hochrangige Aussteiger und Kritiker. Das ehemalige Kadermitglied Amy Scobee, das prominente Scientologen wie Tom Cruise und John Travolta betreut hatte, ist sich ziemlich sicher, dass die Frau von Miscavige in einem geheimen Rehabilitationszentrum von Scientology festgehalten wird. Der Journalist und Scientology-Beobachter Tony Ortega ist gar überzeugt, dass Shelly Miscavige im entlegenen Zentrum beim Lake Arrowhead in den San-Bernardino-Bergen in Kalifornien stationiert ist, das Aussteiger als Straflager bezeichnen. Scientology bestreitet alle Vorwürfe und bezeichnet die Anzeige von Remini als reine Schikane. Die Organisation betont, dass Shelly Miscavige jeden Tag hart für Scientology arbeite.
Enthüllungsbuch geplant
Die Vermisstenanzeige von Leah Remini ist aber nur der erste Akt. Die Schauspielerin will ein Enthüllungsbuch über ihre Leidenszeit bei Scientology schreiben und auch ihre Beziehung zu David Miscavige und seiner Frau thematisieren. Mehrere Verlage sollen sich um die Rechte reissen und ihr ein Millionenhonorar anbieten. Die Geschichte der verschwundenen Shelly Miscavige erinnert an das Schicksal von Ron Hubbard. Der Scientology-Gründer war Anfang der 80er-Jahre von der Bildfläche verschwunden, es gab jahrelang kein Lebenszeichen. 1986 verkündete die Sekte aus heiterem Himmel, Hubbard sei verstorben und eingeäschert. Über seine letzten Lebensjahre und die Todesumstände schweigt die Sekte bis heute. Als Nachfolger wurde der damals 26-jährige Hardliner David Miscavige inthronisiert, der in der Sekte aufgewachsen war.
Solothurner Zeitung, 13.08.2013, Andreas Toggweiler
Scientologen-Gruppe will in Grenchen die «wahre Lehre» praktizieren
Die nach eigenen Angaben grösste Schweizer Gruppe von dissidenten Hubbard-Jüngern ist seit kurzem in Grenchen aktiv. «Seit über 25 Jahren liefert Ron’s Org Grenchen erfolgreich original Scientology gemäss Standard Tech von L. Ron Hubbard unabhängig von der Scientology-Kirche», heisst es auf der Homepage von «Ron’s Org Grenchen – Freie Scientology Schweiz». Das stimmt nur zum Teil. Max Hauri und sein «Beratungsunternehmen» ist erst vor ein paar Monaten in das mehrstöckige Haus an die Mazzinistrasse eingezogen, in eine neue Liegenschaft, die er selber gebaut hat.
Von Bern zugezogen
Hauri und seine Entourage sind aber von Bern zugezogen. Sie leben davon, dass sie ihren Kunden die Botschaft von L. Ron Hubbard vermitteln, und zwar in der Originalform (vgl. Kasten), nicht in der verstümmelten Version, wie sie heute in der Scientology-Sekte laut Ansicht von Ron’s Org gelehrt wird. Schon der Name der Bewegung sagt dies aus. Sie sind die wahren Scientologen. Hauri (54) hat in der Scientology-Kirche allerlei Ausbildungsgrade erreicht, die er in seinem Curriculum aufführt: NED-Auditor, Klasse IV, und HRD, HGC-Auditor und Qual Sec. Alles Begriffe, die nur Eingeweihten wirklich etwas sagen. «Ich habe fast alle Kurse und alle höheren Stufen gemacht», rühmt sich der «Excalibur-Auditor mit CS-Ausbildung».
Dieselben Inhalte
Somit ist er bestimmt bereit, Menschen mit Problemen auf einen rechten Lebensweg zu leiten – gegen Bezahlung notabene. Seit 1990 macht er das hauptamtlich zusammen mit seiner Frau und bezeichnet sich als Chairman. Denn inzwischen sei Rons’s Org Grenchen mit seinen sechs Mitarbeitenden (sie wohnen alle an der Mazzinistrasse 7) gar die «grösste unabhängige Organisation in West-Europa». «Ron’ s Org ist ein Netzwerk von ehemaligen Scientology-Anhängern, welche aber das Weltbild und die Lehren des Gründers L. Ron Hubbard 1:1 übernommen haben», sagt der Zürcher Sektenexperte Georg Otto Schmid. «Sie bieten auch dieselben Therapien an, einfach auf eigene Rechnung und meist günstiger.» Der zentralistische Aufbau und das umstrittene Auftreten der Scientology gehe den Anhängern von Ron’s Org hingegen ab. «Es handelt sich um ein eher loses Netzwerk freischaffender ehemaliger Scientologen, die kommen und gehen», so Schmid. Von unzufriedenen Kunden wie bei Scientology hört man bei Ron’s Org seltener. Schmid ist nur ein Fall aus Deutschland bekannt.
Vorsitzender des Netzwerkes
In der Schweiz gibt es zwei Standorte: In Grenchen und in Möriken im Aargau. Die Bewegung ist vor allem in Deutschland aktiv, wo im letzten Jahr der ehemalige Geheimdienstchef der Scientology-Kirche mit Interviews hohe Wellen geworfen hat, mit deutlichen Angriffen auf die Sektenleitung in den USA. Hauri ist laut eigenen Angaben Vorsitzender des Ron’s Org Committee (ROC), einem Netzwerk von 2000 unabhängigen Scientologen. Auch er hat mit der «Kirche» 1983 gebrochen. «Das Schlechte hat mich meine Mitarbeit und Mitgliedschaft bei der Scientology-Kirche quittieren lassen. Das Gute motivierte mich, Scientology ausserhalb der Kirche weiterzuverbreiten.» Nach und nach habe man «Kommunikationslinien» in alle Welt etabliert und heute zähle man «Menschen in vielen Teilen der Welt, ganz im Speziellen auch in den früheren Ostblockländern zu unseren Freunden.»
Hauri äussert auch Verständnis für bisher orthodoxe Scientologen, die aussteigen wollen und Repressionen befürchten. «Gerne könnt Ihr daher einfach anstatt eures wirklichen Namens einen «Künstlernamen» nennen, ermutigt er solche Kreise, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Seine Preise sind transparent und – rund. Es beginnt mit einer «Lebensreparatur» für 135 Franken pro Stunde über einen Reinigungs-Rundown (ohne Vitamine und Sauna) für 1000 Franken bis zum Packetpreis (sic) «Clear Hut, Solokurs, Operierender Thetan I bis Operierender Thetan III» für 7000 Franken. Da gibt es aber auch den «professionellen Kursüberwacher-Kurs» für günstige 3000 Franken und wöchentliches Training für 500 Franken (per Woche). Den SHSBC hingegen gibt es nicht unter 20 000 Franken. Da weiss man, was man hat. Oder, wem auch dieser Begriff nichts sagt, zumindest, was man nachher nicht mehr hat. Die Kursmaterialien sind im Preis nicht inbegriffen. Übrigens: Wer selber andere ausbildet, bekommt auf die meisten Kurse 50 Prozent Rabatt. Jede Ähnlichkeit mit einem Schneeball-Vertriebssystem wäre wohl unbeabsichtigt, rein zufällig und sicher ungewollt . . .
Auch am Telefon gibt Max Hauri offen Auskunft über seine Scientology-Tätigkeit. Er sei in diesem Umfeld aufgewachsen und seit seiner Jugendzeit in diesem Bereich aktiv, meint er auf die Frage nach seiner «bürgerlichen» Ausbildung. Mit der umstrittenen Scientology-Kirche habe aber sein Angebot nichts zu tun. Er habe etwa 200 Kunden aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Russland und Übersee. Hauri betont, dass sein Angebot in Grenchen nicht beworben wird. Das Gebäude an der Mazzinistrasse sei allerdings das Zentrum der Ron’s Org Aktivitäten, wie er bestätigt. Hier finden die Veranstaltungen für seine Kunden statt. Auch die weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihren Wohnsitz hier. Angesprochen auf seine Preisliste betont Hauri, dass die Kurse und Trainings «klar günstiger» seien, als bei der Scientology-Kirche. Mit einem Schneeballsystem hätten die massiven Rabatte für «Personen, welche hauptsächlich von der Tech-Delivery leben», nichts zu tun. «Es profitieren nur ganz wenige davon, vielleicht fünf Prozent.» Die übrigen Kunden würden die normalen Kurspreise entrichten. (at.)
Lehre und Praktiken
Herzstück der scientologischen Lehre ist die Vorstellung, dass das unsterbliche Wesen jedes Menschen, der Thetan, durch traumatische Erlebnisse und insbesondere durch zwei Ereignisse vor Millionen Jahren massiv in seiner Funktionsweise beeinträchtigt worden sei. Scientology-«Technologien», insbesondere das Auditing, könnten die Funktionen des Thetan zumindest teilweise wiederherstellen. «Dabei stellt man sich den Menschen so vor wie einen Computer, der neu programmiert werden kann, also rein mechanistisch», erklärt Sektenkenner Georg Otto Schmid. Erklärtes Ziel Scientologys ist es, auf diese Weise das Leben des Einzelnen zu verbessern, insbesondere sein geistiges und körperliches Wohlbefinden zu steigern, und mehr Geld zu verdienen. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Hinwendung aller Menschen zu den Gedanken Scientologys das Hauptziel, daneben wird insbesondere die Abschaffung der Psychiatrie gefordert.
Die Welt, 12.08.2013, Katja Mitic
Leah Remini und das große Rätsel von Scientology
Nach ihrem Scientology-Ausstieg vor einem Monat plant der «King-of-Queens»- Star Leah Remini, 43, offenbar weitere Enthüllungen. US-Medien halten es für sehr wahrscheinlich, dass bald ein Buch über ihre 30 Jahre dauernde Mitgliedschaft erscheinen wird. Schon jetzt sollen sich die Verlage um die Rechte reißen, berichtet das Online-Portal «Radar Online». Die Rede ist von einem Millionen-Honorar. Scientology wird dies wohl weniger gefallen. Denn wie ernst es dem Sitcom-Star mit der Abrechnung ist, bekam die Organisation bereits zu spüren. Kurz nach ihrer Flucht meldete die Schauspielerin ein hochrangiges Mitglied beim Los Angeles Police Departement (LAPD) offiziell als vermisst: Shelly, die Frau von Scientology-Chef David Miscavige.
Der Vorgang war insofern spektakulär, weil es in diesem Fall offenbar noch niemandem gelungen war, die Behörden einzuschalten. Denn man muss wissen: Details zum Verbleib von Miscavige zählen zu den ganz großen Tabus bei Scientology. Kaum vorstellbar, wie viele Kapitel Remini über Shelly Miscavige schreiben könnte, inklusive intimster Details über die Ehe des Scientology-Chefs. Sie war schließlich jahrelang mit dessen Frau befreundet. Die Organisation selbst betont zwar immer wieder, Shelly werde nicht vermisst und habe ein Recht auf Privatsphäre, weshalb ihr Aufenthalt nicht bekannt gegeben oder kommentiert werde. Sie arbeite weiterhin für die «Church of Scientology», wie sie dies schon immer getan habe. Und obwohl sogar Miscaviges Anwälte unter anderem bei der «Daily Mail» vehement ein Verschwinden dementieren, hält sich die Sorge um Shelly. Denn seit mehr als sechs Jahren fehlt von ihr ein Lebenszeichen.
Das letzte Lebenszeichen
Der Fall der Vermissten, die angeblich gar nicht vermisst wird, wie Scientology glauben machen will, zählt zu den rätselhaftesten Vorgängen in der spirituelle Gruppe, die einst von L. Ron Hubbard gegründet wurde und an Aliens glaubt. Michelle Diane – genannt Shelly – Miscavige trat zuletzt bei der Beerdigung ihres Vaters im Jahr 2007 auf. Danach zog sie sich zurück, obwohl sie sonst ihren Mann zu jedem offiziellen Termin begleitet hatte und zur Führungselite zählte. Ob sie dies freiwillig tat oder auf Druck von anderen Mitgliedern, ist unklar. Auf den wenigen Fotos, die im Internet von ihr existieren und alle von Aussteigern stammen, ist sie mit dunklen, langen Haaren zu sehen. Sie wirkt schmal und zierlich. Ihr wird nachgesagt, eine glühende Gläubige zu sein. Unter anderem war sie für das Projekt verantwortlich, eine adäquate Gattin für das Vorzeige-Mitglied Tom Cruise zu finden. Dabei habe sie ihm mehrere passende Kandidatinnen vorgestellt. Eine von ihnen war die Schauspielerin Nazanin Boniadi, die später über das skurrile Casting öffentlich berichtete. Ingesamt sollen hunderte junge Frauen begutachtet worden sein.
Zahlreiche Verschwörungstheorien wollen Miscaviges Verschwinden erklären: vom vertuschten Krebstod inklusive Beerdigung unter einem falschem Namen bis zum unfreiwilligem Aufenthalt in einem geheimen Camp in den Bergen bei Los Angeles für abtrünnige Mitglieder, wie das ehemalige Mitglied der Elite-Einheit «Sea Org», Tony Ortega, in seinem Blog «The Underground Bunker» behauptet. Dort soll sie von John Brousseau, ihrem Schwager, gesehen worden sein. Andere wollen wissen, dass ihr Mann David seiner Gattin jedes Jahr Handschuhe und eine Winterjacke schicke, weshalb sie einen Aufenthalt in einem arktischen Gebiet für wahrscheinlich hielten.
Der Selbstmord von Shellys Mutter
Potenziert werden die Legenden dadurch, dass nur sehr wenig über Shellys Privatleben an die Öffentlichkeit gelangt ist. Sie kam 1961 in Dallas, Texas, zur Welt und wuchs mit zwei Schwestern auf; eine dritte verstarb kurz nach der Geburt, wie die Ahnen-Homepage «findagrave.com» verrät. Schon damals war die gesamte Familie bei Scientology engagiert. Shelly trat der «Daily Mail» zufolge im Alter von zwölf Jahren Scientology bei und dürfte damit eine Erziehung nach den Regeln der Organisation durchlaufen haben. 1981 heiratete sie David Miscavige, der ursprünglich katholisch erzogen wurde, dann aber 1982 zum Führungszirkel von Scientology stieß. Unter anderem verwaltet er seitdem die Urheberrechte für Bücher- und die Markenrechte der Organisation.
Wenige Jahre nach der Hochzeit kam es dann zu einem tragischen Vorfall in Shellys Leben: Ihre Mutter Mary Florence «Flo» Barnett beging unter rätselhaften Umständen am 8. September 1985 Selbstmord. Auch dieser Fall beschäftigt Verschwörungstheoretiker bis heute, obwohl zwei Abschiedsbriefe gefunden wurden. Die nur 1,58 Meter große Frau soll sich nämlich mit einer halbautomatischen Waffe erst drei Mal in die Brust geschossen haben, bevor ein vierter Schuss ihren Kopf traf. In ihrem Todeskampf müsste die Frau akrobatische Fähigkeiten entwickelt haben, so Kritiker der Selbstmord-Theorie. Der Fall schien so unmöglich, dass zahlreiche Ballistiker und Gerichtsmediziner die genauen Umständen des vermeintlichen Suizids untersuchten.
Schwiegersohn unter Verdacht
Unter anderem auch deshalb, weil ihr Schwiegersohn, David Miscavige, wegen seiner Kommentierung «Die Hexe hat das bekommen, was sie verdient hat!» unter Verdacht geriet. Ehemalige Mitglieder glauben, dass die Abneigung daher rührte, dass die Familie zwischen die Fronten eines Macht- und Richtungskampfes bei Scientology geraten war, der im Vorfeld des Todes von Gründer Hubbard im Jahr 1986 stattfand. David Miscavige gab später eine Erklärung vor Gericht ab, dass er nichts mit dem Tod seiner Schwiegermutter Flo Barnett zu tun habe. Und die Ermittlungen der Polizei stützten seine Aussage. Sie ergaben eindeutig, dass es sich bei Barnetts Tod nicht um einen Mord handelte, sondern um einen Suizid unter – zugegebenermaßen – seltsamen Umständen. Dennoch blieben noch viele Fragen offen – genau wie im mysteriösen Fall ihrer Tochter Shelly Miscavige.
Gehirnwäsche nach unliebsamen Fragen
Immerhin zeigte Reminis Anzeige Wirkung. Ein Spezial-Team des Polizei Departments von Los Angeles (LAPD) für vermisste Personen machte sich auf die Suche nach Shelly – und fand sie. Zumindest laut offiziellem Statement. «Das LAPD hat weitere Ermittlungen als unbegründet klassifiziert, aufgrund der Tatsache, dass Shelly nicht vermisst wird», teilte Detective Gus Villanueva der «New York Post» mit. Einzelheiten zu dem Treffen konnte er jedoch nicht nennen. Er wisse auch nicht wo und wann, doch hätten Ermittler die Frau getroffen, berichtet das Blatt weiter. Aber ihm sei versichert worden, sie habe «keinerlei Anzeichen gegeben, dass sie gegen ihren Willen festgehalten» werde. Es liefen bereits Vorbereitungen, den Fall zu den Akten zu legen.
US-Medien berichten allerdings, dass Remini sich mit diesem Ermittlungsergebnis nicht zufrieden geben will. Vermutlich deshalb, weil sie weiß, wie in Ungnade gefallene Mitglieder von Scientology behandelt werden. Die Schauspielerin war nach eigener Aussage über Jahre drangsaliert und verhört worden, weil sie auf die «schwarze Liste» von internen Kritikern und potenziell Abtrünnigen geraten war. Ziel sei eine Gehirnwäsche gewesen. Begonnen hatte der Bruch zwischen der Schauspielerin und der Gruppe auf der Hochzeit von Tom Cruise und Katie Holmes (die Ehe ist inzwischen wieder geschieden). Remini zählte zu den Gästen und wunderte sich, dass Shelly Miscavige nicht ebenfalls gekommen sei, wo sie doch so eng mit dem Paar befreundet sei und es sogar verkuppelt habe. Schließlich habe sie unbekümmert Shellys Ehemann David Miscavige gefragt und wurde daraufhin barsch zurückgewiesen. Ihr wurde deutlich zu verstehen gegeben, dass sie kein Recht habe, ein ranghöheres Mitglied so etwas zu fragen.
Auch Clan-Mitglieder ausgestiegen
Remini insistierte jedoch und wollte den Verbleib ihrer Freundin aufklären. Eine Antwort erhielt sie jedoch trotz der schlechten Behandlung nicht. Es war der Beginn ihrer Abnabelung. «Ich glaube, Menschen sollten Dinge hinterfragen dürfen. Ich bin überzeugt davon, dass Werte wie Familie und Freundschaft heilig sein sollten. So ticke ich einfach. Niemand kann mir erzählen, was ich denken oder mit wem ich sprechen soll», erklärte Remini ihrem Ausstieg dem «People Magazin». Eine bekannte Aussteigerin machte Remini übrigens Mut und dürfte die Sorge Scientologys vor einem Enthüllungsbuch nähren. «Sie ist eine toughe Frau», sagte auch Jenna Miscavige Hill, die Nichte des Chefs der Organisation, dem «People Magazin» über Remini. Auch Jenna flüchtete 2005 mit ihrem Ehemann unter dramatischen Umständen. In einem Buch beschreibt sie die gruseligen Details ihrer Kindheit. Unter anderem habe sie einen Vertrag über eine Mitgliedschaft für eine Milliarde Jahre unterzeichnen müssen. «Sie (Remini, Anm. d. Red.) wollte nicht blind auf dem Auge der Gerechtigkeit bleiben. Solche Menschen bleiben nicht lange bei Scientology, weil sie nicht so einfach zu kontrollieren sind.» Zu Shelly Miscaviges Verbleib wollte sie auf Anfrage der «Welt» nicht äußern. Aber das kann ja noch kommen. Remini dürfte also jede Menge Stoff für einen Bestseller haben.
ShortNews, 10.08.2013
Karen Black und der Tod in Scientology
Autor Skip Press kennt sehr viele Scientologen, die an Krebs gestorben sind. Häufig, weil sie aufgrund der Scientology-Lehre die traditionelle Medizin vernachlässigt haben. Skip Press erinnert sich zurück, dass ein Scientology Registrar (Verkäufer) darauf bestanden hat, dass Auditing die Eileiterschwangerschaft seiner Frau heilen kann. «Es war geisteskrank und nur durch ärztliche Hilfe konnte das Leben meiner Frau und meines Kindes gerettet werden,» so Press. «Nach meinem Ausstieg aus Scientology wurde ich erst so richtig erfolgreich und schrieb fast 50 Bücher,» so Skip Press. «Scientology hielt mich für viele Jahre zurück. Zum Glück bin ich nicht lange geblieben, sodass es mich nicht getötet hat.»
Karen Black wurde 74 Jahre alt. Sie war Mitglied bei Scientology. Am Ende musste sie sogar eine Online-Spendenaktion starten, um Geld für die Behandlung zu erhalten. Ihr ganzes Vermögen muss sie wohl der Sekte «gespendet» haben.
Tagesanzeiger, 05.08.2013, Hugo Stamm
Scientology trieb ihn in den Ruin, nun zahlt der Staat Zürcher – Scientologen in der Kritik
«Ich war halt etwas weich.» Ronald Meier (Name geändert) schaut leicht verlegen zu Boden. Seine weiche Seite wurde ihm zum Verhängnis. Die Zürcher Scientologen erkannten den Charakterzug des Metzgers instinktiv und liessen ihn systematisch ausbluten. Am Schluss war er um rund 800 000 Franken leichter und verarmt. Heute lebt er von Ergänzungsleistungen. Ronald Meier ist kein Einzelfall: Immer wieder beuten Sekten ihre Anhänger aus. Sind diese psychisch oder finanziell ruiniert, muss die Allgemeinheit die Zeche bezahlen.
Das umfangreiche Scientology-Dossier von Ronald Meier enthält die Geschichte eines Mannes, der nicht entschieden genug Nein sagen konnte. Er weigerte sich zwar anfänglich, immer neue Kurse und Materialien zu kaufen, knickte aber unter dem rhetorischen und moralischen Druck der Profi-Scientologen immer wieder ein. Bis sein Vermögen und seine Altersvorsorge aufgebraucht waren. Als nichts mehr zu holen war, liess man ihn gehen. Heute ist er 74 Jahre alt und lebt am Existenzminimum. Dabei hätten ihn die scientologischen Kurse befähigen sollen, das Leben besser zu meistern.
Bürgschaft für den Therapeuten
Die lange Geschichte begann 1988. Ronald Meier steckte in einer Sinnkrise. Ein Flugblatt lockte ihn ins Zürcher Zentrum. Nach einem intensiven Gespräch unterschrieb er sofort den ersten Kursvertrag. Dann ging es Schlag auf Schlag, er kaufte immer mehr Kurse und Auditings (eine Art Therapiesitzung). «Ich fand vieles eigenartig und blieb skeptisch, doch ich wagte nicht, mich zu wehren oder zu lösen», sagt Ronald Meier heute.
Es sprach sich schnell herum, dass Meier ziemlich flüssig war. Neben Scientology zapften auch einzelne Sektenmitglieder die Quelle an. Ein angesehener Scientologe, der ein eigenes Geschäft hatte, luchste ihm 80 000 Franken in Form eines Darlehens ab. In der Klemme war auch der Auditor, der Meier betreute. Dieser übernahm eine Bürgschaft in der Höhe von 180 000 Franken für seinen «Therapeuten». Meier dachte, das Geld sei sicher, und gewährte noch weitere kleine Darlehen.
Meier besuchte fleissig Kurse, doch die grosse Erleuchtung kam nicht über ihn. «Ich verspürte die grossartigen Gewinne nicht, die mir Scientology versprochen hatte», erzählt er. Doch nun sass er in der Falle. Er wollte nicht wahrhaben, dass alles für die Katz gewesen sein könnte. Deshalb kniete er sich noch intensiver rein und liess sich überreden, im Hauptquartier in den USA Kurse zu besuchen. Kostenpunkt: rund 250 000 Franken. An den Überredungskünsten beteiligt war auch eine junge, hübsche Amerikanerin.
Für angebliche Wohltätigkeitsveranstaltungen und für prestigeträchtige Einträge in einer Spenderliste zahlte er weitere 100 000 Dollar. Meier liess sich auch mehrere Hubbard-Elektro-Meter für mehrere Zehntausend Franken aufschwatzen. Dabei handelt es sich um simple Geräte zur Messung des Hautwiderstandes, die bei der umstrittenen Therapie eingesetzt werden und ähnlich wie ein Lügendetektor reagieren. «Im Lauf weniger Jahre gab ich für Scientology-Kurse und – Materialien 606 000 Franken aus, Darlehen nicht einberechnet», sagt Meier.
Der Mutter Geld abgeschwatzt
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Meier seine Finanzen noch halbwegs im Griff. Doch dann zeichnete sich ab, dass die beiden Hauptschuldner ihren Verpflichtungen nicht nachkommen konnten. Die Bank forderte die 180 000 Franken aus der Bürgschaft von Meier, weil sein Auditor in die Drogen abgerutscht war. Der scientologische Geschäftsmann ging in Konkurs und konnte den Kredit von 80 000 Franken nicht abzahlen. Meier suchte Hilfe beim ScientologyKader, auch bei Jürg Stettler, der heute noch Chef der Schweizer Scientologen ist. Doch Meier fand keine Gnade. Da er inzwischen blank war, sah er sich gezwungen, seiner Mutter 40 000 Franken abzuschwatzen und sein Erbe vorzubeziehen.
Nach ein paar Jahren löste sich Meier von der Sekte und versuchte, wenigstens die Spendengelder von der milliardenschweren Mutterorganisation in den USA zurückzubekommen. Doch selbst einer der ranghöchsten Scientologen liess ihn hängen. Sein Briefpapier enthielt den Aufdruck: «Ein Mensch ist nur so wertvoll, wie er andern dient.» Nicht einmal die rund 40 000 Franken, die noch auf einem Scientology-Konto lagen, wurden ihm zurückbezahlt. Vielmehr drehten sie ihm zwei von Sektengründer Hubbard signierte Videokassetten im angeblichen Wert von 40 000 Franken an. Damit war auch dieses Scientology-Konto geplündert.
Teure Geräte plötzlich wertlos
Schliesslich hätte Meier gern ein paar Gegenstände verkauft, um seine Schulden zu tilgen. So ein Gold-E-Meter, für das er 42 000 Franken bezahlt hatte, die beiden Kassetten (40 000 Franken) und andere Materialien (25 000 Franken), doch er fand keine Abnehmer für die überteuerten Utensilien. Schliesslich packte er alles in eine Schachtel und brachte sie ins Zürcher Zentrum. Geld bekam er dafür nicht.
Das letzte Kapitel der Geschichte von Meier wurde in diesen Tagen abgeschlossen. Mit einem Happy End – wenn auch einem kleinen. Scientology Zürich überwies ihm rund 3400 Franken. Das Geld war nicht als Schadenersatz gedacht, vielmehr lag es noch auf einem Scientology-Konto. Die Sekte rückte den Betrag nur unter der Bedingung heraus, dass Meier keine weiteren Geldforderungen stellt. Die 3400 Franken werden rasch aufgebraucht sein, doch Scientology wird Ronald Meier nie vergessen. Seine Armut erinnert ihn täglich an seine Schwäche, gelegentlich weich zu werden. Scientology war nicht bereit, die Fragen des TA zu beantworten.
Tages-Anzeiger, 28.09.2013, Hugo Stamm
Geheime Kursunterlagen von Avatar (Harry Palmer)
Geheime Kursunterlagen einer weltweit tätigen Firma führen in eine Parallelwelt. Angehörige von Zürcher Teilnehmern warnen vor psychischen Folgen.
Zürich – Avatar-Kurse sollen die Teilnehmer befähigen, das eigene Universum zu kreieren und den Weltfrieden zu fördern. Die vollmundigen Versprechen erinnern nicht zufällig an Scientology: Der Avatar-Gründer Harry Palmer war aktiver Scientologe und hat einige Inhalte und Prozedere von der Sekte übernommen. Deshalb erstaunt es nicht, dass sich immer wieder Leser aus dem Raum Zürich an den TA wenden, weil ihre Angehörigen in eine Parallelwelt abrutschten. Die geheimen Kursunterlagen, die dem TA zugespielt wurden, zeigen denn auch problematische Seiten der teuren Kurse des 69-jährigen Amerikaners Harry Palmer. Die Kritik der TA-Leser zielt mehrheitlich auf zwei Punkte: Ihre Angehörigen würden nach Kursen psychische Auffälligkeiten entwickeln oder sich derart geistig entfremden, dass es zu Konflikten in Beziehungen komme.
Tatsächlich werden problematische Übungen durchgeführt und übermenschliche Fähigkeiten versprochen, die seelische Zwiespälte bewirken können, wie die Kursunterlagen zeigen. Im Professional-Kurs spricht Palmer von der Mission, eine «erleuchtete planetare Zivilisation auf der Erde zu kreieren». Damit ist das Ziel klar: eine weltweite Verbreitung, wie sie auch Scientology-Gründer Ron Hubbard formuliert hat. So ist es nicht mehr weit bis zum Übermenschen: «Wir haben hier einen Prozess, in dem sich Menschen von materiellen, fleischlich-dichten Körpern in äusserst bewusste spirituelle Wesen verwandeln, in unbegrenzte Wesen.» Palmer erklärt die Avatare zu den «fähigsten Wesen auf diesem Planeten» und zu «Erlösern der Welt». Solche Parolen erzeugten ein «ungeheures Elite- und Sendungsbewusstsein», erklärt die Zürcher Beratungsstelle Relinfo.
Das eigene Bewusstsein steuern
Ähnlich wie Hubbard erklärt Palmer, die Technik zu besitzen, um das eigene Bewusstsein zu steuern. Es geht um geistige Verfahren, die «buchstäblich zu einem Schlüssel zu den Geheimnissen des Universums» wurden. Das Grundrezept ist denkbar einfach: Wer in seinem Leben etwas verändern, also verbessern will, muss nur seine Überzeugungen anpassen. Palmer fordert seine Avatare auf, das eigene Universum «ganz nach deinem Geschmack» zu kreieren. So lockt er die Teilnehmer in eine Superwelt: «Mit genügend Forschung (…) wirst du die Schwerkraft überwinden und durch Flattern mit den Armen fliegen können.» Wenn Palmer von der Treue zu Avatar erzählt, verbreitet er die Atmosphäre einer Sekte: «Das ist unsere heimliche Stärke. Wir sind zusammen, für immer. Ich liebe euch.»
Kontrolle über den Verstand
Schon beim ersten Kurs, dem Resurfacing, verspricht Harry Palmer viel. Teilnehmer hätten bei den Übungen Wunderheilungen in Hülle und Fülle erlebt. Im Zentrum des dreiteiligen Avatar-Kurses steht die Schaffung eines eigenen Universums und Bewusstseins. Nach esoterischem Muster sollen die eigenen Talente entwickelt und Visionen verwirklicht werden. Beim Selbstermächtigungskurs sollen die Teilnehmer die Kontrolle über den Verstand wiedererlangen und die aussersinnliche Wahrnehmung entwickeln.
Es klingt so, als könnten Avatare alle unangenehmen Aspekte wie eine Festplatte löschen. Weiter geht es darum, Begrenzungen durch geistige Übungen in allen Lebensbereichen zu überwinden und Blockaden zu lösen. Palmer will vor allem den störenden Verstand bei den Teilnehmern ruhigstellen. Wer keinen Erfolg habe, denke zu viel. Der Zürcher Avatar Andreas Wildi erklärt es auf seiner Website so: Was Quantenphysik und Geisteswissenschaften entdeckten, könne mit den Avatar-Materialien intuitiv erfahren werden, «ohne Kopfzerbrechen».
Der dreiteilige Avatar-Kurs dauert neun Tage und kostet 3680 Franken. Hinzu kommen Reisespesen und Aufenthaltskosten, oft in Florida. Viele Teilnehmer werden animiert oder gar gedrängt, Master-Kurse zu belegen, die zwischen 2500 und 12 000 Dollar kosten. Avatar-Lizenznehmer müssen Provisionen abliefern. Palmer hat ein komplexes Lizenz- und Gebührensystem geschaffen. Ein qualifizierter Master sollte mindestens zehn Kursteilnehmer rekrutieren.
Ehemalige Master berichten, dass sie sich unter Druck gefühlt hätten. Dem TA ist ein Fall bekannt, bei dem ein Master einem verschuldeten Teilnehmer die Kursgebühr vorgeschossen hat, die dieser nun abstottern muss. Ein anderer Master findet die Avatar-Kurse nach wie vor wertvoll, doch er bedauert, dass der Pioniergeist verloren gegangen sei. Avatar-Teilnehmer verpflichten sich mit ihrer Unterschrift, die Kursunterlagen nicht weiterzugeben oder gerichtlich gegen das Unternehmen vorzugehen.
100 000 Avatare weltweit
Laut eigenen Angaben haben schon über 100 000 Personen in 71 Ländern Kurse absolviert, die Palmer seit 1986 anbietet. Avatar dürfte einen Umsatz von gegen einer halben Milliarde Franken erwirtschaftet haben. In der «Wohlstandsübung» lernen die Teilnehmer, einen lockeren Umgang mit Geld. «Die erfolgreichsten Master sind gut im Verkaufen», schreibt Palmer und warnt, dass ein Master Mitglied eines «knallharten Vereins» werde. Die für die Schweiz zuständige Holländerin Pieta van der Ham war nicht bereit, Fragen zu beantworten.
Verschiedene Zürcher Master wehren sich gegen die Kritik an Avatar. Sie streiten ab, dass finanzieller Druck auf Interessenten ausgeübt werde und Avatar auch nur entfernt mit Scientology vergleicht werden könne. Ihnen ist auch nicht bekannt, dass die Kurse zu negativen psychischen Reaktionen oder zu Spannungen in Beziehungen führten. Sie glauben daran, was Harry Palmer verspricht: «Für einen Avatar ist das Leben mühelos.»
Zentral+, 13.09.2013
Umstrittene Dianetik-Kurse Schüler-Nachhilfe mit Scientologen-Falle in Littau
Nachhilfelehrer vermittelt Kurs
Otmar L. besuchte die Primarschülerin in ihrem Elternhaus und erteilte Nachhilfeunterricht. Die Schülerin war zufrieden mit seiner Unterstützung. «Die Nachhilfe im schulischen Fach war gut, da hat mir Herr L. geholfen», sagt die Tochter von Einwanderern. «Nachhilfe geben ist mein grosses Hobby», schreibt Otmar L. in einem Mail an zentral+, «und ich finde es grossartig, Schülern zu mehr Freude und Erfolg in der Schule verhelfen zu können».
Scientology – bereits früher in Littau aktiv
In Littau war die Scientology-Kirche schon einmal aktiv: 1999 entzog der Luzerner Regierungsrat einer Privatschule die Betriebsbewilligung, als sich herausstellte, dass die Lehrerin und Vertreter der Schule der Scientology angehörten. Der Regierungsrat begründete den Bewilligungsentzug mit mangelnder Vertrauenswürdigkeit in die Trägerschaft. Die Scientology-Kirche ist umstritten wie kaum eine religiöse Gemeinschaft.
Nach eigener Einschätzung ist Scientology eine Religion im wahrsten Sinne des Wortes, da sie hilft, dem Menschen völlige spirituelle Freiheit und Wahrheit zu bringen. Die Scientologen glauben, dass das unsterbliche Wesen jedes Menschen, der Thetan, in der Vergangenheit beschmutzt worden ist. Mit Scientology-Technologien, insbesondere dem Auditing, soll der Geist «clean» werden.
Für Aussteiger und Gegner ist Scientology eine totalitäre Ideologie mit antidemokratischer Stossrichtung. Viele Gegner bezeichnen Scientology als Wirtschaftsimperium, das mit Hilfe von Tarnfirmen die Gesellschaft zu unterwandern versuche. Gefürchtet ist auch der rüde Umgang von Scientologen mit Aussteigern und Gegnern. Das Landesamt für Verfassungsschutz von Baden-Württemberg beurteilt die Ansichten von Sektengründer Hubbard gar als «unvereinbar mit der verfassungsmässigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland».
Nachhilfe für Schweizer- und Migrantenkinder wird im Kanton Luzern unter anderem vom Verein ZiB Zentrum für interkulturelle Bildung angeboten. ZiB wird von der öffentlichen Hand, von Kirchen und von Stiftungen unterstützt. Das Angebot ist extra kostengünstig gestaltet und soll besonders für Familien mit kleinem Einkommen zur Verfügung stehen. Doch dann geht Otmar L., EDV-Fachmann und nebenberuflicher Nachhilfe-Anbieter, einen Schritt weiter. Die Schülerin sagt: «Herr L. hat mir einen Kurs empfohlen. Er hat mich auch zu diesem Kurs begleitet. Der Kurs war in Emmenbrücke und hiess «Lernen wie man lernt». Das war vor rund anderthalb Jahren.
Verunsicherte Schüler im Visier
Die Schülerin musste Texte lesen und damit arbeiten, das heisst, es ging um das Textverständnis. Was die Schülerin nicht wusste: Die angewandte Studiertechnik basiert auf den Werken des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard. Und den Kurs besuchte sie im Kurslokal der «Dianetik & Scientology Mission der Church of Scientology Luzern» an der Neuenkirchstrasse 18b in Emmenbrücke. Nach einigen Lektionen brach die Primarschülerin den Kurs jedoch ab. «Ich wollte selbständig weiter arbeiten, es allein versuchen. Der Kurs hat mir nichts gebracht.»
Georg Otto Schmid von Relinfo, der evangelischen Informationsstelle für Kirchen, Sekten und Religionen in Rüti (ZH), stellt fest: «Wir beobachten schon lange, dass Scientologen versuchen, verunsicherten Schülerinnen und Schülern Scientology- Kurse zu vermitteln». Scientologen seien im Nachhilfemarkt «stark engagiert». Angebote sind nicht transparent «Für uns sind solche Angebote dann problematisch, wenn nicht klar deklariert wird, dass es sich um Kurse der Scientologen handelt», erklärt Schmid von Relinfo. «Das muss aber transparent sein, damit die Eltern frei entscheiden können, ob sie ihre Kinder zu Scientologen schicken wollen oder nicht.»
Bei den Angeboten von Nachhilfe-Luzern werde der Zusammenhang zu Scientology zu wenig klar kommuniziert. Wie oft Otmar L. Dianetik-Kurse vermittelte oder noch vermittelt, ist unklar. Otmar L., in früheren Scientology-Publikationen als Mitglied gelistet, schreibt in einem Mail an zentral+, es seien «nicht gerade viele», die auf seine Empfehlung hin einen Kurs bei Scientology besucht hätten. Seine Lernhilfe bestehe schon seit vielen Jahren, und er habe schon «viele Dutzende Schüler in Ihren Schulschwierigkeiten begleitet und ihnen effizient geholfen – ohne sie zu Dianetik-Kursen zu führen.» Nach welchen Kriterien Otmar L. Dianetik-Kurse vermittelt, schreibt er in seinem Mail an zentral+: Neben der Nachhilfetätigkeit checke er «jeweils auch nebenläufige Faktoren wie familiäres und schulisches Umfeld, Fernsehkonsum, Ernährung, Schlaf, Hobbys, usw., um noch erfolgreicher helfen zu können.»
Werbung für Scientology-Kurse
Zu einzelnen oder mehreren dieser Punkte gebe er jeweils Empfehlungen ab, «wenn ich dort Bedarf feststelle und es für richtig halte». «So empfehle ich den einen oder den anderen der beiden Kurse, die Sie auf meiner Homepage aufgeführt finden. Beispielsweise, wenn ich speziellen Konzentrationsmangel oder grössere Probleme mit der Lerntechnik feststelle.» Die Kurse werden also nicht nur informell, sondern – neben Informationen über die Nachhilfe und Testimonials von ehemaligen Nachhilfeschülern – auch offiziell auf der Homepage von Otmar L. beworben.
Gelistet sind eine Kurs-Empfehlung für die Verbesserung der Lernfähigkeit in der Schule sowie eine Kurs- Empfehlung für Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit in der Schule. Bis gestern 12. September ist in der Kursbeschreibung jedoch nicht erwähnt worden, dass die Kurse zu Scientology führen. Nur wer genau hinschaute, fand auf Buch-Illustrationen den Namen des Scientology-Gründers L.Ron Hubbard.
Kurse neu deklariert
Aufgrund der Recherchen von zentral+ hat nun Otmar L. die Präsentation der Kurse ergänzt. Seit gestern deklariert er die Angebote neu als Scientology-Kurse. Zuvor hatte er noch argumentiert, Dianetik sei weder etwas Verbotenes noch etwas Schlechtes, und es werde Nichts «nicht transparent gemacht». «Wieso auch? Würde es Sie denn beruhigen, wenn ich diese auf meiner Homepage als Dianetik-Kurse bezeichnen würde?» Später führte er aus, es sei wohl dem Frieden zuliebe «das Beste, wenn ich bei nächster Gelegenheit mal den Text zu diesen Kursen entsprechend ergänze und den Begriff «Scientology-Kurs» einfüge». Das hat Otmar L. nun getan.
Die Geschichte der Primarschülerin aus der Einwandererfamilie ist noch nicht zu Ende. Während der Nachhilfestunden zu Hause spricht Otmar L. auch die Eltern an und bewegt sie dazu, in der Scientology-Mission in Emmenbrücke eine Informationsveranstaltung zu besuchen. Die Eltern erklären gegenüber zentral+: «Man versprach uns mehr Erfolg im Beruf.»
Kurse auch für Eltern
Der Vater lässt sich schliesslich zu einem Dianetik-Kurs überreden. «Es nahm mich wunder, ob es etwas bringt. Aber es hat nichts gebracht, und so habe ich wieder aufgehört.» Anschliessend wurde er telefonisch und schriftlich zum Weitermachen aufgefordert, doch als er kein Interesse zeigte, liess man ihn in Ruhe. Insgesamt hat die Familie rund tausend Franken für Kursgelder und Bücher ausgegeben.
Ein Schulhausleiter in Littau, der nicht namentlich zitiert werde möchte, kritisiert das Vorgehen von Otmar L. «Ich vermisse eine klare Trennung der Interessen Aufgabenhilfe und ‹Lebenshilfe›. Dies wäre gerade in Momenten nötig, wo Eltern typischerweise verunsichert sind.»
«Schule wolle das Kind vergiften»
Er konkretisiert das mit einem Beispiel, das er hautnah miterlebt hat. Es geht dabei um ein Kind mit einer Verhaltensstörung, welches von einem Arzt Medikamente verschrieben bekam. Auch dieses Kind stammt aus einer Familie mit Migrationshintergrund – und war bei Otmar L. in der Nachhilfe. «Herr L. sagte der Mutter des betroffenen Kindes, sie solle die Medikamente sofort absetzen, die Schule wolle ihr Kind vergiften», wirft der Schulhausleiter dem Nachhilfelehrer vor. Dieser Vorwurf scheint nicht aus der Luft gegriffen: Scientology lehnt den Gebrauch von Psychopharmaka laut Sektenexperten strikt ab. Die schulmedizinische Psychiatrie werde durch die Scientology- Satellitenorganisation «Bürgerkommission für Menschenrechte» bekämpft.
Mutter musste Handy-Nummer wechseln
«Die verunsicherte Mutter fühlte sich von Herrn L. verstanden», erzählt der Schulhausleiter. Sie liess sich zu einem Kurs in der Scientology-Kirche in Emmenbrücke überreden. «Als sie jedoch merkte, dass der Kurs von Scientology gegeben wurde, brach sie den Kontakt ab.» «Darauf», so der Schulhausleiter, «wurde die Frau bedrängt, weitere Kurse zu besuchen. Das ging so weit, dass sie schliesslich ihre Handy-Nummer wechseln musste», beschreibt er die Situation.
Otmar L. bedauert dies. Er schreibt: Falls dies wirklich so war, dass eine Person «unter Druck gesetzt» wurde, weitere Kurse zu besuchen, finde ich dies genauso schlecht wie die Person selber. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und verfechte klar das freie, persönliche Entscheidungsrecht. Dies gilt nicht nur für mich, sondern auch für andere.» Unter Littauer Schulhausleitern sorgt die Verbindung von Nachhilfe und Scientology für Unmut. Eine Schulhausleiterin sagt: «Die Eltern von Nachhilfeschülern sind naturgemäss verunsichert. Dass man dies nun auch noch ausnützt, ist beschämend.» *Name der Redaktion bekannt
unternehmen-heute.de, 16.10.2013
Scientology muss in Frankreich Geldstrafe zahlen
Zwei Einrichtungen der umstrittenen Scientology-Bewegung in Frankreich müssen wegen «bandenmäßigen Betrugs» zusammen eine Strafe von insgesamt 600.000 Euro zahlen. Der französische Kassationsgerichtshof in Paris wies den Einspruch von Scientology zurück und bestätigte damit ein Berufungsurteil von Anfang 2012, das nun rechtskräftig ist. Die Scientology-Bewegung kündigte den Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte an. Der Anwalt der beschuldigten Scientology-Einrichtungen hatte vor dem Kassationsgerichtshof einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit geltend gemacht. Der Staatsanwalt hatte hingegen erklärt, Grund für die Verurteilung seien nur «Verstöße gegen das Strafrecht» gewesen. Der Kassationsgerichtshof folgte nun dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die Revision gegen das Berufungsurteil von 2012 zurückzuweisen.
Den beiden Scientology-Einrichtungen – dem in Paris ansässigen Celebrity-Zentrum und seiner Buchhandlung – war vorgeworfen worden, Anhänger in den 90er Jahren psychisch unter Druck gesetzt zu haben, um sich an ihnen zu bereichern. Der erste Prozess war durch die Strafanzeige einer Frau ins Rollen gekommen, die rund 20.000 Euro für Bücher, Medikamente und «Kommunikationskurse» der Organisation gezahlt hatte. Im Berufungsverfahren stellte ein Pariser Gericht im Februar 2012 fest, die Organisation habe die Schwäche früherer Anhänger ausgenutzt, um ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen. So seien Persönlichkeitstests, die laut Scientology ein negatives Bild ergaben, dazu genutzt worden, den Betroffenen Leistungen in «rein finanzieller Absicht» anzubieten.
Fünf Scientologen wurden ebenfalls verurteilt; die Strafen reichten von 10.000 Euro Geldstrafe bis hin zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe plus 30.000 Euro. Zu den Verurteilten zählt auch der Gründer und Leiter des französischen Ablegers von Scientology, Alain Rosenberg. Scientology will nun vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Das Straßburger Gericht kann prüfen, ob Frankreich das Grundrecht der Scientology-Bewegung auf freie Religionsausübung verletzt hat oder nicht. Es kann das französische Urteil aber nicht annullieren.
Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Anklage auch die Auflösung der Scientology-Organisationen in Frankreich verlangt. Dies war aber unmöglich, weil im Mai 2009 – einige Monate vor der Urteilsverkündung – eine Gesetzesänderung verabschiedet wurde, die Sekten vor einer Auflösung schützt. Die 1954 gegründete Scientology-Bewegung gilt in den USA als Religion, in Frankreich wird sie hingegen in mehreren Berichten des Parlaments als Sekte eingestuft. In einigen deutschen Bundesländern wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Organisation hat nach eigenen Angaben weltweit rund zehn Millionen Mitglieder, davon 45.000 in Frankreich. Bekannteste Vertreter sind die Hollywoodstars Tom Cruise und John Travolta.
Dieser Artikel aus der Kategorie Panorama wurde von AFP am 16.10.2013, 17:07 Uhr mit den Stichwörtern Frankreich, Religionen, Scientology, Betrug, Justiz, ZF, veröffentlicht.
Der Spiegel, 24.11.2013
Umstrittene Sekte: Verfassungsschützer wollen Scientology-Überwachung stoppen
Hamburg – Das Bundesamt für Verfassungsschutz plant nach SPIEGEL-Informationen, die Beobachtung der Scientology-Organisation praktisch einzustellen – und verärgert damit mehrere Länder. Das Bundesamt wolle seine Prioritäten neu ordnen und daher die Beschäftigung mit Scientology «auf ein Minimum reduzieren», heißt es in einem Schreiben an die Landesbehörden für Verfassungsschutz vom 19. Oktober. Die Bedeutung des Konzerns, der sich als Kirche ausgibt, nehme ohnehin ab. Bundesweit soll die Organisation, der im aktuellen Verfassungsschutzbericht ein «totalitärer Charakter» attestiert wird, noch rund 4000 Mitglieder haben, besonders in Großstädten.
Der Verfassungsschutz versucht, seine Kräfte derzeit in Richtung Spionageabwehr zu bündeln; nach dem Auffliegen des Terrortrios NSU war bereits die Abteilung Rechtsextremismus deutlich gestärkt worden. Der Plan, Scientology aus der Beobachtung zu entlassen, trifft aber auf Gegenwehr. Niedersachsen hat Bedenken geäußert, auch Hamburg und andere Länder wollen nicht mitziehen.
Tagesanzeiger 21.11.2013, Hugo Stamm
Wie ein junger Algerier Scientology auf den Leim kroch
Es begann mit einer E-Mail, die das Leben von Augustin Merzoug radikal veränderte. Sie enthielt eine Einladung zur internationalen Konferenz über Menschenrechte in Genf. Merzoug konnte sein Glück kaum fassen. Als Berber aus der Hochebene Kabylei kämpfte er seit Jahren gegen die Unterdrückung dieser algerischen Minderheit. Nun konnte er vor UNO-Gremien die Diskriminierung dokumentieren.
Glaubte er. Denn er las in der «Offiziellen Einladung», dass frühere Konferenzen im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York stattgefunden hatten. Ausserdem stand ein geführter Besuch am Sitz der Organisation in Genf auf dem Programm. Für Merzoug bestand kein Zweifel, dass die einladenden Organisationen «Des Jeunes pour les Droits de l’Homme» eine UNO-Institution war. Zuversichtlich flog der 29-Jährige vor drei Jahren nach Genf. Doch bald erlebte er den ersten Dämpfer. Er hatte seine Rede vorher einschicken müssen und erfuhr nun, dass er diese nicht vortragen dürfe – weil sie zu politisch sei. «Menschenrechte sind doch hochpolitisch», protestierte Merzoug. Vergeblich.
Flagge abgenommen
Immerhin traf er junge Leute aus aller Welt, denen er vom Schicksal seines Volks erzählen konnte. Als er sich im UNO-Gebäude mit der algerischen Fahne hätte ablichten lassen müssen, weigerte er sich und posierte mit der Kabylei Flagge, die in Algerien verboten ist. «Zwei Bodyguards nahmen mir die Flagge weg», sagt Merzoug. Er war konsterniert: Im demokratischen Musterland Schweiz durfte er nicht sprechen und nicht die Fahne tragen. Um seine Mission zu dokumentieren, stellte er die Bilder auf Facebook und die abgelehnte Rede ins Internet. Das war ein Fehler. Offenbar verfolgte die algerische Botschaft die Konferenz, möglicherweise war ein Angestellter als Teilnehmer anwesend. Auf jeden Fall tauchte die algerische Polizei in Merzougs Dorf in Algerien auf. Seine Freunde rieten ihm, nicht zurückzukehren, weil er mit Repressionen rechnen müsse. Darauf stellte er beim Empfangszentrum Vallorbe VD einen Asylantrag. Untergebracht wurde er im Durchgangszentrum Landegg in Wienacht AR, später bezog er zusammen mit andern Asylsuchenden eine Wohnung in Heiden AR.
Der junge Algerier integrierte sich rasch, spielte beim Fussballclub mit und trainierte eine Juniorenmannschaft. Ausserdem engagierte er sich weiterhin im Internet für die Anliegen der Berber und produziert eigene Sendungen für das kabylische Internetfernsehen. Merzoug hätte gern einen Beruf erlernt oder gearbeitet, was ihm als Asylbewerber aber nicht möglich war. Die Monate vergingen, seine Ungeduld wuchs. Freunde engagierten einen Anwalt, der einen Antrag stellte, um das Verfahren zu beschleunigen. Vor kurzem – es waren drei Jahre vergangenen – erhielt er den ersehnten Entscheid. Er war negativ. Für Merzoug, der im Appenzellischen heimisch geworden war, brach eine Welt zusammen. Bis spätestens am 25. November sollte er ausreisen.
UNO wusste von nichts
Seine Freunde wandten sich an die UNO-Menschenrechtskommission, die ihn eingeladen hatte, und erhofften sich Unterstützung. Die Telefonnummer entnahmen sie der Einladung. Der Mann am Handy wollte aber mit der Sache nichts zu tun haben. Das machte den Anrufer misstrauisch. Er begann zu recherchieren und fand heraus, dass der Organisator nicht bei der UNO arbeitete, sondern Scientologe war. Ausserdem stellte sich heraus, dass die Konferenz nicht von der UNO organisiert worden war, sondern von der Menschenrechtsorganisation der Scientologen. Der Berber hörte den Begriff Scientology das erste Mal. Nun war ihm klar, weshalb er die Kabylei-Flagge abgeben musste. Die Scientologen wollten keinen politischen Knatsch.
Merzoug war ratlos. Seine Freunde beauftragten erneut den Rechtsanwalt, der gegen den Entscheid der Asylbehörden eine Beschwerde einreichte. Der junge Algerier sei gefährdet, es könne ihm nicht zugemutet werden, nach drei Jahren ausreisen zu müssen. Die Frage, ob er die Fotos mit der kabylischen Flagge nicht bewusst ins Internet gestellt habe, um sich zu gefährden und so einen Asylgrund zu provozieren, macht ihn traurig. Er habe die Einladung nach Genf erst zwei Wochen vor der Konferenz erhalten, die Reise also nicht geplant. Ausserdem sei er aus politischem Engagement angereist und kämpfe immer noch intensiv für die Rechte seines Volkes. Nun bangt Merzoug dem neuen Entscheid entgegen. Die Angst, allenfalls in einem der berüchtigten algerischen Gefängnisse zu landen, setzt ihm zu. Die Scientologin, welche die jährliche Menschenrechtsveranstaltung mitorganisiert hatte, sagt zum Vorfall, sie sei nur während der Konferenz für den Algerier zuständig gewesen. Was nachher passiert sei, liege nicht in ihrer Verantwortung. Die Scientologen hätten sich auch nicht als UNO-Organisation ausgegeben.
Der Stern, 19.11.2013, Ellen Ivits
Clearwater – Cruise und Travolta weihen Scientology-Residenz ein
Mitten im Stadtzentrum von Clearwater ragt die neue Hauptkirche von Scientology empor. Sie mutet wie eine Mischung aus einem Gefängnisbunker, der französischen Bastille und einer modernen Fürstenresidenz an: dicke Mauern, imposante Steinfassade, Türmchen und Wehrgänge. Es ist das höchste Gebäude der Stadt und hat eine Gundfläche von fast 115.000 Quadratmetern. Über 145 Millionen Dollar hat der Bau gekostet, der das Machtzentrum der Sekte beheimaten soll. A
m Sonntag versammelten sich rund 6000 Scientologen in der US-amerikanischen Stadt Clearwater, um bei der Eröffnung der neuen Kathedrale dabei zu sein. Auch prominente Mitglieder kamen zu der Feier. Während der achtminütigen Ansprache des Scientology-Führers David Miscavige standen Tom Cruise und John Travolta in der ersten Reihe und lauschten jedem Wort ihres Kirchenoberhaupts. Beide Hollywood-Schauspieler sind bekennende Scientology-Anhänger. Die Eröffnungszeremonie fand im Vorhof des Zentrums statt und wurde für die zahlreiche Anhängerschaft auf großen Bildschirmen übertragen.
Profitables Geschäft
Die Feier war nur Gemeindemitgliedern vorbehalten. Dennoch mussten selbst langjährige Anhänger kreativ werden, um einen Blick zu erhaschen. Viele mussten vor den Mauern bleiben und kletterten auf Palmen. Danielle Lumberg, Scientologin in dritter Generation, musste auch draußen bleiben: «Das klingt wie in Disney World da drinnen», sagte sie der Zeitung «The Tampa Bay Tribune». Die neue Hauptkirche gehört zu einem größeren Komplex von Gebäuden, der als spiritueller Rückzugsort für Scientologen dient. Im Erdgeschoss sollen auch Räumlichkeiten für Besucher eingerichtet werden. Ein dreistöckiges Atrium soll die Gäste empfangen. In der zweiten und dritten Etage befinden sich Büros und Klassenzimmer. Über dreihundert Räume stehen zudem für Seminare und Beratungen zur Verfügung. Eine Sitzung kann bis zu 1000 Dollar kosten.
Baustelle als Goldesel
Den meisten Bürgern von Clearwater scheint der Scientology-Bunker vor ihrer Haustür nichts auszumachen. Viele hoffen auf ein profitables Geschäft. «Die Kirche wird das Nachtleben der Stadt beleben und Attraktionen und Festivals anlocken», sagte der Bar- und Restaurantbesitzer Mo Iskander gegenüber der britischen Zeitung «Daily Mail». Außerdem seien die Scientologen immer gut gekleidet, würden nett aussehen und die Stadt verschönern. «Und sie müssen auch essen «, fügte Iskander hinzu. Ein gutes Geschäft scheint die neue Hauptkirche jedoch nicht nur für Gastronomiebesitzer zu sein. Die Bauarbeiten begannen bereits 1998, wurden jedoch unterbrochen, nachdem das Außengerüst fertig war. Ganze drei Jahre lag die Baustelle still, bis die Stadt Bußgelder zu erheben begann.
Scientologen-Aussteiger erklären den Baustopp damit, dass der Bau als Fundraising-Geldgrube verwendet wurde. Die ehemaligen Scientology-Anhänger Paar Rocio und Luis Garcia spendeten mehr als 340.000 Dollar für den Bau der Kathedrale. Verklagten jedoch später Scientology vor einem Bundesgericht wegen der Bauverzögerungen und beschuldigten die Sektenführer, das Projekt für Spendensammelaktionen zu missbrauchen. Recherchen der regionalen Zeitung «Tampa Bay Times» ergaben, dass ursprünglich der Bau nur 100 Millionen Dollar kosten sollte, aber über 145 Millionen Dollar an Spenden gesammelt wurden.
Focus, 19.11.2013
Nochmal Clearwater-Eröffnung mit weiteren Details
Nach 15 Jahren Bauzeit ist er fertig: Der 28 000 Quadratmeter große Prunkbau der Scientology im amerikanischen Clearwater soll 145 Millionen Dollar Baukosten verschlugen haben. Nur hier können die Gläubigen das von Gründer L. Ron Hubbard entwickelte „Super Power“-Programm ausüben. Rund 6000 Scientologen, darunter auch die Hollywood-Schauspieler John Travolta und Tom Cruise, sollen amerikanischen Medienberichten zufolge zur feierlichen Eröffnung des neuen Scientology-Zentrums am Wochenende gekommen sein. Nur Mitglieder der Sekte durften daran teilnehmen – den Medien und der Öffentlichkeit wurde der Zugang zum Inneren des riesigen Gebäudes verwehrt. Das schreibt die regionale Tageszeitung „Tampa Bay Times“.
Das „Flag Mecca“, wie der Bau auf der offiziellen Website von Scientology genannt wird, ist das erste und vorerst einzige Gebäude, welches zur Ausübung des „Super Power“-Programms geeignet sei. Ende der 1970er-Jahren wurde dieses von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard entwickelt und soll die 57 Sinne des Menschen schärfen. Die Mitglieder der Sekte sollen so die Fähigkeit erhalten „ein neues Level der Aufmerksamkeit zu erreichen“. Das sagt Joe Childs, Reporter der „Tampa Bay Times“, gegenüber dem US-Sender „ABC News“.
Fünfte Etage für Hubbards „Super Power“-Programm
In der fünften Etage des „Flag Mecca“ befinden sich die Spezialräume für das „Super Power“-Programm. So sollen die Scientologen beispielsweise in einem rotierenden Kreisel um ihre eigene Achse gedreht werden und auf diese Weise den Gleichgewichts- und Orientierungssinn testen. „Es gibt Maschinen, die laut Scientology, helfen den Geruchs- und Geschmackssinn auszubilden“, sagt Joe Childs.
Des Weiteren beherbergt das neue Scientology-Zentrum ein dreistöckiges Glas-Atrium, eine Kapelle für Hochzeiten, Taufen und Gottesdienste, 14 Beratungszentren mit insgesamt 300 einzelnen Beratungszimmern für Seelsorger. In den 22 Kursräumen können laut Angaben der Sekte 1300 Personen gleichzeitig geschult werden. In einer aufwändigen Spenden-Kampagne soll Scientology seit Anfang der 1990er Jahre mehr als 145 Millionen Dollar für die Finanzierung des Prunkbaus gesammelt haben. Die „Tampa Bay Times“ berichtet von Einzelpersonen, die im Zuge der „Super Power“-Kampagne mehr als 1 Millionen Dollar in die Sekte investiert haben.
Südafrika-Portal, 01.11.2013
Scientology-Expansion in Südafrika „Castle Kyalami“ als Ort der „perfekten Gehirnwäsche“, so europäischer Sektenkritiker (2010sdafrika-Redaktion)
Das „Castle Kyalami“ ist ein protziges Schloss in der Provinz Gauteng, unweit gelegen von den beiden Scientology-Standorten in Pretoria und Johannesburg. Bekannt ist diese Einrichtung für das Zelebrieren von luxuriösen Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Geschäftstreffen. Im März 2008 erwarb die in deutschen Geheimdienstkreisen als Sekte bezeichnete Scientology-Organisation diese Einrichtung. Bisweilen kommen viele kaufkräftige Leute zum Ort Kyalami, der auch bei Autofahrern wegen seiner Rennbahn sehr beliebt ist.
Das „Castle Kyalami“ wird nicht nur für Events genutzt, sondern auch für Scientology-Trainingskurse. Als sogenannte „New Advanced Organisation“ dient diese elitäre Einrichtung zur „Erreichung höherer Stufen“ und zum „Erlangen von spiritueller Freiheit“. Das von Scientology-Chef David Miscavige erarbeitete Konzept sieht vor, Lehreinheiten für Fortgeschrittene innerhalb eines Kontinents anzubieten.
Solche „New Advanced Organisations“ untermauern den Geltungsrang von nationalen Scientology-Vertretungen. Entsprechende Institutionen finden sich beispielsweise in Kopenhagen, in Los Angeles und in Sydney wieder. In Deutschland reichte es für diese Gründung nicht aus, da die deutsche Öffentlichkeit zu kritisch gegenüber dieser US-Sekte eingestellt ist.
Im Schloss passen bis zu 1.000 Scientologen, die auf einem neun Hektar großen Terrain „geschult“ werden. Ein europäischer Scientology-Kritiker spricht auf Anfrage von “perfekter Gehirnwäsche“, die durch die harmonische Umgebung beschleunigt wird. Mittelalterliches Ambiente und luxuriöses Flair verstärken das eigene Bedürfnis, länger im „Castle Kyalami“ verweilen zu wollen. Den eigenen Erkenntnissen nach ist das Schloss vor allem in diesem Jahr gut besucht gewesen. Kritische Stimmen zu Scientology hört man in Südafrika so gut wie überhaupt nicht. Die Expansion schreitet ungehindert voran.
Das Online-Medium “SÜDAFRIKA – Land der Kontraste” beobachtet seit längerer Zeit die Scientology-Aktivitäten am Kap, etwa zur südafrikanischen Hauptstadt-Repräsentanz in Pretoria, die unweit von der Deutschen Botschaft Pretoria und vom Präsidialamt gelegen ist. Ebenso standen die Kontakte der Sekte mit hohen Vertretern des Staates im Mittelpunkt der eigenen Berichterstattung. Zudem wurde Wilfried Handl, einer der populärsten Scientology-Aussteiger im deutschsprachigen Raum, interviewt.
Schwarzwälder Bote, 15.12.2013
Baden-Württemberg: Scientology wirbt verstärkt um Mitglieder
Scientology rührt in Baden-Württemberg kräftig die Werbetrommel.
Stuttgart – Die umstrittene Scientology-Organisation geht in Baden-Württemberg wieder verstärkt auf Werbetour. „Bei den Aktivitäten ist ein Aufwärtstrend zu beobachten“, sagte Rainhard Hoffmann vom Landesamt für Verfassungsschutz der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart. „Sie betreiben verstärkt Straßenwerbung. Sie waren in den letzten Jahren nicht so präsent.“ In diesem Jahr wurden bislang landesweit mehr als 130 Straßenaktionen gezählt, viele davon im Großraum Stuttgart, berichtete der Verfassungsschützer. „Sie ziehen auch von Haustür zu Haustür.“
Scientology bezeichnet sich selbst als Kirche. Von ihren Kritikern wird die Organisation aber als Sekte angesehen. Seit 1997 wird Scientology von den Behörden im Südwesten überwacht. Vor kurzem wurde bekannt, dass der Bundesverfassungsschutz im Rahmen seiner laufenden Reform auch die Beobachtung der Organisation überprüft. Zur Situation im Südwesten sagte Hoffmann: „Es gibt keine konkreten Überlegungen zur Einstellung der Beobachtung. An der verfassungsfeindlichen Einstellung von Scientology hat sich nichts geändert.“
Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass Scientology wesentliche Grund- und Menschenrechte außer Kraft setzen will. „Es handelt sich um eine gefährliche Organisation, die die Dominanz über die Gesellschaft erreichen will“, sagte Hoffmann. Er sehe keinen Kurswechsel in der Ideologie. Die Organisation forsche weiterhin Gegner aus und schrecke auch nicht davor zurück, sie zu verunglimpfen, wenn sie ihr aus Sicht der Scientologen Schaden zufügten. Ziel sei immer noch, eine neue Zentrale in Baden-Württemberg zu etablieren. Für das Vorhaben wurden nach Hoffmanns Angaben acht Millionen Euro veranschlagt. Das Projekt ziehe sich seit Jahren hin. Es habe gestockt, weil viele Scientologen finanziell ausgeblutet seien. „Vielleicht schaffen sie es, das Projekt in den nächsten zwölf Monaten erfolgreich zu bewerkstelligen.“
Baden-Württemberg sei einer der bundesweiten Schwerpunkte von Scientology. Im Südwesten gebe es 900 Mitglieder. „Die Zahlen sind nach einem schleichenden Rückgang in den letzten zwei Jahren stabil geblieben.“ Bundesweit gebe es etwa 4000 bis 5000 Anhänger. Schwerpunkt im Land ist den Angaben zufolge der Großraum Stuttgart. Es gebe aber auch Missionen in Karlsruhe, Göppingen, Ulm und Kirchheim/Teck.
Evangelisch.de, 07.12.2013, Ralf Schick
Weltanschauungsbeauftragter warnt vor Verharmlosung von Scientology
Scientology darf nach Ansicht des badischen evangelischen Weltanschauungsbeauftragten Gernot Meier nicht unterschätzt werden. Trotz sinkender Bedeutung und geringer werdender Mitgliederzahlen dürfe die Organisation nicht verharmlost werden, sagte Meier am Samstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Angesichts der Scientology-Tätigkeiten über Ländergrenzen hinweg forderte der Theologe ein stärkeres Engagement des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Pläne des Bundesamts für Verfassungsschutz, die Beobachtung der Organisation wegen eines Rückgangs der bundesweiten Mitgliederzahlen auf 4.000 praktisch einzustellen, hält Meier für falsch. Man dürfe nicht aufhören, genau hinzusehen und auch gegebenenfalls davor zu warnen, betonte der Kultur- und Religionswissenschaftler.
Die Gründe, weshalb sich Menschen Gemeinschaften, Bewegungen oder «religiösen Clubs» zuwenden, seien nur schwer auf einen Nenner zu bringen, sagte Meier. Gegen die Einflussnahme von Sekten könne man sich nur wehren, indem man sich kritisch hinterfrage. «Wenn die Gruppe den Himmel auf Erden verspricht, inklusive der Lösung aller Probleme, Erfolg, Gesundheit, die Zugehörigkeit zu einer kleinen Gruppe Auserwählter und auch noch den spirituellen Aufstieg – dann würde ich schon skeptisch werden», erklärte der Weltanschauungsbeauftragte. Es gebe Positionen, die nicht mit christlichen Vorstellungen zu vereinbaren seien – diese eindeutig zu benennen, gehöre zu den Aufgaben eines Weltanschauungsbeauftragten. Wichtig seien Information und Beratung, manchmal sei es aber auch hilfreich, Kontakt zu anonymen Selbsthilfegruppen herzustellen oder eine psychotherapeutische Ambulanz zu empfehlen. Die Zeiten aber, in denen Weltanschauungsbeauftragte als «Sektenjäger» bezeichnet wurden, seien vorbei, betont der Theologe.